Die Evokids-Lehrmaterialien, die Schülerinnen und Schülern die Evolutionstheorie bereits in den Klassenstufen 3–6 anschaulich vermitteln, werden hierzulande immer häufiger im Unterricht eingesetzt und über das "Scientix"-Programm der EU-Kommission sogar europaweit verbreitet. Kein Wunder, dass Evokids bibeltreuen Christen ein Dorn im Auge ist.
Die in evangelikalen Kreisen bestens vernetzte "Studiengemeinschaft Wort und Wissen", gewissermaßen die "Zentrale der Schöpfungsgläubigen in Deutschland", hatte das Evokids-Projekt bereits im Januar 2014, kurz nach der ersten öffentlichen Tagung in Gießen, scharf kritisiert. Vor wenigen Wochen, Anfang Mai 2020, legte der Geschäftsführer von "Wort und Wissen" Reinhard Junker, der den Schöpfungsglauben unter anderem an der (staatlich anerkannten!) "Freien Theologischen Hochschule Gießen" gelehrt hatte, noch einmal mit einer 14-seitigen Kritik an den Evokids-Lehrmaterialien nach.
Der Chemiker und Kreationismus-Experte Martin Neukamm (TU München, Herausgeber unter anderem der Werke "Darwin heute" und "Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus") hat Junkers Kritik inzwischen einer kritischen Prüfung unterzogen. In seiner auf der deutschen Website der Richard-Dawkins-Foundation veröffentlichten Analyse gelangte Neukamm zu dem Schluss, dass Junkers Kritik am Evokids-Projekt "unsachgemäß" sei und "sein Schöpfungskonstrukt mit zahlreichen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Konflikt" stehe.
Das Problem verfestigter Weltbilder
Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Michael Schmidt-Salomon, der das Evokids-Projekt zusammen mit den Evolutionsbiologen Dittmar Graf und Eckart Voland initiiert hatte, dankte Neukamm für seine "klare, lesenswerte Analyse, die den wissenschaftlichen Standpunkt verdeutlicht, ohne die Gegenseite mit Polemik zu überschütten": "Man sollte in diesem Zusammenhang beachten, dass Junker und seine Kollegen keine 'finsteren Absichten' verfolgen, sondern sich innerhalb ihrer Glaubensüberzeugungen durchaus redlich darum bemühen, zu konsistenten Positionen zu gelangen. Das Problem ist, dass sie nicht ergebnisoffen über die Entstehung der Arten nachdenken können, da sie die Wahrheit des biblischen Schöpfungsberichts kategorisch voraussetzen. Daher kann es in ihren Augen überhaupt nicht sein, dass in der Natur evolutionäre Prozesse stattgefunden haben, die aus biblischer Sicht gar nicht hatten stattfinden dürfen."
Aus diesem Grund versteht Schmidt-Salomon "Junkers Infragestellung der Evokids-Lehrmaterialien keineswegs als eine Bedrohung des Projekts, sondern vielmehr als eine Kritik, die unser Anliegen bestärkt": "Das Verhalten der Mitglieder von 'Wort und Wissen' beweist einmal mehr, dass verfestigte, 'unantastbare' Weltbilder zu Wahrnehmungsverzerrungen führen, von denen man sich nur schwer wieder lösen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Kindern frühzeitig Zugang zu wissenschaftlich gesichertem Wissen verschaffen, bevor wir fragwürdige religiöse Dogmen an sie herantragen."
Evokids und die akademische Theologie
Amüsiert zeigte sich der gbs-Sprecher über Junkers Urteil zu der Evokids-Lehreinheit über "Evolution und Religion", in der es unter anderem heißt: "Der Glaube an Gott und das Wissen über die Evolution müssen sich nicht ausschließen. Unser Wissen über die Evolution widerspricht jedoch vielen alten Formen des Glaubens, die auf sachlich falschen Vorstellungen beruhen (etwa dem Glauben an Adam und Eva im Paradies)." Da Junker selbst an die reale Existenz von "Adam und Eva im Paradies" glaubt, muss ihm diese Aussage natürlich missfallen. Interessanterweise verbindet er den entsprechenden Verriss des Evokids-Projekts jedoch mit einer Kritik an der akademischen Theologie, von der er offenkundig noch weniger hält als so mancher gestandener Religionskritiker. So heißt es am Ende von Junkers Text (S. 13): "Was Evokids über den Glauben 'lehrt', entspricht im Wesentlichen dem, was und wie allgemein auch in der akademischen Theologie und in der Religionspädagogik gedacht und gelehrt wird."
