Zehn Sachbücher für den Sommer

Vom guten und gerechten Leben

Sommerzeit ist Urlaubszeit. Die einen zieht es an den Strand, die anderen in die Berge und wieder andere sind auf Städtetour. Doch welche Lektüren lohnen sich neben dem Reiseführer im Gepäck? Für Fans von Philosophie und Fakten folgen hier zehn Sachbücher, die mit interessanten Ansätzen, neuen Perspektiven und strittige Deutungen zum Nachdenken anregen und Erkenntnisgewinn bieten.

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Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Wirthensohn. Verlag C.H.Beck, 576 Seiten. 24,95 Euro.

1. Yuval Noah Harari: Homo Deus

"Eine kurze Geschichte der Menschheit" hieß der Überraschungsbestseller, mit dem der israelische Historiker Yuval Noah Harari 2011 für Furore sorgte. Nicht wegen des Themas, sondern wegen der sensationell erkenntnisreichen Präsentation überzeugte seine Darstellung vom Wirken und Schaffen des Homo Sapiens unzählige Leser. Sein neues Buch schreibt diese Geschichte in die Zukunft fort, denn der Homo Sapiens, so die leitende These dieses nicht nur augenöffnenden, sondern auch wunderschönen Buches, ist ein Modell der Vergangenheit. Wir befinden uns auf dem Weg zum Homo Deus, zu einem gottgleichen Menschen, der in greifbarer Zukunft nicht nur den eigenen den Tod überwunden, sondern sich in seinem Optimierungswahn vielleicht sogar selbst abgeschafft haben wird. Um diese Steile These zu belegen, rekapituliert Harari noch einmal den Siegeszug des Homo Sapiens, der sich erst die Welt Untertan gemacht und ihr dann Sinn gegeben hat. Diese Erfolgsgeschichte endet in der "humanistischen Revolution", dem Hinabwandern der Moral aus dem Götterhimmel auf die Erde. Was dann aber folgt ist die dystopische Erzählung, wie der Mensch die Kontrolle verliert und sich die moderne und selbstlernende Technik gegen den Homo Sapiens selbst wendet. Die Technologie des 21. Jahrhunderts könnte dafür sorgen, dass externe Algorithmen die Menschheit hacken. Es droht eine ferngesteuerte Kultur, die mittels kumulierter Daten eine "Elite optimierter Übermenschen" sowie eine "nutzlose Klasse" hervorbringt. Vom humanistischen Projekt bleibt da nicht mehr viel, wenn nicht der Mensch, sondern Maschinen der Welt ihren Sinn geben. Hararis kluges, anregendes und aufwühlendes Buch ist ein Weckruf, in dem er das Heute analysiert, um die Möglichkeit einer menschlichen Zukunft zu bewahren. Wenn Sie nur ein Buch mit in den Koffer packen wollen, dann nehmen Sie dieses!

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Suhrkamp Verlag, 443 Seiten, 29,95 Euro.

2. Beate Rössler: Autonomie

Ein "Versuch über das gelungene Leben" ist es, den Beate Rössler auf gut 400 dicht geschriebenen Seiten anstellt. Dass ein solcher Versuch unmöglich ohne Selbstbestimmung auskommt, ist für Humanisten eine Selbstverständlichkeit, denn Glück, Zufriedenheit und Lebenssinn sind in erster Linie selbststiftende Werte. Und dennoch gibt es Grenzen der Autonomie, an die man im Alltag immer wieder dann stößt, wenn das Gesellschaftliche in den Vordergrund drängt. Das muss nicht automatisch positiv sein, wie beispielsweise die Debatte um die Würde am Lebensende zeigt, in der die Autonomie des Einzelnen hierzulande deutlich eingegrenzt wird, um den vermeintlichen "Dammbruch" zu verhindern. Die in Amsterdam lehrende Philosophin nimmt all das implizit mit in den Blick, wenn sie – mit zahlreichen Beispielen aus Literatur und Tagebuchkultur – und über das Konzept der Autonomie im gesellschaftlichen Kontext nachdenkt. So zieht das Band der Überlegungen über die Selbstbestimmung von Jane Austen bis hin zu Facebook, denkt über die Ambivalenzen des eigenen Willens oder die Selbsttäuschung nach, stellt Individualismus und gesellschaftliche Verantwortung gegenüber und fragt nach der Wechselwirkung von Perfektionismus und gutem Leben. Ein alle betreffendes Buch, denn wir alle stecken "immer schon bis zum Hals im eigenen Leben".

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Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gregor Hens. Ullstein Buchverlage, 304 Seiten, 22,00 Euro.

