Grüne als erste Partei mit Grundsatzbeschluss zum Verhältnis von Staat und Kirchen

Glaubensgemeinschaften sind der organisierte Unterschied

Der Bundesparteitag der Grünen in Münster hat nach jahrelanger Vorbereitung ein Grundsatzpapier zum Verhältnis von Staat zu den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verabschiedet. Tenor ist die Stärkung der positiven und negativen Religionsfreiheit.

Die Grünen verabschiedeten auf ihrem Parteitag am vergangenen Sonntag einen Leitantrag des Bundesvorstands mit dem Titel "Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft". In dem Papier werden grundlegende Reformen im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften einfordert.

Einig war sich die Partei in Münster darin, dass es mit den Sonderrechten der Kirchen jedenfalls so nicht weitergehen kann wie in den vergangen100 Jahren. Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten religiös vielfältiger geworden. Waren zum Zeitpunkt der Schaffung des Grundgesetzes noch 95 Prozent der Menschen im Land Angehörige der beiden Großkirchen, neigt sich die Kurve mit Geschwindigkeit der 50-Prozent-Marke. Vielfalt ist das Stichwort, nicht die Einfalt einer ungebrochenen Vormachtstellung der katholischen und evangelischen Kirche.

Zwei Jahre Diskussion

Den Vorsitz der Kommission hatte das Mitglied des Bundesvorstands und Berliner Landesvorsitzende Bettina Jarasch, die auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist. Außerdem dabei waren die Bundesvorsitzende Simone Peter, die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und der religionspolitische Sprecher Volker Beck. Die Säkularen der Partei wurden durch jetzigen Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Walter Otte und Mariana Prinzon vertreten, ebenso durch den Autor dieses Artikels. Darüber hinaus brachten grüne Muslime und die Sprecher der Christinnen und Christen ihre Positionen ein.

Über zwei Jahre wurde in der Kommission engagiert diskutiert und um Formulierungen gerungen. Schließlich galt es, Positionen von Atheisten, Agnostikern, Christen und Angehörigen anderer Religionen zusammenzubringen. Schließlich verständigten sich die Mitglieder einer eigens eingesetzten Kommission darauf, ihre Forderungen unter das Motto Religionsfreiheit zu stellen. "'Grüß Gott' für alle, die es hören wollen", so brachte es Volker Beck, beim Parteitag auf den Punkt.

Streitig war bis zuletzt, wie das Staat-Religionen-Verhältnis neu austariert werden kann und wo etwa Konfessionslose ihren Platz finden können. In dem Bericht spricht die Kommission von der "religiös-weltanschaulichen Landkarte Deutschlands", die individueller und pluraler wird, während gleichzeitig die Bedeutung der Volkskirchen mehr und mehr abnimmt.

Durch die Flucht vor Krieg und Verfolgung sind zudem nicht nur Menschen, sondern auch ihre jeweiligen Religionen mit "eingewandert". Rechtspopulisten und islamistische Fanatiker greifen gleichermaßen die offene Gesellschaft und ihre Vielfalt an. Die Grünen stellen sich beiden Strömungen klar und deutlich entgegen und verteidigen die freiheitliche Gesellschaft.

"Wir sind die Partei, in der Atheisten für Muslime streiten, Strenggläubige für Säkulare, Juden für Christen und Aleviten für Hindus" findet Bettina Jarasch. Glaubensgemeinschaften seien organisierter Unterschied und wir müssten diese Differenz aushalten. Dabei betont sie, dass die Trennung von Religion und Staat zentral sei. Gleichwohl seien Kooperationen des Staates mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wichtig für unsere Zivilgesellschaft und Demokratie und müssten mit klaren Kriterien und Voraussetzungen weiter entwickelt werden.

Keine Religion steht über dem Grundgesetz

Voraussetzung für eine Kooperation zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und dem Staat ist für uns die Anerkennung des Grundgesetzes und damit der Grundrechte aller. Die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi fordert auf dieser Grundlage, dass Kriterien festgelegt werden müssten, wie muslimische Vereine und Verbände als Religionsgemeinschaften in Deutschland anerkennt werden können, damit ihre Abhängigkeit von anderen Staaten bewunden werden könne. Für sie sei dabei klar: "Keine Religion kann ein exklusives Recht auf Wahrheit und Glückseeligkeit beanspruchen."

Highlight der äußerst konzentrierten zweistündigen Debatte stand die Rede von Prof. Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg, Er plädierte mit Leidenschaft dafür, dass sich in Deutschland eine Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen entfalten können. Die Trennung von Staat und Religion schaffe hierfür den benötigten Raum. Kooperationen seien dennoch sinnvoll, so lange die Kriterien hierfür fair und transparent seien. Forderungen Konservativer, eine Leitkultur im Grundgesetz festschreiben zu lassen, lehnt er entschieden ab: "Wenn das Grundgesetz mit Leitkulturgrundsätzen verquirlt wird, machen wir aus der Verfassung eine Hausordnung, bei der klar ist, wer der Hausherr ist. Das ist nicht freiheitlich, das ist reaktionär." Dem Sprecher der grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne, Walter Otte, blieb es vorbehalten, den Ausführungen seinen Beifall zu zollen.