Eine nicht uninteressante Pointe, die besagt, dass der bibeltreue Christ Reinhard Junker das Evokids-Projekt nicht etwa deshalb ablehnt, weil es der akademischen Theologie widersprechen würde, sondern weil es in seinen Augen viel zu sehr mit den Ansichten akademischer Theologen übereinstimmt! "Wir haben schon überlegt, ob wir dieses schöne Junker-Zitat nicht auf Plakate drucken und an all jene Bistümer und Theologischen Fakultäten verschicken sollten, die sich bislang gegen die Verbreitung der Evokids-Materialien ausgesprochen haben", meint Schmidt-Salomon und fügt augenzwinkernd hinzu: "Auf den Gedanken, dass wir mit diesen Theologischen Fakultäten insgeheim unter einer Decke stecken könnten, sind wir selbst noch gar nicht gekommen! Zumindest für diese Erkenntnis sind wir Reinhard Junker zu großem Dank verpflichtet."
Erstveröffentlichung auf der Webseite der Giordano-Bruno-Stiftung.
14 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Der "Glaube an Gott und das Wissen über die Evolution müssen sich nicht ausschließen" - wie bitte?
Nee nee, Leute, da ist für mich ganz klar 'Ende Banane': Wissen statt Glaube!
Schiemert am Permanenter Link
Genau diesen Satz habe ich mehr mal gelesen und nicht so richtig verstanden, was der gbs Sprecher meint. Der Satz scheint ein Versuch zu sein das Wissen mit Glauben zu vereinbaren, was m.E. gar nicht geht.
Jana Steinhaus am Permanenter Link
Genau.
Der Satz stammt von Junker.
Der gbs-Sprecher zeigt sich amüsiert.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Guckst du in die Evokids-Lehreinheit - da steht der Satz (nicht von Junker)...
Thomas R. am Permanenter Link
"Der Satz scheint ein Versuch zu sein das Wissen mit Glauben zu vereinbaren, was m.E. gar nicht geht."
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A.S. am Permanenter Link
Dass Glaube und Wissenschaft vereinbar seien ist eines der Märchen, die uns in der Schule beigebracht werden.
Mit Religion und Demokratie ist es ähnlich.
Wissenschaft entlarvt Glaube mehr und mehr als Aberglaube gemischt mit geschickter Psychologie.
Demokratie basiert theologisch auf der Agnostik. Egal ob es Gott gibt oder nicht, in der Politik müssen wir ohne auskommen und uns zusammen raufen.
A.W. am Permanenter Link
"Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus") von Kreationismusexperte Martin Neukamm.
Was für eine Zeitverschwendung. Was kommt als nächstes?
Klaus Bernd am Permanenter Link
Auf
https://de.richarddawkins.net/articles/hort-auf-die-ansichten-des-papstes-bezuglich-evolution-und-urknall-zu-ruhmen-sie-ergeben-keinen-sinn
gibt es einen Beitrag von Jerry A. Coyne aus dem Jahr 2014 mit den Aussagen der wirklich relevanten Leute der r.k.K.: der letzten und ibs. des aktuellen Papstes zu dem Thema. (Wen auch immer das interessiert).
“Evolution in der Natur ist nicht unvereinbar mit der Vorstellung von Schöpfung, denn Evolution braucht die Schöpfung von Lebewesen, die sich evolvieren.”
Was selbstverständlich die Frage aufwirft, wo oder wann Schöpfung aufgehört hat, und Evolution begonnen hat.
Wie er die Aussage “Er erschuf die Menschen und ließ sie sich entwickeln nach den inneren Gesetzen, die er ihnen gegeben hatte, sodass sie ihre Erfüllung erlangen konnten..." mit der Lehre vom freien Willen, dem Jüngsten Gericht, der „Ursünde“, der Vertreibung aus dem Paradies, Himmel und Hölle … in Einklang bringen will, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben: Großes Geheimnis des Glaubens.
Eine weitere Franziskus-Perle aus diesem Artikel kann ich mir nicht verkneifen, hier zu zitieren:
“Gott ist KEIN göttliches Wesen ..."
Bedarf wohl keines weiteren Kommentars.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Nur WISSEN hat die Menschheit seit Urzeiten weiter gebracht, GLAUBE hat diese nur gespalten und zu überflüssigen Morden und Kriegen geführt und tut es heute noch.
durchsetzen will.
Kathi am Permanenter Link
Alle Religionen basieren letzten Endes auf alten Mythen und Geisterglauben als Menschen noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse besaßen und versuchten, die Entstehung der Welt zu erklären.
Jana Steinhaus am Permanenter Link
Während sich die Öffentlichkeit an der aktuellen Galionsfigur der Wissenschaft abarbeitet - an einem gewissen Christian den Drostigen - steht die gbs drei Schritte weiter und arbeitet unermüdlich an den Wurzeln künfti
Ich bewundere die 'heitere Gelassenheit' von Michael Schmidt-Salomon. Eine Scheibe* davon für uns alle.
*vielleicht in Oblatenform gebacken, wer das braucht :P
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Au ja! Wir produzieren das "Salomon-Obladi-Oblada" - wirksamer und ethisch wertvoller als mutiertes Menschenfleisch in Scheibenform...
Klaus Bernd am Permanenter Link
Muss ich diese Kommentare verstehen ?
Jana Steinhaus am Permanenter Link
Vorschlag: Sie stellen Ihre konkreten Fragen, und wir beantworten Sie gern :-)