3. J. D. Vance: Hillbilly-Elegie

Didier Eribon erklärte in seiner autobiografischen Analyse "Rückkehr nach Reims", wie sich ein Teil der französischen Arbeiterschaft von Sozialisten zu Front National-Anhängern entwickeln konnte. Er landete damit einen überraschenden Beststeller. "Hillbilly-Elegie" ist die amerikanische Version dieser Geschichte, erzählt von dem Juristen J. D. Vance. Vance ist ein Nachkomme irischer Einwanderer, die Bill Clinton als Aufsteiger von unten verehren, im vergangenen November aber dennoch Donald Trump wählten. Vance schildert dieses Milieu, aus dem er kommt, nicht von oben herab, sondern lebendig und nachvollziehbar. Es ist eine aus der Zeit gefallene Gesellschaft, die mit der globalisierten Moderne nichts anfangen kann und sich an überkommene Werte und Traditionen sowie eine archaische Form des Glaubens klammert, in der Hoffnung, etwas von der Würde bewahren zu können, die sie längst verloren haben. Ihre Verlustangst ist der Antrieb, Trump zu folgen. Doch Vance ist das zu wenig. Die Probleme des "White Trash" sind für den Aufsteiger, der selbst aus dieser Schicht kommt und sich mit Bildung und Ehrgeiz aus ihr herausgearbeitet hat, nicht fremd verschuldet. "Wir haben sie selbst geschaffen, und nur wir können sie lösen", schreibt er in seinem Buch, das ebenso persönlicher Rückblick wie Gesellschaftssoziologie ist. Und auch wenn sich etwas im Leser gegen diese Selfmade-Logik sperrt, hört das Nachdenken über das Amerika der Gegenwart nach der Lektüre so schnell nicht auf.

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Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann. Suhrkamp Verlag, 215 Seiten, 24,00 Euro.

4. Tristan Garcia: Das intensive Leben

Lebe das Leben so intensiv du kannst. So intensiv, dass du das Leben in dir spürst. So oder ähnlich lautete die Maxime, die der Philosoph Tristan Garcia vertritt. Der Shootingstar wird in Frankreich für diesen revolutionären Gedanken gefeiert, weil er gegen all das anläuft, was die ausbalancierte Yogagegenwart vom Homo Oeconomicus verlangt. Doch auf der anderen Seite der Wippe des intensiven Lebens droht die Müdigkeitsgesellschaft, wie sie Byung-Chul Han beschrieben hat. Weil die ständige Intensität in allen Bereichen des Lebens die Schraube der Selbstausbeutung des Leistungssubjekts bis zu einem inneren Krieg "in der Seele eines jeden" weiterdreht. Das erkennt auch Garcia, weshalb er eine Ethik der Intensität fordert, um das rechte Maß zwischen dem intensiven Taumel der Lebensbejahung und dem depressiven Abgrund des Burn-Outs zu finden. Sein Essay ist der Versuch einer solchen Ethik, die vor allem als Denkspiel herausfordert. Denn eine wirkliche Antwort hat der junge Franzose nicht. Er fordert eine Emanzipation vom eigenen Gewissen, von dem Bewusstsein, zu wissen, dass etwas nicht richtig ist. Denn "richtig zu leben heißt nicht, so zu leben, wie man denkt", sondern sein eines Leben zu nutzen. Ein Buch, dass zum Denken anregt – über sich selbst, aber auch über die egozentrische Gesellschaft.

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Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp Verlag, 125 Seiten. 12,00 Euro. / Hoffman & Campe, 192 Seiten, 20,00 Euro.

5. Zygmunt Bauman: Die Angst vor den anderen & Das Vertraute unvertraut machen

"Es macht Spaß, Facebook-Freunde zu haben, solange es darum geht, gemeinsam zu schreien, aber sie sind leider kaum von Nutzen, wenn es notwendig ist, gemeinsam zu handeln." Es sind Sätze wie dieser, die den letzten Ruf des großen politischen Philosophen Zygmunt Baumann so lesenswert und die Traurigkeit um den Verlust seiner Stimme – er starb am 9. Januar 2017) umso größer machen. Denn der polnische-britische Soziologe war stets auf der Höhe der Zeit, hat die Verfasstheit der europäischen Gesellschaften früher und präziser gelesen als alle anderen. Er schrieb schon über das "verworfene Leben" des Prekariats, als Berufspolitiker noch gar nicht wahrhaben wollten, dass es mitten in Westeuropa vom Wohlstand abgehängte Menschen gibt. Am Ende seines Lebens dachte er über die Panikmache nach, die mit der Migration nach Europa eintrat und in deren Folge sich die "ideologisch inspirierte moralische Blindheit" Bahn brach. "Die Angst vor den anderen" versammelt seine Gedanken und Erklärungen zu dem Thema, das sich auch in den lesenswerten Gesprächen mit Peter Haffner über Liebe, Geschichte und Verantwortung, Religion, Glück und Moral niederschlägt. Ganz nebenbei erklärt der bekennende Atheist dabei noch, warum der Glaube an einen nicht existenten Gott rationale Gründe haben kann.