Heute beginnt die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Aktionskünstler David Farago leitet eine parallel stattfindende Protestkundgebung vor dem Kölner Dom, um die unzureichende Aufarbeitung der Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder in der katholischen Kirche anzuprangern. Dazu lud er auch den Missbrauchsbeauftragten der DBK, den Trierer Bischof Stefan Ackermann, ein. Der hpd veröffentlicht das Anschreiben.
Sehr geehrter Herr Ackermann,
noch immer beeindruckt bin ich davon, dass Sie Ihr Wort gehalten haben, gekommen sind und mit mir in Fulda ein Stück von "Ihrer" Bank abgesägt haben. Auch wenn ich überzeugt davon war, dass Sie kommen werden, es war ehrenhaft zu sehen, dass es noch Menschen gibt, die zu ihrem Wort stehen. Dass die Aktion für mich nicht nur Klamauk war, sondern mir aus tiefster humanistischer Überzeugung etwas daran liegt, mich für Missbrauchsopfer und ihre Interessen zu engagieren, hatte ich Ihnen schon in Fulda gesagt. Schon da habe ich an Ihrem Gesichtsausdruck gemerkt, dass diese Botschaft bei Ihnen angekommen ist und Sie wirkten ehrlich, echt und betroffen. Sehr gefreut hat es mich auch, dass Sie sich spontan Zeit genommen und sich in aller Öffentlichkeit auf Augenhöhe mit Herrn Katsch – meinem Eindruck nach – offen und ehrlich, sachlich und konstruktiv unterhalten haben, wie es das in dieser Form vermutlich noch nie gab. Erfreulich war zudem zu beobachten, wie aufmerksam Sie zuhören können. Viel zu oft wurde von Verantwortungsträgern nicht zugehört. Dafür meine Hochachtung und ein großes Dankeschön von mir!
Hier das Video unserer gemeinsamen Aktion, vom Absägen "Ihrer" Bank und dem Gespräch mit Herrn Katsch:
Leider waren wir, war besonders auch ich, enttäuscht darüber, dass die in Fulda kurz danach veröffentlichten Ergebnisse zur Entschädigung von Missbrauch noch hinter den Ergebnissen von Mainz zurückgeblieben sind. Einige Personen, mit denen ich in Fulda demonstriert habe, haben schwerste Vergewaltigungen und nicht selten nicht nur einmalig erleben müssen. Es war unfassbar bewegend und gleichzeitig sehr traurig, als ich in den Gesprächen beim Abendessen in Fulda von ihnen erzählt bekommen habe, was sie erlebt haben und wie mit ihnen seit den Taten umgegangen wurde. Da sind erwachsene Männer, die am ganzen Körper zittern oder innerlich beben, wenn sie über ihr unsägliches Leid und von ihren Erfahrungen erzählen. Das hat mich sehr aufgewühlt, mehrfach war ich den Tränen nahe. Besonders unfassbar ist, wie mit vielen seit Jahren umgegangen wird, ihnen nicht geglaubt wird oder schwerste Verbrechen heruntergespielt werden. Dies treibt mich an, macht mir Mut, diese Menschen weiterhin überzeugt zu unterstützen, dafür zu sorgen, dass sie gehört werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass das nur über die Öffentlichkeit geht, dass es laut sein muss und es nicht nur überfällig ist, sondern der Kirche selbst auch wertvoll sein sollte, da sie es eigenständig augenscheinlich nicht schafft.
In Absprache mit verschieden Betroffenen sind wir schon in Fulda zum Entschluss gekommen, dass das symbolisch gemeinsam mit Ihnen abgesägte Stück Bank wieder angeleimt werden muss. Das haben wir trotz Ankündigung bis heute nicht erledigt. Ich gehe davon aus, dass sogar Sie mit den Ergebnissen aus Fulda unzufrieden sind.
Daher lade ich Sie hiermit hochoffiziell ein, öffentlich und gemeinsam mit mir als Schreinermeister und Aktionskünstler das Stück Bank am kommenden [gemeint ist der heutige, Anm. d. Red.] Dienstag in Köln, voller Demut, aber überzeugt, fachgerecht und symbolisch wieder anzuleimen.
