Vor zwei Jahren verübten die Kouachi-Brüder einen Anschlag auf die Redaktion des renommierten französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo". Dabei wurden einige der wichtigsten Köpfe hinter dem Magazin ermordet. Seither ist der redaktionelle Zusammenhalt, für den das Magazin einst bekannt war, unter die Räder des wirtschaftlichen Erfolgs geraten.
Die Brüder Saïd und Chérif Kouachi waren am 7. Januar 2015 keine zehn Minuten in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo. Dies hat aber gereicht, um mit dem Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier ("Charb"), den Zeichnern und Redakteuren Jean Cabut ("Cabu"), Bernard Verlhac ("Tignous"), Philippe Honoré und Georges Wolinski sowie dem Mitinhaber des Magazins Bernard Maris einige der wichtigsten Köpfe hinter dem Satiremagazin zu erschießen. Sie hinterließen eine Blutspur, die sich bis in die jüngsten Comicalben der beiden ehemaligen "Charlie Hebdo"-Karikaturisten Renald Luzier und Catherine Meurisse zieht. Beide haben den Anschlag nur durch einen Zufall überlebt. Sie verschliefen den Morgen der Redaktionskonferenz und trafen in der Rue Nicolas-Appert 11 später als gewöhnlich ein. Das islamistische Terrorduo schoss da bereits in den Räumen um sich.
Noch während die Verfolgung der Attentäter andauerte, wurde das religionskritische Satiremagazin weltweit zum leuchtenden Symbol der Meinungsfreiheit. Unter dem Schlagwort "Je suis Charlie" solidarisierten sich Millionen Menschen weltweit mit den Opfern und den Überlebenden des Anschlags. Die sogenannte Überlebenden-Ausgabe, auf deren Titel eine Mohammed-Figur mit Tränen in den Augen "Je suis Charlie" skandiert, ist in einer Millionenauflage erschienen. Menschen aus aller Welt haben in den Tagen nach dem Anschlag ein Abonnement abgeschlossen, um sich solidarisch mit dem damals wirtschaftlich angeschlagenen Magazin zu zeigen. Die Zahl der Abonnenten stieg seither von 8.000 auf inzwischen 200.000. Dazu kamen Spendengelder in Millionenhöhe für die Familien der Opfer sowie die Redaktion. Dieser monetäre Erfolg hat sogar dazu geführt, dass das französische Magazin einen deutschen Ableger ins Leben gerufen hat, der seit dem 1. Dezember auf dem Markt ist.
Diese wirtschaftliche Erfolgsgeschichte verdeckt die negativen Folgen, die die Redaktion betreffen. Denn mit Renald Luzier, Catherine Meurisse, Patrick Pelloux und Zineb El Rhazoui haben sich bereits vier "Überlebende" offiziell aus der Redaktion zurückgezogen. Sie alle gehören zu den Unterzeichnern eines in der französischen Tageszeitung Le Monde publizierten Aufrufs, in dem 15 von 20 Redakteure eine Umgestaltung der Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft gefordert hatten, um nicht "dem Gift der Millionen" zu erliegen. Dieser Beitrag ist der Anfang eines bis heute schwelenden Streits zwischen Redaktion und den beiden mehrheitlichen Anteilseignern, dem Zeichner Laurent Sorisseau alias Riss und dem Finanzdirektor Éric Portheault.
Der erste Überlebende, der mit dem Duo Riss-Portheault in Konflikt geraten war, war der Charlie-Hebdo-Kommentator und praktizierende Notarzt Patrick Pelloux, der nach dem Anschlag vergeblich versucht hatte, seine Freunde und Kollegen zu retten. Er überwarf sich mit dem Duo Riss-Portheault über die Finanzfrage und zog sich noch im Herbst 2015 frustriert aus der Redaktion zurück. Offiziell erklärte er bei der Vorstellung seines Buches über die Ereignisse, dass das Magazin eine neue redaktionelle Besetzung brauche.
Ihm folgte nur wenige Wochen später der Interims-Chefredakteur Renald Luzier. In den Monaten nach dem Anschlag war er einer der wichtigsten Zeichner des Magazins. Seine Zeichnung eines weinenden Propheten auf dem Titel der Überlebenden-Ausgabe war um die Welt gegangen. Im Mai 2015 aber hatte er in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Libération erklärt, dass es ihm zunehmend schwer falle, für das Magazin zu arbeiten: "Jede neue Ausgabe ist eine Qual, seit die anderen nicht mehr da sind," gestand Luz und ergänzte: "Ich werde nicht mehr Charlie Hebdo sein, aber immer Charlie bleiben." Tatsächlich zeichnete er aber bis in den Herbst 2015 noch für das Magazin.
