Hannes Bahrmann über Ortegas Familiendynastie

Die verratene Revolution in Nicaragua

Der Journalist Hannes Bahrmann geht in seinem Buch "Nicaragua. Die privatisierte Revolution" der Geschichte des Landes nach und beschreibt die Entwicklung nach der Revolution von 1979 als Aufbau einer Familiendynastie des Präsidenten Ortega. Der Autor macht bereits im ersten Kapitel den Verrat an den Idealen der Revolution anschaulich und zeichnet den Weg eines ehemaligen Guerillakämpfers zu einem korrupten Politiker nach.

Nach 1979 interessierten sich auch viele Deutsche für die politische Entwicklung in Nicaragua. Dort war ein brutaler Diktator von einer Guerilla-Bewegung, die sich nach einem Freiheitskämpfer in der Geschichte des Landes Sandinisten nannte, hinweggefegt worden. Die neue Revolutionsregierung ging daran, das Land grundlegend zu verändern. Es wurden Alphabetisierungskampagnen durchgeführt und Landverteilungen vorgenommen. Gleichzeitig sah sich die neue Entwicklung von den USA bedroht. Die damalige Reagan-Administration unterstützte finanziell und militärisch die "Contra"-Bewegung, die mit terrorismusähnlichen Gewaltakten die Sandinisten besiegen wollte. Doch wurde deren Kandidat 1985 erstmals zum Präsidenten gewählt, verlor aber das Amt bei den Wahlen 1990. Heute ist er wieder Präsident. Doch hat sich viel verändert. Seine früheren Anhänger distanzierten sich von Ortega, und er hält sich mit Korruption und Tricksereien an Macht. Dieser Entwicklung geht Hannes Bahrmann in seinem Buch "Nicaragua. Die privatisierte Revolution" nach.

Der frühere DDR-Journalist und Lateinamerika-Experte beginnt dabei mit einer aktuellen Zustandsbeschreibung. Er sieht Ortega einen Politiker, der auf keinen Fall von der Macht lassen kann: "Diesem Ziel ordnete er alles unter: die ohnehin nicht besonders festen Prinzipien der innerparteilichen Demokratie ebenso wie die scheinbar ehernen moralischen Grundsätze der FSLN. Heute beruht das persönliche Fundament der Macht Ortegas auf zweifelhaften Pakten mit den früheren Feinden. Sein Handeln ist geprägt durch opportunistisches Taktieren mit nur einem Ziel: an der Macht zu bleiben" (S. 9). Bahrmann macht an konkreten Beispielen deutlich, dass sich viele seiner Mitstreiter nach der ersten Abwahl von Ortega abgewandt hätten. Dieser habe eine neue dynastische Familiendiktatur errichtet, welche im besten Stil der vorherigen diktatorischen Somoza-Familie herrsche. Die Kontrolle der Medien, die Manipulationen an der Verfassung oder die Nutzung von Schlägertrupps stünden dafür. Doch wie konnte es dazu nach 1979 kommen?

Der Autor will diese Frage durch einen historischen Rückblick beantworten. Er erinnert zunächst an die lange diktatorische Herrschaft der Somoza-Familie, die dabei auch von den USA unterstützt wurde. Als Gegenbewegung bildeten sich die Sandinisten heraus, die aber in drei verschiedene Strömungen aufgeteilt waren und demnach nicht als eine homogene Kraft angesehen werden konnten. Dies erklärt wohl mit die späteren Konflikte und Spaltungen. Dann geht Bahrmann auch ausführlich auf die kriegerischen Konflikte in den 1980er Jahren ein, konnte sich das Land doch damals nur schwer konsolidieren. In dieser Phase setzte sich Ortega selbst in der Führung durch. Ausführlich wird dann die Entwicklung nach dem Machtverlust nachgezeichnet, denn Ortega war zwar nicht mehr an der Regierung, hatte sich aber breiten gesellschaftlichen Einfluss gesichert. Er paktierte fortan mit seinen früheren Feinden, schloss auch ein informelles Bündnis mit konservativen Kirchenkreisen und ermöglichte den Unternehmern wieder reicher und reicher zu werden.

Demnach ist Bahrmanns Buch die beklemmende Geschichte eines Verrats an Idealen. Ortega ähnelt immer mehr Somoza. Man muss unweigerlich an Georges Orwells "Farm der Tiere" denken. Denn eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in der politischen Realität des mittelamerikanischen Nicaragua. Es gab dafür aber schon früh Anzeichen, heißt es doch zu den Wahlen von 1985: Sie seien im Konzept der Sandinisten eigentlich gar nicht vorgesehen gewesen, galten sie doch als "ein notwendiges taktisches Mittel, um international die breite Unterstützung für die FSLN zu sichern" (S. 10). Dies hatte der Autor damals und noch später aber anders gesehen. Gleiches gilt für die Solidaritätsbewegung. Leider wird dieser schiefen Aufmerksamkeit kein näheres Interesse gewidmet. Bahrmann beschreibt die Ereignisse weitgehend rein journalistisch - eine mehr analytische Bewertung der Entwicklung wäre auch sicher eher etwas für einen Politikwissenschaftler. Denn die beklemmende Geschichte Ortegas ist auch eine erschreckende Geschichte der Machtkorruption.

Hannes Bahrmann, Nicaragua. Die privatisierte Revolution, Berlin 2017 (Ch. Links-Verlag), 237 S., ISBN: 978-3-86153-965-0, 18,00 Euro