Mit ihren Aktionen "Das Kernproblem der katholischen Kirche" und "Die schonungslose Aufarbeitung des Missbrauchsskandals" hat die Giordano-Bruno-Stiftung starke Bilder geliefert, die international Aufmerksamkeit erregten und die Anliegen der Opfer des katholischen Missbrauchsskandals in den Mittelpunkt rückten. Für den hpd schildert Kampagnenleiter David Farago die Hintergründe der aufsehenerregenden Events vor dem Kölner Dom.
Manchmal muss es rasend schnell gehen: Nachdem ich am Rosenmontag den Karnevalswagen "Das Kernproblem der katholischen Kirche" gesehen hatte, reifte in mir der Gedanke, dass der "Eichelbischof" von Jacques Tilly zur Eröffnung der Deutschen Bischofskonferenz vor dem Kölner Dom stehen sollte. Noch am selben Tag traf der Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) die Entscheidung, die Aktion durchzuführen und die Mittel dafür bereitzustellen. Schnell kontaktierte ich die Vertreter der Betroffeneninitiativen, mit denen wir schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatten, sowie Jacques Tilly, der mit seinem Team dafür sorgte, dass die vom schlechten Rosenmontags-Wetter gezeichnete "Kopfbedeckung" des Bischofs zeitnah repariert wurde.
In einer viertägigen Vorbereitungszeit wurde das Aktionsteam zusammengetrommelt, die Versammlungsbehörde Köln mit einer achtseitigen Versammlungsanmeldung konfrontiert sowie eine Pressemitteilung formuliert, die auf den Webseiten der gbs und des hpd veröffentlicht wurde. Erst am Tag vor dem Versammlungsbeginn kam das OK der Behörde. Zu diesem Zeitpunkt war das Team des "11. Gebots" allerdings bereits in Düsseldorf und hatte den "Eichelbischof" auf den Transportanhänger geschnallt. Auf dem Weg von Düsseldorf nach Köln erreichte uns ein Anruf des WDR für erste Aufnahmen vor der Domplatte, die gerade noch pünktlich für die 19.30-Uhr-Sendung im Kasten waren und ausgestrahlt werden konnten.
Wie sich zeigte, waren wir genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Die provokative Skulptur vor dem weltberühmten Kölner Dom war ein Magnet für die Presse und lenkte das mediale Interesse auf die Forderungen der Betroffenen. In unzähligen Interviews konnten sie auf ihre Petition hinweisen und die Neugründung des Aktionsbündnisses der Betroffeneninitiativen öffentlich bekanntmachen.
Nach der Aktion ist vor der Aktion
Zu Hause angekommen entstand schnell die Idee zu einer zweiten Aktion, die punktgenau zur Veröffentlichung des zweiten Missbrauchsgutachtens in Köln stattfinden sollte. In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an den "Hängemattenbischof", den Jacques Tilly für den Rosenmontagszug 2019 geschaffen hatte. Normalerweise werden die Karnevalswagen bereits an Aschermittwoch zerstört – nicht aber der Wagen zur "schonungslosen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle", der 2019 mit Unterstützung der gbs wetterfest gemacht und nach Polen transportiert wurde, wo er viele Monate lang die Anliegen der dortigen Betroffeneninitiativen verdeutlichte. Ich fragte mich: Existierte der "Hängemattenbischof" noch? Falls ja: Wäre es möglich, ihn rechtzeitig nach Deutschland zu bringen? Und würde sich dieser Aufwand überhaupt lohnen? Ich diskutierte das Für und Wider der Idee mit Michael Schmidt-Salomon und Herbert Steffen vom gbs-Vorstand sowie gbs-Geschäftsführerin Elke Held. Glücklicherweise kamen sie in ihrer Kosten-Nutzen-Analyse zu einem positiven Ergebnis – und alles Weitere nahm seinen Lauf.
Nachdem der "Hängemattenbischof" aus Polen eingetroffen war, restaurierte das Tilly-Team die Figur und übermalte den polnischen Schriftzug mit einem deutschen. Das Aktionsteam stand bereit, die Hotelzimmer waren gebucht, die Versammlung wurde angemeldet und die dazugehörige Pressemitteilung formuliert. Sogar die örtliche Polizeibehörde spielte mit und erteilte den Versammlungsbescheid in Rekordgeschwindigkeit. Zur Veröffentlichung des Kölner Missbrauchsgutachtens konnten wir also erneut mit einer aufsehenerregenden Skulptur vor dem Kölner Dom stehen.
