Kunst- und Meinungsfreiheit

Entscheidung im "Jodl-Prozess" vertagt

Am gestrigen Donnerstag verhandelte das Landgericht München I über den Einspruch gegen eine einstweilige Verfügung gegen den Aktionskünstler Wolfram P. Kastner. Die Verfügung des Gerichts war "… mit der Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro oder einer Haft bis zu 6 Monaten …" verbunden und verbot Kastner "… an dem Grabstein/Grabdenkmal Schilder anzubringen ... Buchstaben … auszubrechen ... Farbe auf den Grabstein/Grabdenkmal aufzubringen ... den Grabplatz zu betreten ...", also Aktionen, welche der Künstler in der Vergangenheit durchgeführt hatte.

Der hpd dokumentiert die Verhandlung mit einem ausführlichen Protokoll und einer kurzen Stellungnahme von W. P. Kastner zum Ausgang des Verhandlungstages.

Prozessprotokoll

Schon wenige Minuten vor Beginn der Verhandlung wurde wegen des großen Interesses der Zugang zum Gerichtssaal weiteren Besuchern verweigert. Ausnahmen gab es ab sofort nur noch für anwesende Pressevertreter und damit war der Prozessauftakt, der kurzfristig in einen größeren Saal verlegt und zusätzlich bestuhlt wurde, bis auf den letzten Stehplatz belegt und der Saal wegen Überfüllung geschlossen. Im Saal durften Pressevertreter letzte Aufnahmen vor Beginn anfertigen.

Die Begrüßung des Richters wurde zudem umgehend vom Verteidiger des angeklagten Künstlers mit einem Antrag unterbrochen, welcher das Entfernen eines direkt über dem Richter platzierten Kruzifixes forderte. Dieser Antrag wurde vom Richter mit einer kurzen Frage an den Anwalt des Klägers beantwortet, ob dieser etwas gegen das Abhängen habe. Dieser zögerte zwar kurz, stimmte dem jedoch zu. Im Anschluss wurde das Kreuz vom Richter vielleicht auf die wohl schnellste und unkonventionellste Art von der Wand genommen und unter einem seitlichen Tisch verstaut, welche es bis dato je in bayerischen Gerichten gegeben hatte.

Von Schnelligkeit konnte von der etwa 100-minütigen Verhandlung nicht die Rede sein. Auf einen weiteren Antrag des Vertreters der Anklage wurde ein neuer Zeuge nach draußen gebeten. Im Anschluss stellte der Richter klar, "… dass es sich heute nicht um eine Verhandlung über das Strafverfahren gegen den Künstler Kastner handelt, sondern um die Verhandlung auf Erlass einer einstweiligen Verfügung …" und betonte, dass es sich hierbei um Zivilrecht und nicht um Strafrecht handeln würde. Die Verhandlung fände auch nur statt, "… da Kastner gegen den Erlass vom 06. Oktober 2016 Einspruch eingelegt hatte …".

Wolfram P. Kastner auf der Anklagebank, Foto: © David Farago
Wolfram P. Kastner (Mitte) auf der Anklagebank, Foto: © David Farago

In einer umfangreichen Feststellung des Sachstands begann der Richter mit Erläuterungen über die Gegebenheiten der Begräbnisstätte. A. Jodl befände sich nicht in diesem Grab, Jodl sei verurteilter Kriegsverbrecher und er wurde mit dem damals höchsten Maß der Bestrafung verurteilt und nach seiner Hinrichtung und Einäscherung wurde seine Asche bewusst nicht auf einem Friedhof vergraben, sondern in der Isar gestreut. Er betonte auch, dass sich beide Parteien einig darüber wären, welche Geschichte mit A. Jodl verbunden und wer Eigentümer der Grabstelle sei, die Gemeinde und nicht der Kläger.

