Wie ein Atheist diskreditiert werden sollte

Wer ist auf der falschen Seite der Geschichte?

BERLIN. (hpd) Die einstmals aufklärerische Linke, die immer auch religionskritisch war (man denke nur an Marx’ Diktum von Religion als "Opium des Volkes"), hat vor dem Kulturrelativismus kapituliert und tabuisiert ausgerechnet Kritik an einer antiaufklärerischen und menschenverachtenden religiösen Ideologie. Ein trauriges Beispiel hierfür ist der Artikel "Der religionsfeindliche Hochstapler" von Timo al-Farooq, nach eigener Angabe Masterstudent der Asienwissenschaften an der HU-Berlin, welcher am 27.6. im Blog des Magazins Freitag erschienen ist. Mit aus dem Kontext gerissenen Zitaten und Polemik an der Grenze des guten Geschmacks bemüht sich der Autor, einen von unserer Hochschulgruppe "Säkularer Humanismus an Berliner Hochschulen" (SHBH) durchgeführten Vortrag zu diskreditieren und dabei insbesondere den Referenten auf Basis substanzloser Anschuldigungen in ein fragwürdiges Licht zu rücken. Ohne uns auf das geschmacklose Niveau seines Artikels herabzubegeben, erscheint es uns deshalb sinnvoll, einige Anmerkungen zu al-Farooqs Ausführungen zu veröffentlichen.

Der Kontext

Al-Farooqs Pamphlet bezieht sich auf die von SHBH in Zusammenarbeit mit der Amnesty-Hochschulgruppe der HU durchgeführte Veranstaltung "Ermordet wegen Blasphemie" vom 14.12.2015. Der Autor veröffentlichte seine Ausführungen somit 199 Tage nach dem Ereignis, was dieses aus jedem aktuellen Kontext herauslöst und insbesondere die Verifikation von Zitaten erschwert. De facto kann er dem Vortragenden somit nahezu beliebige Aussagen in den Mund legen, ohne dass diese im Detail überprüfbar wären. Während der Veranstaltung ist uns al-Farooq hingegen nicht im Speziellen aufgefallen, jedoch fanden wir beim Verlassen des Gebäudes mehrere der Plakate, die auf den Vortrag hingewiesen hatten, heruntergerissen oder mit Hitlerbärtchen beschmiert vor. Wir begrüßen jede Kritik, doch hätten wir uns gefreut, wenn diese konstruktiv und im Rahmen der Debatte im Anschluss an den Vortrag vorgebracht worden wäre.

Doch wer referierte überhaupt? SHBH und Amnesty International hatten den im deutschen Asyl lebenden, bengalischen Blogger Asif Mohiuddin eingeladen, über die Situation in seinem Heimatland und seine persönliche Geschichte zu sprechen. Mohiuddins Texte kritisierten Menschenrechtsverletzungen und Korruption in Bangladesh, insbesondere jedoch auch religiösen Fundamentalismus und ganz im Sinne der Aufklärung Religion an sich. Dies führte dazu, dass er im Januar 2013 von vier Islamisten niedergestochen wurde und knapp überlebte. Dieser Anschlag war der Beginn einer Serie von Morden an Bloggern, säkularen Aktivisten und Islamismus-Kritikern in Bangladesch, die bis heute andauert und bisher etwa zwei Dutzend Todesopfer gefordert hat. Wenige Monate nach diesem Angriff wurde er wegen Blasphemie für mehrere Monate verhaftet und sein Blog auf Drängen der Regierung gesperrt. Bis heute müsste er bei Rückkehr in sein Heimatland mit einem Prozess rechnen.

Bangladesh – Liberal und Tolerant?