Internationale Beachtung
Schon im Vorfeld hatten uns mehrere Presseanfragen erreicht. Das mediale Interesse war noch größer als beim "Eichelbischof" drei Wochen zuvor – insbesondere am zweiten Tag der Aktion, als wir nach der offiziellen Pressekonferenz des Kölner Bistums eine alternative Pressekonferenz mit den Betroffeneninitiativen auf der Domplatte veranstalteten. Der Andrang war enorm. Zeitweise gab es einen regelrechten Streit der Medienvertreter darüber, wer welchen Betroffenen zuerst interviewen durfte. Besonders begehrt war Matthias Katsch, der als Geschäftsführer der Initiative Eckiger Tisch viele Interviews geben musste, aber auch andere Betroffene kamen in den Medien ausführlich zu Wort. Mit einigen von ihnen führte die Filmemacherin Ricarda Hinz (gbs) auf der Domplatte kurze Video-Interviews, die nun in der Dokumentation "Opfer im Nebel – Jetzt reden die Betroffenen!" zu sehen sind.
Zum Abschluss unseres dreitätigen Events ist abends noch eine satirische Bilder-Serie entstanden, die unseren missglückten, allerdings auch nicht ganz ernst gemeinten Versuch dokumentiert, den "Hängemattenbischof" dem Erzbistum Köln zu übergeben.
Übrigens wurde uns erst im Nachhinein so richtig bewusst, wie stark die Aktion öffentlich wahrgenommen wurde. Zwar hatten wir mitbekommen, dass der Hängematten-Bischof es in die Fernsehnachrichten und in viele deutsche Zeitungen geschafft hatte, überrascht hat uns aber, dass er auch weltweit die Schlagzeilen schmückte, von Australien über Panama bis Japan. Er schaffte es in die Washington Post und war im britischen Guardian unter den "besten Fotos des Tages".
Die verhängnisvolle Komplizenschaft von Staat und Kirche
Unser Ziel war es, eine möglichst breite Öffentlichkeit für das Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen herzustellen. Genau dies ist seit jeher unser Anliegen: Nicht die Täter sollten die Debatte bestimmen, sondern die Opfer! In erster Linie müssen die Betroffenen gehört werden! Leider ist dies in der Vergangenheit kaum geschehen, da die Leidtragenden des sexuellen Missbrauchs gegen ein mächtiges Interessenkartell antreten mussten. Staat und Kirche haben – auch auf diesem Gebiet – lange zusammengearbeitet und verhindert, dass die sexuelle, physische und psychische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche an die Öffentlichkeit kam.
Bedauerlicherweise gab es nur sehr wenige Organisationen, die den Betroffenen in ihrem Kampf um Anerkennung und Entschädigung zur Seite stehen wollten. Die Giordano-Bruno-Stiftung hat dieses Problem früh erkannt: Schon 2006 wies sie in ihrer "Petition gegen die religiöse Fundierung von Bildung und Erziehung" auf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen hin, die in kirchlichen Heimen stattgefunden haben. 2010 organisierte die Stiftung die große Heimkinder-Demo "Jetzt reden wir!", bei der die Betroffenen – flankiert von der berühmten "Prügelnonne" – durch das Brandenburger Tor marschierten. Im gleichen Jahr sorgte die gbs dafür, dass die Heimkinderverbände dem Abschluss-Bericht des "Runden Tisches Heimerziehung" vor Ort, nämlich im Haus der Bundespressekonferenz, mit kritischen Argumenten entgegentreten konnten. Darüber hinaus zeigte die Stiftung in einem Präzedenzfall auf, dass die Vorschläge des "Runden Tisches" völlig unzureichend waren und sogar hinter geltendes Recht zurückfielen.
Das Thema Missbrauch hat die gbs auch in den letzten Jahren beschäftigt: So hat das von der Stiftung gegründete Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) 2018 bundesweite Strafanzeigen gegen kirchliche Missbrauchstäter gestellt. Noch auf der letzten Veranstaltung, die 2020 vor der großen Corona-Pause am Stiftungssitz stattfinden konnte, forderte der namhafte Kriminologe Christian Pfeiffer sowohl die Bischofskonferenz als auch die Bundesregierung mit großem Nachdruck zu "Transparenz und Gerechtigkeit" für die Missbrauchsopfer auf. Wie man sieht, sind die jüngsten Aktionen vor dem Kölner Dom nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sie stehen vielmehr in einer langen Tradition von Stiftungsaktivitäten auf diesem Gebiet.