Alles dafür Nötige werde ich dabei haben und auf Sie warten. Wir haben eine Versammlung auf der Domplatte vor dem Hauptportal des Kölner Doms angemeldet und sind zuversichtlich, dass wir am Montag einen bestätigenden Versammlungsbescheid dafür erhalten werden [erwartungsgemäß liegt dieser seit gestern vor, Anm. d. Red.]. Mir ist unbekannt, ob Sie an diesem Tag zum Beginn der digitalen Frühjahrsvollversammlung nach Bonn reisen oder in Trier bleiben, würde mich jedoch sehr freuen, wenn Sie meine Einladung annehmen und mir dies vorab mitteilen. Ich bin mir sicher, dass Sie die Einladung überzeugt und gerne annehmen möchten und dies auch terminlich möglich ist. Wir sind nächste Woche von Dienstag bis Donnerstag ganztägig vor Ort anzutreffen, möglicherweise passt für Sie ein Termin an einem anderen Tag zu einer anderen Tageszeit besser. Vielen Dank für eine schriftliche oder telefonische Rückmeldung.
Hochachtungsvoll, mit freundlichem Gruß
David Farago
Hinweis der Redaktion (24.02.2021): Bischof Stefan Ackermann hat gestern Abend persönlich auf die Einladung geantwortet und seine Absage erklärt.
13 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Vor allem "laut", sehr laut!
Viel Erfolg, David.
Mosesschöpfer am Permanenter Link
Waren wir laut genug? ;-)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich hoffe doch! Konnte leider nicht dabei sein...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
David, das ist ein ganz toller Brief, der Ackermann zur Aktion geradezu zwingt. Menschlich und einfühlsam, dein ehrliches Anliegen dokumentierend.
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Dazu gehören strukturelle Veränderungen, die tief in den Katholizismus eingreifen - und eingreifen MÜSSEN, wenn sich etwas grundlegend ändern soll. Es geht - in die Zukunft geschaut - nicht um Entschädigung von Opfern, sondern um deren Vermeidung. Dazu gehört die Aufgabe des Zwangszölibats, aber auch - noch wichtiger - die Anpassung der Sexualmoral an die heutige Zeit. Es geht um ein klares Signal der Kirche nach innen, dass Missbrauch nicht mehr geduldet oder vertuscht wird. Dass Täter nicht nur versetzt, sondern der Staatsanwaltschaft gemeldet werden.
Vielleicht bekommt dann die Kirche weniger Zulauf, auf jeden Fall wird sie kein Hort der verklemmten Sexualneurotiker sein, die dort ihre Spielwiese sicher wissen. Mir ist bewusst, dass damit die katholische Kirche einen Großteil ihres Markenkerns aufgibt, da ihre prüde Sicht auf Sexualität, die sogar Masturbation unter göttliche Strafe stellt (im neusten Katechismus stark verharmlosend formuliert, aber in der Sache trotzdem deutlich), von vielen Anhängern als wesentlich wahrgenommen wird ("Zucht und Ordnung, keine Lotterleben in Wollust und Sünde, wie in Sodom und Gomorra").
Doch es hilft nichts. Die katholische Kirche MUSS sich neu erfinden oder die letzten Schäfchen werden austreten, weil dieses Verhalten und dieser mittelalterliche Kodex heute nur noch von einer unangenehmen Minderheit so gelebt wird.
Man muss Ackermann viel Mut dazu wünschen, hier deutliche Worte - so deutlich wie deine, David - zu finden und laut, LAUT, LAUT!!! auszusprechen. So laut, dass es sogar in Rom vernommen wird. Doch bis sich dort was bewegt, ist der Heiland dreimal gekommen. Und wann das passiert wissen wir aufgeklärten Menschen alle...
Mosesschöpfer am Permanenter Link
Vielen Dank für das Kompliment. Es war mir eine Ehre. Für die vergessenen Opfer, Betroffenen und jene, die schon längst aus Verzweiflung ihr Leben beendet haben.
Heidemarie Dettinger am Permanenter Link
Ich freue mich für David Farago, dass er so von Ackermann und dessen Goodwill überzeugt ist. Ich bin es nicht!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich teile die Skepsis, nur sollten wir der verständnisvolle, freundliche Teil in diesem Dialog sein.
Heidemarie Dettinger am Permanenter Link
Auch hier wieder: Ich freue mich über Ihr Verständnis und Ihre Freundlichkeit. Leider kann ich weder das eine noch das andere mehr aufbringen - jedenfalls nicht für die Kirchen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Menschlich ist das verständlich. Doch Unfreundlichkeit (ob berechtigt oder nicht) führt zur Gegenwehr, nicht zur Einsicht. Die Kirchen propagieren ja stets ihre Menschlichkeit, ihr großes Verständnis etc. pp.