Bereits Anfang Mai hatte Luzier erklärt, dass er keine Mohammed-Karikaturen mehr zeichnen werde – eine Entscheidung, die kontrovers diskutiert und als Einknicken des Zeichners gegenüber den Terroristen ausgelegt wurde. Seine persönliche und künstlerische Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen hat Luzier in dem Comicalbum "Katharsis" verarbeitet.
Nach einigen Monaten der Ruhe verließ die religionspolitische Redakteurin Zineb El Rhazoui im Herbst 2016 die Redaktion. Sie war bereits im Mai 2015 vom Führungsduo Riss-Portheault ohne nähere Erläuterung kurzzeitig suspendiert worden, was die Spekulationen um einen Riss zwischen Redaktion und Herausgebern anheizte. Gegenüber der New York Times erklärte die in Marokko bedrohte Journalistin kürzlich enttäuscht, dass das stark veränderte Satiremagazin "mutmaßlich nie wieder eine Mohammed-Karikatur drucken werde". Die kämpferische Französin, die sich selbst als "muslimische Atheistin" bezeichnet, begründete damit ihren Rückzug aus der Redaktion.
El Rhazoui hat im Oktober 2016 ein kontrovers diskutiertes Buch mit dem kämpferischen Titel "Den islamischen Faschismus zerstören" veröffentlicht, in dem sie, wie auch Michael Schmidt-Salomon, Argumente für eine kritische Debatte über die Grenzen der Toleranz versammelt. Im Oktober 2015 hatte die Journalistin den Prix de la Laïcité des französischen Laizismus-Komitees für ihr religionskritisches Engagement erhalten.
Kürzlich hat die Karikaturistin Catherine Meurisse ihren Rückzug von der politischen Karikatur angekündigt. Meurisse steuerte in den Wochen nach dem Anschlag wie Luzier enorm viele Zeichnungen für "Charlie Hebdo" bei. Doch noch im Frühjahr 2015 brach sie unter der Last der Ereignisse zusammen. In ihrem Traumabewältigungsalbum "Die Leichtigkeit" erzählt sie, was seither geschah. Im Gespräch mit dem Autor über ihre künstlerische Traumabewältigung wollte sie sich nicht zu den Streitigkeiten zwischen Redaktion und Herausgebern äußern. Sie erklärte aber, dass sie zumindest vorübergehend aufhöre, als Karikaturistin zu arbeiten. "Mir sind meine Schlagfertigkeit und Unbekümmertheit abhanden gekommen." Die unbeschwerte Zeit in der alten Redaktion sei für immer verloren. Die Gegenwart, über die sie als Karikaturistin nachzudenken habe, erscheine ihr seit dem Anschlag "obszön und lächerlich".
Irgendwo zwischen obszön, lächerlich und tragisch bewegt sich auch das Schicksal des französischen Satiremagazins. Wirtschaftlich saniert scheint der sprühende und kritische Geist von "Charlie Hebdo" abhanden gekommen zu sein. Die beiden französischen Journalisten Marie Bordet und Laurent Telo haben zudem gerade ein Buch veröffentlicht, in dem sie die Macht- und Verteilungskämpfe innerhalb der Redaktion sowie zwischen den Angehörigen der Opfer und den Haupteigentümern des Magazins aufzeigen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat die wichtigsten Argumente der Autoren in diesem Beitrag hier zusammengestellt.
Die Zerwürfnisse mit den seit dem 7. Januar 2015 psychisch ohnehin angeschlagenen Redakteuren, Karikaturisten und Hinterbliebenen hinterlassen einen überaus faden Beigeschmack. Zwei Jahre nach dem Anschlag ist das Aushängeschild der Meinungsfreiheit und Transparenz zwar finanziell saniert, befindet sich aber dennoch in seiner größten Krise.
2 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schade drum.
edgard am Permanenter Link
Für mich zählen die Inhalte, nicht der Hintergrund. Und die neue deutsche Ausgabe ist gewöhnungsbedürftig wie auch preislich grenzwertig - die Artikel jedoch sind es wert.
Die Themen jedenfalls - ob über Deutschland oder Frankreich sind jedenfalls erfrischend anders.