Anschließend folgte die Sachfeststellung des Richters zur Geschichte der Aktionen von W.P. Kastner an dieser Grabstelle. 2015 beantragte Kastner beim Bürgermeister der Gemeinde Frauenchiemsee die Entfernung der Steinaufschrift zu A. Jodl oder die dauerhafte Anbringung eines Schildes, welches über die NS-Verbrechen des Kriegsverbrechers aufklärt. Da dies unbegründet ausbliebt, installierte Kastner eine Tafel auf dem Stein, welche erst verhüllt und dann entfernt wurde. Nach einer erneuten Anbringung der "Aufklärungstafel" auf dem Stein und einer zusätzlichen roten Farbe über der Schrift zu A. Jodl, welche der Künstler aufbrachte, wurde im folgenden Monat die Demontage und aufwendige Reinigung des mittleren Teils des Grabsteins, dem Bereich von A. Jodl, durch den Eigentümer der Grabstelle veranlasst. (Dem ging eine unprofessionelle Reinigung durch Neonazis vorweg, welche in einschlägigen Seiten mit Fotos belegbar ist.) Nach erneuter Montage auf der Grabstelle verunreinigte der Aktionskünstler den mittleren Teil des Grabes erneut mit roter Farbe und handelte sich in Folge dessen die zu verhandelnde Verfügung ein.

Zudem streiten sich die Parteien über die Beschmutzung durch rote Farbe, stellte der Verhandlungsleiter fest. Der rechtliche Vertreter von Kastner war der Meinung, dass der Anspruch des Klägers Herr Fisser nicht geltend gemacht werden könne, da dieser nicht Eigentümers der Grabstelle sei. Dessen Anwalt entgegnete jedoch, sein Mandant hätte die Nutzungsrechte für das Familien-Grab Jodl geerbt. W. Kastner bezweifelte jedoch die Gegebenheit der Nutzungsordnung, da Jodl dort nicht begraben sei.

Der Richter stelle fest, dass in diesem Fall Herr Kastner Handlungsträger und Herr Fissel Nutzungsträger sei. Dagegen erwiderte der Aktionskünstler, dass J. Fissel auch ideell Unterstützer der Verehrer des Kriegsverbrechers sei und berief sich erneut auf seine Kunstfreiheit. Diese wurde ihm von zusammenfassenden Richter bestätigt und mit dem Recht auf Meinungsfreiheit ergänzt. Herr Fisser berufe sich jedoch auf Straftatbestände, doch wie anfangs geschrieben, ginge es darum heute nicht, betonte der Richter. Im Anschluss berief sich die Klägerseite noch auf die Menschenwürde des toten Herrn A. Jodl, welche über den Tod hinaus bestehen würde und da sei ein Recht auf eine Grabstelle mit inbegriffen. (Bei dieser Aussage kam es im Gerichtssaal zu Geraune und unterdrücktem Lachen.) Der Kläger schloss den Vortrag zum Sachstand mit der vermuteten Gegebenheit der Wiederholungsgefahr.

Die Nachfrage des Richters an Kastner, ob dieser weitere Aktionen vorhätte, wurde von diesem an die Entfernung der schriftlichen Erwähnung Jodls auf dem Grabstein abhängig gemacht. Es wurde festgestellt, dass Fissel zur Verfügung berechtigt sei und beide Parteien wurde die Frage entgegengebracht, ob es eine Einigung geben kann mit Hinblick bis zum Ende des Nutzungsrechtes der Grabstelle 2018. Darauf erwiderte der Verteidiger der Seite des Angeklagten, "… dass der Fingerzeig nicht mehr auffälliger möglich …" wäre und dennoch nicht zu dulden sei, "… dass das Kreuz ohne Hinweistafel auf die Kriegsverbrechen von Jodl installiert bleibt." Wolfram P. Kastner realisierte das Angebot des Richters bereits in der Vergangenheit, Fissel lehnte dieses jedoch ab, "… da Jodl unschuldig sei …", worauf der Anwalt von Fissel den Aktionskünstler Kastner der Lüge bezichtigte. Weiter noch, er betonte sogar, dass es sich bei den Aktionen von Kastner um "… Straftaten und (somit) Gewaltakte handeln würde …" und zudem hätte er eine weitere einstweilige Verfügung gegen die Verantwortlichen der Nazi-Aufmärsche vor der Grabstelle beantragt, was er erneut damit begründete, dass "… das Familiengrab zu schützen sei …".

