Das Tanzverbot an Karfreitag wird nach Einschätzung von Rechtswissenschaftlern künftig immer häufiger durch Ausnahmeregeln durchbrochen. "Je mehr die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft wächst, umso stärker wird das Bedürfnis nach Ausnahmegenehmigungen – genauso steigt die Bereitschaft, sie zu erteilen", sagt der Jurist Prof. Dr. Fabian Wittreck vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Uni Münster.
"Am Ende werden stille Feiertage möglicherweise faktisch dadurch reduziert, dass sie auf bestimmte Bereiche wie Gotteshäuser und Gebetszeiten eingeschränkt werden." Das Bundesverfassungsgericht habe "diesen Weg in die Zukunft" jüngst gewiesen, indem es die fehlende Möglichkeit zur Ausnahmegenehmigung im bayerischen Gesetz bemängelte.
"Die wachsende religiöse Pluralisierung setzt das bisherige Arrangement bei den Feiertagen unter Druck", führt Prof. Wittreck aus. "Das verbietet nicht den Fortbestand christlicher Feiertage, verlangt aber, dass auch andere religiöse Gruppen berücksichtigt werden – was beim Islam leichter fallen wird als bei den Konfessionslosen, die sich quasi noch auf einen 'Schutzheiligen' einigen müssten."
Der Wissenschaftler erläutert, mit dem rechtlichen Konzept der stillen Feiertage würden tatsächlich "Menschen, die sich an diesen Tagen laut vergnügen wollen, in ihrer Freiheit eingeschränkt". Es handele sich jedoch nicht um eine Einschränkung der sogenannten negativen Religionsfreiheit, wie oft unterstellt werde, also der Freiheit, keinen Glauben zu haben und sich an religiöse Gebote nicht zu halten. "Denn der Staat zwingt sie nicht zu religiöser Einkehr oder Bußübungen."
"Kein Privileg"
Dass das Gebot der Stille an Karfreitag ursprünglich religiös ist, hindert den Staat nach den Worten des Wissenschaftlers nicht daran, Feiertage wie diesen durch das inzwischen staatliche Gebot besonders auszuzeichnen. "Immerhin gibt es auch nicht-religiöse stille Feiertage", so Wittreck.
Generell dienten Feiertage der Einsicht, dass eine Gesellschaft Tage des gemeinsamen Innehaltens brauche, andernfalls gelinge weder Familienleben noch das Handeln von Akteuren der Zivilgesellschaft. "Ein weiterer gesellschaftlicher Zweck von Feiertagen: Eine Gesellschaft kann damit symbolisch Wertschätzungen signalisieren, an Nationalfeiertagen für sich selbst, an Gedenktagen für Opfer, an religiösen Feiertagen für die Rolle der Religion", so der Jurist. "Das ist kein Privileg, sondern – in einer ehemals fast rein christlichen Gesellschaft wie der deutschen – ein Akt der Selbstbeschreibung und Selbstvergewisserung. Erst die wachsende Zahl der Religionen erfordert eine Anpassung an die Bedürfnisse weiterer Gruppen."
Prof. Dr. Fabian Wittreck leitet am Exzellenzcluster das Forschungsprojekt A2-20 "Rechts- und Gerichtspluralismus als Antwort auf normative Krisen". Das Projekt untersucht, wie verschiedene staatliche Rechtsordnungen mit religiöser Vielfalt umgehen und wie eine rechtliche Antwort auf zunehmende religiöse Vielfalt aussehen sollte. (dak/vvm)
8 Kommentare
Kommentare
Hans am Permanenter Link
so dann hat man ja schon etwas erreicht, aber da muss mehr kommen
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
So, so, die wachsende Zahl an Religionen zwingt die Gesellschaft also zu rechtlichen Änderungen.
Das macht mich als Pastafari sehr stolz und beruhigt mich enorm.
Ich hatte die ganze Zeit gefürchtet, es ist der schwindende Glaube und der Niedergang von Religion, die dazu zwingt, die Einschränkung Nichtreligiöser aufzuweichen bis aufzuheben.
Tanzverbot über... am Permanenter Link
Abenteuerlich, wie der Professor für Religion und Politik (sic!) an stillen Feiertagen festhalten will, Religionen und Schutzheilige heraufbeschwört!
Feld am Permanenter Link
So einfach kann man es sich mit der negativen Religionsfreiheit nicht machen, denn Kirchen und Politiker betonen immer wieder, dass die Stillen Feiertage auch Nichtreligiösen eine Trauerstimmung vermitteln sollen - es
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Solange "Ausnahmegenehmigungen" erteilt werden, bleibt die "Regel" im Kern unangetastet. Man beachte die Wortwahl!
Auf eine vorgebliche Einschränkung der negativen Religionsfreiheit durch "stille" Feiertage wie Karfreitag sollte man sich gar nicht kaprizieren. Es handelt sich hier schlicht um eine Einschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit, um einen staatlichen Eingriff, der nur als Folge einer Grundrechtsabwägung gerechtfertigt ist. Ich sehe aber nicht -und da sehe ich das mit der "Ausnahmegenehmigung" eher andersherum- dass jemand in seinen Rechten nach Art. 4 GG (den Ausprägungen der individuellen Religionsfreiheit) beschnitten wird, wenn ihm Gelegenheit gegeben wird, diesen Feiertag nach seinen Vorstellungen zu verleben. Dazu braucht es aber nicht die -zudem auch noch staatliche- Vereinnahmung aller Nichtbetroffenen.
Es geht doch darum, dass ein bestimmtes Handeln bzw. Nichthandeln aus Gründen, die den Staat überhaupt nicht betreffen, staatlicherseits verlangt und sanktioniert wird. Also eigentlich um Feudalismus, um das sich Gemeinmachen staatlicher Regelungsmacht mit religiösen Normen.
Werner Koch am Permanenter Link
Ich bin zur Zeit in Frankreich, da darf nicht nur getanzt werden, Karfreitag ist ein Arbeitstag wie jeder andere Werktag.
Karfreitag ist kein Feiertag in Italien, Frankreich, Belgien, Polen, Irland, Österreich, Niederlande, Luxemburg, Litauen, Slowenien, Rumänien, Kroatien – also auch in einigen Ländern, die noch starken kirchlichen Einfluss unterliegen (Polen, Italien, ..).
https://de.statista.com/infografik/8929/gesetzliche-feiertage-in-europa/
Konfessionsfreie brauchen keine „Schutzheiligen“ – man könnte den Welthumanistentag feiern oder den Tage der Erklärung der Menschenrechte in Frankreich, oder …
Rene Goeckel am Permanenter Link
Wenn es immer weniger Gläubige gibt nennt sich das nicht Pluralisierung sondern Entblödung.
David Z am Permanenter Link
"Immerhin gibt es auch nicht-religiöse stille Feiertage", so Wittreck."
Ach, tatsächlich? Und welche wären das?