Über Stil lässt sich bekanntlich streiten und so möchten wir das Urteil über die Angemessenheit des aggressiv-beleidigenden Tonfalls des Autor und insbesondere seine belehrende Art dem geneigten Leser überlassen. Stattdessen ist uns daran gelegen, einige sachliche Richtigstellungen vorzunehmen: So kritisiert al-Farooq, dass Mohiuddin davon sprach, nach seiner Festnahme gefoltert worden zu sein, da er hierin eine unangemessene Verallgemeinerung auf die Menschenrechtssituation in südasiatischen Gefängnissen zu erkennen glaubte. Selbst wenn man diese fragwürdige Prämisse akzeptiert, ist Folter zweifelsohne eine in Südasien verbreitete Praxis. Human Rights Watch dazu:

The sad fact is that police forces across both Southeast and South Asia, as well as East Asia, consistently use torture as a standard part of their interrogation techniques in order to exact confessions.”

Al-Farooq behauptet weiterhin, dass Bangladesh trotz einer zunehmenden Religiosität innerhalb der Gesellschaft nach wie vor ein verhältnismäßig tolerantes und liberales Land wäre. Unabhängig davon, dass auch Mohiuddin anmerkte, dass es noch viel schlimmer sein könnte, kommt es auch hier immer auf den Maßstab an: Im direkten Vergleich zu Saudi-Arabien ist Bangladesh sicherlich "verhältnismäßig" liberal, doch ändert das nichts daran, dass Homosexualität mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft werden kann, das Land über eine der höchsten Raten von Kinderehen auf der Welt verfügt und im Gender Inequality Index der UN den 111. Platz von 155 Ländern belegt. Dass die Meinungsfreiheit in einem Land bedroht ist, in dem Autoren damit rechnen müssen wegen "Blasphemie" im Gefängnis zu landen oder auf offener Straße ermordet zu werden, versteht sich von selbst.

Eine schlichte Falschaussage ist jedoch al-Farooqs Behauptung, dass Bangladesh seine säkulare Rechtstradition bis heute bewahrt hätte. Zwar spricht die bengalische Verfassung von Säkularität als einem ihrer Grundprinzipien. Erst vor wenigen Monaten wurde jedoch erneut der im krassen Gegensatz hierzu stehende 8. Verfassungszusatz als rechtmäßig bestätigt, welcher den Islam als Staatsreligion festschreibt. Dieser Widerspruch charakterisiert den offensichtlichen Konflikt von Säkularität und Islam in Bangladesh und zeigt die Notwendigkeit zur Unterstützung progressiver Kräfte. Insbesondere, da die Aussage des Autors, wonach eine Mehrheit der Gesellschaft hinter dieser Tradition steht, außerordentlich fragwürdig ist: Umfragen zu Folge würden mehr als 80 Prozent der Muslime in Bangladesh die Einführung der Sharia begrüßen.

Hamed Abdel-Samad – Ein unwissenschaftlicher Hetzer?

Leider muss al-Farooq neben Asif Mohiuddin auch noch GBS-Beiratsmitglied und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad attackieren. So behauptet er im Rekurs auf einen vollkommen substanzlosen Artikel des TAZ-Journalisten Daniel Bax im Spiegel, dass Abdel-Samads Mohammed-Biographie aus "geschichtsrevisionistische(n) Gewäsch" bestünde. Der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi (dem al-Farooq wohl kaum seine Kenntnis der Materie absprechen kann, wie er sonst gerne tut) stellt demgegenüber das Offensichtliche klar - nämlich, dass Abdel-Samad vollkommen korrekt zitiert hat - und kritisiert den unwissenschaftlichen Umgang der Rezensenten mit seinem Werk, die, statt sich mit seinen Thesen zu beschäftigen, die Motive des Autors in Frage stellen und aus seiner Biographie heraus zu erklären suchen. Ein Muster, welches dem Leser von al-Farooqs Ausführungen nicht unvertraut sein sollte, insbesondere, wenn er dann vermeintlich "seriöse" Alternativen zu Abdel-Samads Werk anführt. Dass es jedoch auch verschiedene renommierte Islamwissenschaftler gibt, welche kritische Mohammed-Biographien veröffentlichten, übergeht er geflissentlich.