Zum Schluss dieses kurzen Berichts darf ich nochmals allen danken, die – neben den Betroffeneninitiativen – zum Erfolg der beiden Aktionen beigetragen haben: Besonderer Dank gilt meinen beiden Mitstreitern vom "11. Gebot", Maximilian Steinhaus und Roy Thormann, die wieder einmal vollen Einsatz gezeigt haben, dem Team von Jacques Tilly, mit dem die Zusammenarbeit erneut bestens geklappt hat, sowie den Verantwortlichen der Giordano-Bruno-Stiftung, ohne deren schnelle Entscheidungen und unterstützende Aktivitäten nichts von alledem möglich gewesen wäre. Zu danken habe ich auch Gisa Bodenstein für die Berichterstattung im hpd sowie dem Kölner Stadtkunstprojekt "Raum13", das uns die Gelegenheit gab, unsere Skulpturen nachts unterzustellen und vor Beschädigungen zu schützen. Wir haben uns am vergangenen Samstag mit einem weinenden Auge von diesem großartigen Kunstprojekt verabschiedet, das vielleicht schon bald nicht mehr existiert. Ich hoffe sehr, dass die Stadt Köln diese weitere Schwächung der Kunstszene, die unter Corona ohnehin zu leiden hat, noch verhindern wird.
4 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Der Film ist sehr anrührend und ehrlich. Im positiven Sinne zum Heulen.
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Es gibt nur einen Weg für Bürger (aus meiner Sicht:
Austreten! Gerne auch danach weiterhin glauben, solange dieser Glaube niemandem (!) schadet.
Die Politik müsste erwirken:
1.) Dass die Taufe keinen Eintritt des Täuflings in was auch immer erwirkt.
2.) Dass die Kirchen privatisiert werden.
3.) Dass die Kirchen der weltlichen Gerichtsbarkeit unterliegen.
4.) Dass jegliche und über das Übliche hinausgehende finanzielle Unterstützung durch den Staat aufhört.
5.) Dass der Staat das Vermögen der Kirchen nutzt, um Opfer zu entschädigen.
6.) Dass die Taufe jeden Bürgers per Gesetz für nicht rechtlich bindend erklärt wird (wenn der Täufling bei der Taufe noch nicht das 14. Lebensjahr erreicht hatte). Es steht jedem frei, danach aktiv per eigenem Willen wieder in die Kirchen einzutreten.
7.) Rücktritte (oder Nichtrücktritte wie im Fall Woelki 7) reichen nicht zur "Sühne". Es müssen Gerichtsverfahren von unabhängigen weltlichen Gerichten gegen alle Verschweiger, Vertuscher, Täterversetzer, Aktenwegschmeißer, Aktennichtherausgeber und Marginalisierer sowie gegen alle aktiven Täter stattfinden. Je nach Fall mit empfindlichen Haft- oder Geldstrafen.
Wer in der katholischen Kirche noch bleibt, macht sich mitschuldig, dass sich der Betrieb nicht ändert. Wenn ein Kern der Kirche wahrhaftig an den barfüßigen Wanderprediger glaubt, dann soll sie sich so verhalten: Den Mammon an die Bedürftigen verteilen, für zehn Jahre ein Cilicium überstreifen und die unmenschliche Sexualmoral wegschmeißen, den Zwangszölibat aufgeben.
Dann würde die Kirche für viele unattraktiv, aber wenigstens ehrlich...
sitha Berg am Permanenter Link
Sehr richtig, ich habe mir erlaubt Ihren Text (ohne Nmaensnennung)für ein Kirchenaustrittsflugblatt zu nutzen, dass ich beim Osterspaziergang verteilen werde. Ist dich sicher in Ihrem Interesse?
LG Sitha
Hermann Krah am Permanenter Link
Vielleicht nehmen Sie einen bildhaften Vergleich mit auf Ihr Flugblatt:
Vom sterbenden Pferd absteigen, neues Halfter oder anderes Futter oder Vitaminaufbauspritzen zögern nur hinaus.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Wenn ich Kommentare von mir öffentlich stelle, dürfen sie von der Öffentlichkeit genutzt werden. Gerne auch mit Namensnennung. Ich stehe zu jedem einzelnen meiner Worte...