Das demonstrative Tragen religiöser und weltanschaulicher Symbole - sei es Kopftuch, Kippa, Kette mit Kreuz, areligiöses Kennzeichen oder Nonnengewand - ist Berliner Lehrkräften in allgemeinbildenden Schule seit 10 Jahren untersagt. So regelt es das dortige Neutralitätsgesetz. Dies könnte nach den Berliner Grünen in seiner jetzigen Form bald Geschichte sein. Doch es regt sich öffentlich Widerstand und v.a. bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Säkularen Grünen.
Unübersehbare Zeichen deuten darauf hin, dass die Berliner Grünen in der rot-rot-grünen Koalition das geltende Neutralitätsgesetz kippen wollen – und dabei v.a. das Verbot des islamischen Kopftuchs für Lehrerinnen. Bei der Landesdelegiertenkonferenz, dem Parteitag, den die Grünen am vorigen Wochenende abhielten, wurde ein umfassender Leitantrag beschlossen – einstimmig. Anwesende berichteten, dies sei erfolgt, nicht weil, sondern obwohl dieser in ein paar Zeilen auch folgende Formulierung enthält: „Junge Muslimas mit Kopftuch“ würden danach „das Neutralitätsgesetz als Berufsverbot“ erleben. Die Berliner Grünen, so der Leitantrag, wollten deshalb „eine lösungsorientierte Debatte vorantreiben, die sich an praktischen Erfordernissen von Schulen orientiert“.
Zur Schau getragene Harmonie statt Debattenkultur
Eben diese Auseinandersetzung wurde und wird jedoch vermisst – zumindest auf dem Parteitag selbst überwog eine zur Schau getragene Harmonie und wurde die Brisanz dieses durchaus umstrittenen Themas völlig ausgeblendet. Ohne Aussprachemöglichkeit kommentierte die frühere Landeschefin Bettina Jarasch – was von etlichen als naiv betrachtet wird - mündlich: "Ich möchte, dass es Lehrerinnen mit Kopftuch an Berliner Schulen gibt". Sie erklärte: "Was wir brauchen, sind Regelungen, die religiöse Manipulation wirksam ahnden, anstatt einen Kulturkampf um das Kopftuch zu führen." Das sieht der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) genauso. Er will mittels Antidiskriminierungsgesetz seine Auffassung durchsetzen, dass ein Kopftuchverbot, wie es das Neutralitätsgesetz für Lehrkräfte vorschreibt, nicht mehr zu halten sei.
Jetzt haben dagegen andere namhafte Grüne ihre Stimme erhoben: Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Säkulare Grüne tritt der Aufweichung des Neutralitätsgesetzes entschieden entgegen. Bei einer Sitzung am Mittwochabend haben sich ihre Mitglieder eindeutig und ohne Gegenstimme für den Erhalt der Neutralitäts-Regelung in ihrer aktuellen Form ausgesprochen. Sie haben – auch auf dem Landesparteitag – jeglichen Ansatz einer Debatte vermisst und ihre Position nun in einer Resolution an die Partei herangetragen. Zitiert wird dazu in der TAZ vom 7. Dezember der LAG-Sprecher der Säkularen Grünen, Walter Otte: "Es ist ein völlig falsches und unverständliches Signal, würden wir Grüne die staatliche Neutralität im Öffentlichen Dienst aufgeben". Otte hält die Rede vom "Berufsverbot" im oben genannte Leitantrag der Grünen für falsch: "Zum einen trägt die große Mehrheit der Musliminnen in Berlin ohnehin kein Kopftuch; zum anderen spielt die Religionszugehörigkeit für den Zugang zum öffentlichen Dienst überhaupt keine Rolle." Mit den Berufsverboten der 70er Jahre, bei denen Einstellungen und Aktivitäten jenseits der Berufsausübung geahndet wurden, habe das nichts zu tun.
