Vor exakt 50 Jahren fällte der Oberste Gerichtshof in den USA ein bahnbrechendes Urteil, als er ein Gesetz aufhob, das Ehen zwischen weißen und nichtweißen Menschen verbot. Der Fall "Loving vs. Virginia" machte Geschichte. Der amerikanische Regisseur Jeff Nicholls rekonstruiert ihn in seinem sehenswerten Drama "Loving". Ein stiller und empathischer Film, gedreht und gespielt mit bebender Wut.
Der Rassismus ist in den USA zu einer traurigen politischen Tradition, der Journalist Ta-Nehisi Coates hat diese in seinem Buch "Between the world and me" nachhaltig und eindrucksvoll offengelegt. Darin fragt er, wie man in einem Land, in dem es Tradition ist, den schwarzen Körper zu zerstören, in einem schwarzen Köper leben soll. Das Buch erschien noch zur Amtszeit von Barack Obama, der mit seiner Politik der Versöhnung den Versuch unternommen hat, den Anhängern der "White Pride"-Bewegung das Wasser abzugraben.
Die Wahl Donald Trumps, der schon in seiner Kampagne lustvoll die rassistische Karte spielte und dies als Präsident mit umso größerem Selbstbewusstsein tut, ist das sichtbarste Zeichen dafür, dass Obama mit seinem allzu zögerlichen Kurs gescheitert ist. Die amerikanische Kunst- und Kulturszene hat auf Trumps rassistische Politik vielfach reagiert, was nicht beruhigt, aber doch ein gutes Zeichen ist.
Viel mehr Aufmerksamkeit aber sollte man dem Umstand widmen, dass die Filmbranche ihrer Zeit weit voraus gewesen sein muss. Denn seit Trump im Amt ist, ist das Thema Rassismus aus den Kinosälen nicht wegzudenken. Ein sehenswerter Film nach dem anderen erobert die Filmhäuser. Barry Jenkins grandioses Drama "Moonlight", das den Oscar als bester Film gewann, ist das alles überstrahlende Beispiel, weil darin die Themen Rassismus mit Homosexualität, Gewalt und sozialer Deprivation verbunden wird. Gleich danach kommt Raoul Pecks Dokumentarfilm "I’m not your negro", der auf der Basis eines Textes von James Baldwin von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und den drei Ikonen Medgar Evers, Malcom X und Martin Luther King erzählt. Aber auch Denzel Washingtons 50er-Jahre-Biopic "Fences", Theodore Melfis historischer Beitrag "Hidden Figures" oder Jordan Peeles Rassismus-Horror-Film "Get Out" sind klug erzählte Filme, die die Ausgrenzung des Anderen und deren Folgen vielseitig aufgreifen.
Nun kommt mit Jeff Nichols biografischer Rekonstruktion der Geschichte der Familie "Loving" ein weiterer sehenswerter Film in unsere Kinos, der in seiner stillen Beobachtung der Situation die rassistischen Verhältnisse im Amerika der 50er und 60er Jahre vor Augen führt. Der erst 38-jährige Regisseur erzählt in seinem Biopic die außergewöhnliche Geschichte von Richard (Joel Edgerton) und Mildred (Ruth Negga) Loving, die nach wegen der Rassegesetze der 50er Jahre im US-Bundesstaat Virginia nicht miteinander leben dürfen. Sie tun es dennoch, still und heimlich, müssen dabei aber immer auf der Hut sein, nicht ertappt oder verraten zu werden. Als Mildred ein Kind von Richard erwartet, fahren sie ins liberalere Washington D.C. und lassen ihre Ehe eintragen. So viel Konservativismus steckt dann doch in den Köpfen dieses Paares, die keineswegs eine Revolution anzetteln, sondern einfach nur ihre Liebe leben wollten.
Als sie aus Washington zurückkehren, lässt sie der Staatsanwalt von Central Point festnehmen. Mitten in der Nacht fallen seine Sherriffs in das Schlafzimmer des Paares ein und führen die hochschwangere Mildred und den in sich gekehrten Richard wie Terroristen ab. Sie werden in einem überaus zweifelhaften Prozess wegen Verletzung des sogenannten Rassenintegrationsgesetzes zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, deren Vollzug nur unter der Bedingung ausgesetzt wird, dass sie Virginia umgehend verlassen und in den nächsten 25 Jahren auch nicht mehr gemeinsam zurückkehren. In Washington leidet Mildred zunehmend unter der Distanz zu ihrer Familie, weshalb sie sich an Justizminister Robert Kennedy wendet. Dieser gibt den Fall an die "American Civil Liberties Union", die sich für die Lovings einsetzt. Die beiden jungen Anwälte Bernhard Cohen (Nick Kroll) und Philip Hirschkop (Jon Bass) brachten den Fall bis vor den Obersten Gerichtshof der USA, der am 12. Juni 1967 ein bahnbrechendes Urteil zugunsten des Paares fällte. Seither wird am 12. Juni in den USA der Loving-Day gefeiert.
Exakt 50 jahre später kommt nun dieser Film in unsere Kinos, der vor allem im Wechselspiel der Zeichnung der gesellschaftspolitischen Dimension des Falles und der intim-empathischen Beobachtung von Richard und Mildred Loving überzeugt. Beide werden darin nicht zu Heroen stilisiert, sondern als fühlende und verletzbare Menschen gezeigt. Ruth Negga und Joel Edgerton spielen das formidabel, Negga mit der zurückgehaltenen, aber spürbaren Wut der rassistisch ausgegrenzten im Bauch, Edgerton mit der Lethargie des fassungslosen Partners, der nicht mehr will, als sein Leben zu leben.
Die Lovings haben am eigenen Körper erlebt, dass die angeblich gottgewollte Wirklichkeit im amerikanischen Bible-Belt auf Rassismus und Reinheitslehre gebaut war. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Die Staatsordnung, für die sich Trump und sein ultrakonservatives Team rund um Vizepräsident Mike Pence stark machen, dreht an sämtlichen Uhren (vgl. Interview mit dem politischen Direktor der American Humanist Association Mathew Bulger). Jeff Nichols aufrüttelnder Film, der kurz vor den Wahlen in den USA anlief, kam zu spät, um den Triumph der religiösen Hardliner, unter denen rassistische Muster grassieren, zu verhindern.
Nichols macht mit dieser dramatischen Geschichte deutlich, dass es nicht um Politik, sondern um das Leben als solches geht. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es zu Beginn der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 in Kraft trat. Dass davon auch Jahre später in den USA noch nicht viel zu spüren war, davon erzählt nun auch dieser eindrucksvolle Film.