Landgericht München
Die Verhandlung fand vor dem Landgericht München I statt, Foto: © David Farago

Kastners Anwalt hielt diese Ausführungen für Unsinn und überzogen, da Jodl dort nicht begraben sei. Zudem hätte sich Herr Fissel durch die Wiedererrichtung des nur in der Mitte gereinigten Grabsteins mit dem Tatbestand der Volksverhetzung schuldig gemacht. Nicht zuletzt wäre der Fingerzeig von Kastner gegen den entstandenen Schaden abzuwägen. Den Ausführungen von Kastners Anwalt entgegnete der Anwalt des Klägers erneut mit der Aussage, dass hier "… Lügen dabei …" seien und berief sich wiederholt auf die geerbten Nutzungsrechte von Herrn Fisser. Zudem betonte er, dass dort tatsächlich zwei Frauen von Jodl begraben seien und es sich um ein Familiengrab handeln würde.

Dagegen erwiderte der Angeklagten-Verteidiger, "… dass es keine Gesetzgebung geben würde, welches Grabrechte für Personen ohne sterbliche Überreste einräume …", das sei hier jedoch von Fissel gefordert worden. Der Anwalt von Fissel entgegnete, dass es zahlreiche solche Fälle geben würde. Wolfram Kastner stellte den Unterschied zu diesen Fällen deutlich, da es der Stein der Grabstelle Jodl erst in den 50er Jahren installiert wurde und sogar ein auffallendes Ehrenkreuz für militärische Ehren Jodls angebracht worden sei.

Nach dem erneuten richterlichen Vorschlag auf eine Einigung zur Anbringung einer Tafel bestand Kastner auf seine Schildgröße, was von seinem Anwalt mit "Etwas kleiner geht auch!" bestätigt wurde. Der Anwalt des Klägers bezeichnete die Anbringung einer Tafel als kontraproduktiv. Auf die Frage des Künstlers Kastner an den Anwalt von Fissel antwortete dieser erneut mit der Aussage, dass die Aktionen von Kastner "… als Gewaltakt …" zu sehen seien. Nachdem der Anwalt des Beklagten eine momentane Güteeinigung für nicht möglich hielt, verlangte er den draußen immer noch wartenden Zeugen zur Friedensstörung des Friedhofs durch ungewünschte Besucher reden zu lassen. Fissers Jurist wollte das nicht und begründete dies, da der Zeuge Unterstützer von Kastner sei.

Dennoch nahm der Richter den Antrag auf die Anhörung des Zeugens an und gab zu Protokoll, dass eine gütliche Einigung zum aktuellen Zeitpunkt nicht in Betracht kommen würde. Einen weiteren Antrag, dass sich Betroffene durch die Verehrungs-Besuche der Jodl-Grabaufschrift gestört fühlen würden, vor allem durch das Gedenkehrenkreuz und die Tatsache, dass es lange vor Kastners Aktionen Verehrungs-Besucher am Grab gegeben habe, nahm der Richter an und gab es zu Protokoll. Zudem wurde aufgenommen, dass der Klägervertreter dies wegen "… Nichtwissen …" bestreiten würde.

Nachdem Zeuge W. auf seine Wahrheitspflicht als Zeuge und dessen rechtliche Folgen hingewiesen wurde, sagte dieser aus, dass seine Familie schon sehr lange über dieses Grab sprechen würde. Sie seien in der sechsten Generation Anwohner und seine Großeltern und seine Mutter bereits dort lebten und begraben sind. Er und seine Familie seien unzählige Male auf die Verehrung des Jodl-Grabes hingewiesen worden. Aufgefallen sei, dass dies sehr viele Touristen, in erster Linie ausländische, wären, welche die Geschichte über A. Jodl korrekt wiedergeben könnten. Einheimische besuchten dagegen mehrfach andächtig das Ehrengrab, den Grund dafür erkannte er jedoch nicht. Auf die Frage, ob es weitere Gräberangehörige gäbe, was diese sagen würden und in wie weit diese nicht mit der Verehrung des Jodl-Grabes einverstanden wären, antwortete Zeuge W. deutlich mit "Ja, auch das ist mir passiert!" und "Familie v. B. hätten das Nachbargrab und diese sind auch unzufrieden!" Zudem wären weitere Personen auf den Zeugen zugekommen und hätten sich bedankt für sein Engagement, sich gegen die Verehrung Jodls stark zu machen.