Vor Kindern neutral auftreten
Für LAG-Mitglied Jürgen Roth steht fest, dass ein religiöses Kopftuch ein problematisches Statement ist, wenn eine Lehrerin es bei der Arbeit trägt: "Wenn jemand nicht mal bereit ist, vor Kindern mit einer gewissen Neutralität aufzutreten, macht mich das skeptisch, ob auch die Vermittlung der Inhalte weltanschaulich neutral geschieht." Wer das Kopftuch hier erlaube, müsse im Grunde auch akzeptieren, dass die Lehrkraft zu Schülerinnen sage: "Zieht euch lieber mal züchtig an."
Ganz in diesem Sinne hatte es auch die Berliner Bildungsverwaltung zum legitimen Ziel erklärt, religiöse Bezüge von den Schülern und Schülerinnen fernzuhalten, um Konflikte mit ihnen, den Eltern oder anderen Pädagogen zu vermeiden. "Gerade bei jüngeren Schülern kann eine intensive Konfrontation mit Überzeugungen der Lehrkräfte und des Weiteren pädagogischen Personals zum Gefühl der Ablehnung oder einer erzwungenen Anpassung führen", steht in einem Schreiben der SPD geführten Bildungsverwaltung an die Schulleitungen.
Besonders wenden sich die Säkularen Grünen gegen den Justizsenator ihrer Partei. Dirk Behrendt hatte im Februar das Urteil des Landesarbeitsgerichts zugunsten einer - wegen des Kopftuchs - abgewiesenen Bewerberin mit den Worten kommentiert: "Das ist ein guter Tag für die Antidiskriminierung und wohl der Anfang vom Ende des Berliner Neutralitätsgesetzes."
Laut Walter Otte bildet sich gerade eine überparteiliche Initiative namens "PRO Berliner Neutralitätsgesetz", die sich bald mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit wenden werde. Zu den Erstunterzeichner/innen gehören kritische Muslime wie Ahmad Mansour und Seyran Ateş, die ehemalige Bundestagsabgeordnete Lale Akgün sowie die ehemalige Berliner Abgeordnete Felicitas Tesch (beide SPD) und der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Amtierende Mitglieder des Abgeordnetenhauses oder des grünen Landesvorstands sitzen noch nicht im Boot.
Wer sich über die Initiative "PRO Berliner Neutralitätsgesetz" und die dortige Unterschriftensammlung informieren möchte, kann sich wenden an: pro-neutralitaet-berlin@gmx.de oder per Fax 030-2141502.
14 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich verstehe das Herumgeeier beim Neutralitätsgesetz nicht. Selbstverständlich muss sich der Staat und alle seine Bediensteten sämtlichen Bürgern gegenüber neutral verhalten.
Funktion und Bedeutung des und Zwang oder Nichtzwang beim Kopftuch kann in dieser Debatte völlig außen vor gelassen werden. Es ist aber das SYMBOL einer Weltanschauungsgemeinschaft, sonst würde von dessen Verfechterinnen ja nicht derart erbittert darum gekämpft, in Innenräumen eine Kopfbedeckung tragen zu dürfen.
Wie also sollte eine muslimisch konditionierte Lehrerin ihre Neutralität den Schülern und Schülerinnen gegenüber aufrecht erhalten, wenn sie die Neutralität erkennbar für jeden aufgibt? Man kann hier sogar eine unterstellte Absicht zur Indoktrination der Schüler und Schülerinnen durch die Lehrerin beiseite lassen. Allein die deutlich als solche erkennbare religiöse Bekleidung zeigt nach AUSSEN das Bekenntnis, bzw. die Weltanschauung der Lehrerin.
Ich muss auch gar nicht hinterfragen, ob diese vormoderne Weltanschauung Einfluss auf die Unterrichtsführung der Lehrerin nimmt. Es reicht das offen zutage tretende Bekenntnis der Lehrerin, das jedoch - völlig zurecht - vom Berliner Neutralitätsgesetz verhindert werden soll. Denn: Was sollte dieses Bekenntnis in der Schule zu suchen haben? Wer Lehrer wird, scheint von einen Bedürfnis angetrieben zu sein, Kindern etwas Wertvolles beizubringen, ihnen Wissen zu vermitteln, allgemeine Werte einer freien, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft.
