Jennifer Ackerman schreibt über "Die Genies der Lüfte"

Die Kultur der Vögel

Die Vögel sind in der Kognitionsforschung heute, was gestern die Bonobos waren. Immer neue Untersuchungen beschäftigen sich mit ihren erstaunlichen mentalen Fähigkeiten. Die Biologin und seit ihrer Kinderzeit Vogelbeobachterin Jennifer Ackerman, die für den "Scientific American" und das "New York Times Magazin" schreibt, näherte sich ihnen in "Die Genies der Lüfte. Die erstaunlichen Fähigkeiten der Vögel" auf eine sehr persönliche Weise.

So mancher mag sich schon gefragt habe, warum die Rotkehlchen sogar in bitterkalten Winternächten singen. Nun erfahren wir es: Sie halten sich damit warm. Singen führt bei ihnen zu einem Oxytocin-Ausstoß, es macht sie glücklich, und das regt den Kreislauf an. So überlebenswichtig kann Kunst sein.

Werkzeuggebrauch bei australischen Krähenvögeln und Papageien? Ja, aber schon heimische Kleiber sah man, wie sie mit Borkenstückchen im Schnabel Äste schälten, um an Insekten heranzukommen. Reiher wurden dabei beobachtet, vorsichtig mit dem Schnabel Insekten auf die Wasseroberfläche zu setzen, um so Fische anzulocken.

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Mit ansteckender Begeisterung schildert Jennifer Ackerman, was Vögel alles können. Und warum. Immer wieder dreht es sich darum, wie Vögel ihre Fähigkeiten erwerben. Das Singen natürlich zuerst. Offenbar gibt es wie bei den Menschen eine Kleinkindphase, während der die Vögel den adäquaten Umgang mit zunächst nur ein paar rudimentär beherrschten Silben von ihrer Umgebung aufschnappen und erweitern. Singen ist bei Vögeln also eine Kulturleistung, mit entsprechenden lokalen Varianten, erfahren wir.

Und wie lernen die Laubenvögel in Australien, ihre Schmucklauben aus Ästen am Boden zu bauen, die sie mit einfarbigen Gegenständen verzieren, vorzugsweise in Blau, aber bei anderen Arten auch Rot oder Gelb? Hier sind wir wieder dem Erwerb von Kultur auf der Spur: durch Mitmachen. Junge, unerfahrene Männchen dürfen bei den älteren mittun. Dabei übernehmen sie zeitweise sogar die Rolle der Weibchen und lassen sich von den Alten anbalzen. Bei der Gelegenheit sehen sie auch, wie dies geht. Und die Alten trainieren schon mal vor Publikum.

Jennifer Ackerman legt die Betonung auf jene Untersuchungen, die darlegen, dass die komplizierten Gesänge der Vögel sich wahrscheinlich nicht aus einem immer komplexeren Sozialleben entwickelt haben. Sie ist Parteigängerin der Forscher, die sie aus einer besonders langen und engen Paarbeziehung ableiten. So manche Vogelgesänge werden im Duett vorgetragen, wobei sich Männchen und Weibchen genau aufeinander abstimmen, eine Fähigkeit, die bei der Aufzucht des Nachwuchses später von Vorteil ist.

Doch so einfach idyllisch geht es auch in der Vogelwelt nicht zu. Unsere heimische Feldlerche in ihren betörenden Gesängen aus bis zu 700 Silben lebt in enger Paarbeziehung und ist eine Meisterin im Fremdgehen. Dafür muss so ein Lerchenmännchen mehrere Duette im Kopf haben, um merken zu können, wenn der Nestherr nicht am Platz ist. Und das tut es!

Die schlauesten unter den Vögeln sind neben den Papageien die Singvögel, zu denen auch die Rabenvögel zählen, und die Kolibris. Die merken sich genau, welche Blüten sie schon angeflogen haben und vor wie langer Zeit, wann sich also die Blüten wieder mit Nektar gefüllt haben.

Mit solchen Beispielen weckt Jennifer Ackerman einen Sinn dafür, wie viel Planung, Lernen und Denkleistung im Leben der Vögel steckt. Sie flattern keinesfalls nur eben so dahin von Ast zu Ast und nähren sich doch.

Jennifer Ackerman: "Die Genies der Lüfte. Die erstaunlichen Talente der Vögel", Übersetzung von Christel Dormagen, Rowohlt Verlag Berlin 2017, 448 S., 24,95 Euro