Gelbe Karte für reaktionäre Islamverbände

Islamische Gemeinschaften können erst dann als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannt werden, wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen des Religionsverfassungsrechts erfüllen. Das ist bei DITIB und Co allerdings nicht der Fall.

In den Medien hat vor allem diese klare Ansage hohe Wellen geschlagen, den konservativen Islamverbänden die Anerkennung als Religionsgemeinschaften zu versagen. Das Online-Magazin MIGAZIN vom 14. 11. 2016 veranstaltet ein entsprechend wütendes Pamphlet gegen die grüne Partei und vor allem gegen den religionspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Volker Beck. Wenn aber Erdogan-Lobby und Islamisten Hand in Hand den Grünen "Verfassungsbruch" vorwerfen, ist das ein - gewiss ungewolltes - Kompliment an die Partei. Sie sollten gegenüber diesen Verbänden weiter auf Distanz gehen und ihrem anmaßenden Anspruch entgegentreten, für die Menschen mit muslimischem Glauben hierzulande die Sprecherrolle zu übernehmen. Weiteres Gezeter aus dieser Ecke ist von daher durchaus hilfreich, die politischen Fronten in der innenpolitischen Diskussion zu klären. Es zeigt sich auch, dass die Grünen gut beraten wären, Volker Beck auch in den nächsten Bundestag zu schicken.

Grüne wollen mehr Rechte für Beschäftige der Kirchen

Auf fast einhellige Kritik stieß bei den Rednerinnen und Rednern die aktuelle Ausgestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts. Hier gibt es dringenden Reformbedarf. Die individuellen und kollektiven Rechte der 1,3 Millionen Beschäftigten müssen dem allgemeinen Standard des Arbeitsrecht und des Diskriminierungsverbots entsprechen. Es geht nicht länger an, dass die Kirchen als Arbeitgeber weiterhin derart ungeniert in die individuellen Grundrechte der Arbeitnehmer eingreifen. So setzen kirchliche Träger wie Krankenhäuser und Pflegedienste unter anderem voraus, dass ihre Angestellten sich zur jeweiligen Religion bekennen. Im Falle einer Scheidung droht die Kündigung.

BDK der Grünen 2016
Foto: © Daniela Wakonigg

Weitere Beschlüsse des Parteitags

Darüber hinaus erhebt der grüne Parteitag in seinem Beschluss eine Reihe weiterer konkreter Forderungen, um der gewachsenen Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen in Deutschland endlich gerecht werden zu können:

  • Kirchen sollen ihre Finanzen transparenter machen indem sie ihr Vermögen, offenlegen.
  • Die Kirchensteuer bleibt innerparteilich nach wie vor umstritten. Einig ist sich die Partei darin, dass es so jedenfalls nicht weitergehen kann. Grüne wollen die Kirchensteuer reformieren, so dass beim Kirchensteuereinzug wenigstens der Persönlichkeitsschutz gewährleistet werden soll. Arbeitgeber sollen nicht mehr erfahren, ob die Beschäftigten einer Kirche angehören oder nicht.
  • Die Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne und die anderen mit dem Thema befasste BAGen sowie die Bundesländer werden aufgefordert, ein Konzept für einen Religionsunterricht und die Ausbildung des entsprechenden Lehrpersonals vorzulegen. Säkulare haben hier bereits ein Papier verabschiedet, das der Segmentierung des Unterrichts nach Glaubensrichtungen eine Absage erteilt und ein gemeinsames Fach Philosophie und Religionskunde fordert.
  • Kirchen erhalten bis heute vom Staat Leistungen als Entschädigung für Enteignungen von vor über 200 Jahren. Grüne setzen uns für eine Ablösungs-Gesetzgebung ein, um die historischen Staatsleistungen dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechend endlich abzulösen.
  • Es muss künftig möglich sein, Bestattungen nach den jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen der Verstorbenen und ihrer Angehörigen vornehmen zu können. Die geltenden Regelungen von Ländern und Kommunen atmen noch immer den Geist der längst verflossenen Identität von Bürger und Christ.
  • Grüne setzen sich dafür ein, dass in den Feiertagsregelungen der Bundesländer die Mitglieder von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eine angemessene Anzahl arbeitsfreier Tage bekommen, damit sie ihre Feiertage begehen können.
  • Gefordert wird eine schärfere Differenzierung und Lockerung der sogenannten "Tanzverbote". Über die konkrete Formulierung wurde bis zuletzt verhandelt. Was in geschlossenen Räume stattfindet, soll künftig nicht mehr verboten werden können.
  • Bei der Besetzung der Rundfunk- und Fernsehräte soll sich die heutige gesellschaftliche, religiöse und weltanschauliche Pluralität widerspiegeln.

Die Verabschiedung des grünen Grundsatzpapiers hat auch den Säkularen einige Kompromisse abverlangt. Aber wir sind nicht allein in der Partei und alle mussten aufeinander zugehen; das ist eindrucksvoll gelungen. Jetzt sind unsere säkular/laizistisch gesinnten Freundinnen und Freunde in den anderen Parteien gefordert, ihre Konzepte nicht nur auf den Tisch zu legen sondern auch innerparteilich durchzusetzen. Papier ist geduldig, aber nur Beschlüsse von Parteitagen sind verbindlich.