Religion mag im Religionsunterricht vermittelt werden. Ich weiß nicht, wie das heute ist, aber in meiner Schulzeit habe ich keinen Religionslehrer - ob katholisch oder evangelisch - in seiner "Arbeitskleidung" als Pfarrer oder Priester aufmarschieren sehen. Eine muslimische Lehrerin, die Islamkunde unterrichtet, wird also (wenn sich an der zivilen Kleiderordnung in den letzten Jahrzehnten nichts Dramatisches geändert hat) selbst beim Unterricht ihrer Geisterlehre in neutraler Tracht erscheinen. Für alle anderen Fächer verbietet sich das Tragen religiöser Kleidung sowieso.
Wie eine ehemals freiheitlich orientierte Partei, wie DIE GRÜNEN, in Berlin auf die Schnapsidee kommt, die Neutralität des Staates den Bürgern gegenüber aufzukündigen, geht mit nicht auf. Eine Lehrerin mag ja weiter ihrem speziellen Geisterglauben frönen, aber in ihrer Arbeitszeit kann sie sich ja mal ein bisschen im Interesse ihrer Schüler und Schülerinnen zusammenreißen...
Roger am Permanenter Link
Vollkommen richtig. Diese ver(w)irrten Seelen versuchen immer wieder unter dem Vorwand des Einsatzes für die Freiheit, uns die Freiheit (vom Übel) zu nehmen.
Dr. Ingeborg Wirries am Permanenter Link
Hallo, Bernd!
Der erste insbesondere und der letzte Absatz Ihres Kommentars gefallen mir besonders. Meine vollste Zustimmung!
A.S. am Permanenter Link
Die Grünen verkommen immer mehr zu einer oberfrommen Partei.
Dietmar de Witte am Permanenter Link
Der Link zum pro-Neutralitaet-berlin@gmx.de (PRO Berliner Neutralitätsgesetz) funktioniert nicht. Schade. Würde gerne unterstützen.
Herbert Nebel am Permanenter Link
Lieber Herr de Witte,
senden Sie mir Ihre eMail-Adresse und sie bekommen von mir die Unterlagen und können via eMail unterschreiben - ganz unbürokratisch!
LG Herbert Nebel
& LAG Säkulare Grüne Berlin
Le Metayer am Permanenter Link
Ich habe angefangen, Unterschriften zu sammeln. Das ist kein Link, sondern eine E-Mail Adresse. Schreiben Sie und fragen nach dem Aufruf.
Gita Neumann am Permanenter Link
Hallo, lieber Herr Witte,
M.f.G Gita Neumann (Mitbegründerein der Initiative)
Das Gaund dann auch inren
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das ist ein Email-Link; bei mir funzt er.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Tja, die LAG Säkulare Grüne hat es nicht leicht in ihrer eigenen Partei.
Meine Predigt - schon länger.
Markus Schiele am Permanenter Link
Traurig, dass sich gerade bei den Grünen ein Kulturrelativismus verbreiten konnte, der im Endeffekt zu reaktionären Ergebnissen führt.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Wann endlich wird Neutralität belohnt? Sie ergibt sich aus der sog. aber kaum verstandenen, schon gar nicht rechtlich umgesetzten "negativen" Religionsfreiheit.
Reinhard Knittel am Permanenter Link
Einerseits ist klar, dass eine Lehrerin, welche demonstrativ als Moslemin auftritt, die Kinder im Biologieunterricht falsch indoktriniert, was die Evolution z.B. betrifft.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Andererseits können wir auch nicht sicher sein, dass jemand ohne Kopftuch nicht auch antievolutionistisch indoktriniert."
Das ist hier nicht die Frage.
Die Lehramtsqualifikation ist eine völlig andere Baustelle. Ich hatte mich im Gymnasium mit meinen Physiklehrer gestritten, weil dieser Albert Einstein für einen Schwachkopf hielt.
Im Fall des Neutralitätsgesetzes geht es darum, dass Lehrer/innen als Repräsentanten des Staates den Schülern und Schülerinnen weltanschaulich neutral gegenüber auftreten sollen.