Die Aussage, dass der Altbürgermeister L. auf Nachfragen mit "… es sei nichts zu machen …" antwortete, bestätigte der Vertreter von Kastner und ergänzte, dass der Altbürgermeister die mehrfachen Besuche von Jodl-Verehrern bestätigt hätte. Zeuge W. hätte solche Besuche nicht gemacht, erwähnte allerdings den Antrag eines Gemeinderates für die Entfernung des Ehrengrabes. Ergebniserkenntnisse lägen jedoch nicht vor. Auf die Frage des Kläger-Anwalts antwortete der Zeuge W., dass er keine freundschaftliche Beziehung zu Kastner hätte, ihn jedoch seit der ersten "Brandfleck-Aktion" kennen würde und es auch einen brieflichen Austausch gegeben hätte.

Nach einer Unterbrechung der Verhandlung durch einen älteren Herrn, welcher bei der Verhandlung Bilder machte und einige Zeit benötigte, die gemachten Fotos nach Verlangen des Richters sofort zu löschen, ging das Kreuzverhör des Zeugen durch den Klägeranwalt weiter. Dieser wollte wissen, ob Zeuge W. schon vor der ersten Aktion von Kastner am Jodl-Grabstein mit dem Künstler in schriftlichem Kontakt stand, was dieser zeitlich nicht einordnen konnte und somit vom Zeugenstand entlassen wurde.

Es folgte ein Antrag vom Anwalt der Angeklagten-Seite, dass eine Befriedung möglich sei, jedoch nur mit der Entfernung der mittleren Aufschrift des Grabsteins vom Familiengrab Jodl. Der Anwalt der Gegenseite möchte sich zuvor jedoch erst mit weiteren Angehörigen absprechen und stellt eine Einigung tatsächlich in Aussicht, wenn die Angeklagten-Seite die bereits entstandenen Kosten von etwa 4.000 Euro und der zusätzlich anfallenden Kosten für die Entfernung der mittleren Grabsteinaufschrift übernehmen würden.

Die Urteilsverkündung wurde durch den Richter auf den 17.02.2017 vertagt. Zuletzt wurden die Anträge der Angeklagten-Seite auf Zurückweisung der einstweiligen Verfügung und den Antrag der Klägerseite auf Aufrechterhaltung der Verfügung und damit der Abweisung des Antrags der Angeklagten-Seite vorgetragen. Die Verhandlung wurde durch den Richter um 12:13 Uhr beendet.

Stellungnahme Kastner

Kastner beurteilte im Anschluss die Verhandlung mit den Worten, dass er die offene und sachliche Art und die Korrektheit des Richters begrüßt. Die Verbrechen Jodls seien deutlich herausgestellt worden und der Richter neige dazu, die Verfügung zurück zu nehmen, er gehe sogar davon aus, dass er dies tun wird.

Wolfram Kastner nach der Verhandlung, Foto: © David Farago
Wolfram Kastner nach der Verhandlung, Foto: © David Farago

Herausragend fand der Aktionskünstler, "… er habe noch nie einen Richter so schön eine Kreuzesabnahme durchführen sehen …" und betonte die mörderische Bedeutung eines Kreuzes mit Leichnam in einem Gerichtssaal.

Zudem habe er den Eindruck, dass der Kläger sich nicht öffentlich bekennen würde, dass es ihm "… ansehnlich ein höheres Anliegen ist, das Kreuz bis zu seinem letzten Atemzug aufrecht zu erhalten!" Das könne man daran sehen, dass mit der bemerkenswert nur mittigen Reinigung des Grabsteins die Verehrung von A. Jodl aufrechterhalten werden solle.

Zuletzt betonte der angeklagte Künstler, dass er nur für die farbigen Verunstaltungen und nicht für die Schildmontagen angezeigt wurde. Seine Gegenanzeige "wegen Verharmlosung von Verbrechen der Nazis und wegen Volksverhetzung" stehen noch ohne weiteren Ergebnisse zu seinem Projekt, das unsägliche Ehren-Grab von A. Jodl für alle Zeit verschwinden zu lassen.