Das ist auch ein deutliches Signal an Bürger, die gerade fassungslos den Kopf schütteln und ihre Beine in Bewegung setzen, um aus diesen unverbesserlichen Organisationen auszutreten.
Ich kann es in etwa (nicht wirklich, aber ich bemühe mich) nachvollziehen, wie es Opfern der Kirche ergangen ist und noch immer ergeht. Ich kenne die Kriminalgeschichte des Christentums, die nie endete. Gerade deshalb bin ich der Meinung, dass "wir" (Opfer und fundierte Kritiker) mit beschämender Freundlichkeit agieren sollten. Wir haben es nicht nötig, aggressiv zu sein. Wir haben Argumente oder eines Leidensgeschichte.
Religion hat durch die Jahrhunderte aggressiv ihre Interessen durchgeboxt. Hat Andersdenkende ausgegrenzt oder physisch vernichtet. Lassen wir denen ihre Holzfällermethode, die gerade im Glanze ihrer Scheinheiligkeit schäbig wirkt. Genau das ist der Grund, warum eine Flucht aus den Kirchen stattfindet. Geben wir ihnen nicht das Argument, wir seien aggressiv. Das zeigt ihre Aggressivität umso deutlicher. Und das veranlasst die nächsten, die Jacke anzuziehen und zum Standesamt oder Amtsgericht zu gehen, um diesen Organisationen Geld und Anerkennung zu entziehen...
Mosesschöpfer am Permanenter Link
Vielen Dank, ich habe großes Verständnis, dass es viele nicht mehr schaffen freundlich und besonnen zu bleiben. Grundsätzlich gehöre ich zu diesem Personenkreis.
Für die Kunstinstallation "Die Lange Bank", die sicher wachsen wird, aber viel mehr als eine Installation sein soll, bin ich gezwungen einen unangehem freundlichen Umgang zu pflegen, wenn ich einen erneuten Besuch von ranghohen Bischöfen erreichen will. Das Stück Bank ist wieder angeleimt und die Bank wird verlängert.
Ich habe das Ziel zur Herbstkonferenz Herr Ackermann und Herr Bätzing zu einem Gespräch mit Betroffenen am großen Tisch der "Langen Bank" einzuladen, um den Betroffenen zuzuhören. Auf Augenhöhe an der Gerechtigkeit zu arbeiten. Und um ihnen und ihrer Kirche bewusst zu machen, dass es ihre letzte Chance ist, wenn sie nicht mit ihrem Selbstzweck an der modernen Mauer der Aufklärung zerschellen will. Dazu wird es erneut eine öffentliche Einladung geben.
Maria Schlippenbach am Permanenter Link
Lieber David, das ist ein wirklich sehr berührender Brief, den du an Ackermann geschrieben hast. Allerdings muss ich sagen, dass ich Ackermann nicht vertraue und auch sonst keinem Kleriker.
Mosesschöpfer am Permanenter Link
Liebe Maria, vielen Dank, es war mir eine Ehre und er ist bei Ackermann auch so angekommen. Seine Antwort hat das gezeigt.
Wir werden den Druck weiter erhöhen und ich werde Ackermann und Bätzing bewusst machen, dass es ihre letzte Chance seind wird, das Ruder vom Selbstzweck in Richtung echte Aufklärung herumzureißen. Sie müssen sämtliche für sie bekannten Zeitdenkmuster über Bord werfen, dass ihr Schiff nicht in der Belanglosigkeit untergeht. Als geprüfter Steuer- und Obmann für Binnengewässer und ausgebildeter Rudertrainer kann ich ihnen da sicher Hilfestellungen geben.
Ich denke unsere aktuelle Aktion in Köln hat deutlich zum kontinuierlichen Mitgliederschwund beigetragen, da die öffentliche Wahrnehmung nochmals geschärft wurde. Natürlich können wir nicht messen, wie hoch unser Anteil war. Wölki wird sicher noch einen Pokal von uns bekommen - das was er geschafft hat, erreichen wir nie.
Wir werden nicht aufhören Menschen und Öffentlichkeit aufzuklären und sie damit in die Ralität zu holen. Unzählige haben das aber auch schon ohne unseren Aktionen herausgefunden und wissen selbst längst, wo "der Hamster humpelt" - frei nach Hamed Abdel-Samad. Aufklärung ist zäh, aber es lohnt sich. Für das Wissen und die Gerechtigkeit.
Maria Schlippenbach am Permanenter Link
Lieber David, eure Aktionen sind auf jeden Fall aller Ehren wert und deine Skulpturen großartig, herrlich und sehr witzig! Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg mit eurer tollen Arbeit!