Das Oberverwaltungsgericht Münster hat heute in zweiter Instanz entschieden, dass der "Zentralrat der Muslime" und der "Islamrat" keine Religionsgemeinschaften sind. Die beiden Organisationen hatten 1998 Klage gegen das Bundesland Nordrhein-Westfalen erhoben, um als Religionsgemeinschaften eigenen islamischen Religionsunterricht in den Landesschulen anbieten zu können. Die Vorinstanz (Verwaltungsgericht Düsseldorf) hatte 2001 noch die Klage abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz hatte 2015 den Rechtsstreit an das OVG Münster zurückgewiesen. Der hpd sprach direkt nach der OVG-Entscheidung mit Volker Beck, Lehrbeauftragter am "Centrum für religionswissenschaftliche Studien an der Ruhruniversität Bochum" (CERES).
Herr Beck, wir hätten gerne eine erste Einschätzung von Ihnen zu der heute verkündeten Entscheidung des OVG Münster?
Die Religionspolitik ist zurück. Die islamischen Verbände sind religiöse Vereine und keine Religionsgemeinschaften. Ihre Struktur ist auf die Migrationsgeschichte zurückzuführen. Sie sind politisch und staatlich vom Ausland her maßgeblich geprägt und beeinflusst. Insbesondere die Türkei nutzt die türkisch-islamischen Verbände als PR-Agenturen für ihre politischen Zwecke. Aber das ist nicht nur ein Problem der türkischen Verbände. Diese politische Instrumentalisierung der Religion läuft unseren religionsverfassungsrechtlichen Prinzipien der Trennung von Religion und Staat und der weltanschaulichen Neutralität des Staates fundamental zuwider.
Die Entscheidung lässt einer jungen Generation von deutschen Muslimen jetzt die Möglichkeit, islamische Organisationen zu entwickeln, die sich von den Herkunftsländern der Eltern- und Großelterngeneration lösen und nach dem deutschen Religionsverfassungsrecht ausrichten. Wenn das geschieht, dann wäre der Islam in Deutschland angekommen.
Würden Sie unseren Leser*innen kurz die wesentlichen Argumente des OVG für seine Entscheidung nennen?
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. und der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V. sind keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes. Sie haben keinen Anspruch gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf allgemeine Einführung islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
Die Kriterien für die Einordnung eines auf mehreren Ebenen organisierten Dachverbandes als Teil einer Religionsgemeinschaft hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits 2005 vorgegeben. Dazu gehört unter anderem, dass der Dachverband in seiner Satzung mit Sachautorität und kompetenz für identitätsstiftende religiöse Aufgaben ausgestattet ist und die von ihm in Anspruch genommene religiöse Autorität in der gesamten Gemeinschaft bis hinunter zu den Moscheegemeinden reale Geltung hat. Diese Voraussetzung hat der Senat in Bezug auf beide klagenden Islamverbände verneint.
CC BY-SA 3.0
Sie haben vor einigen Tagen noch öffentlich davor gewarnt, eine Anerkennung der beiden Organisationen auszusprechen. Eines Ihrer Argumente war, dass damit ein staatlicher Einfluss aus dem Ausland auf den Islam in Deutschland dauerhaft gesichert würde. Sehen Sie sich durch die Entscheidung des OVG bestätigt?
Das OVG hat bestätigt, was ich politisch und in wissenschaftlichen Beiträgen gegen die herrschende Meinung der religions- und rechtswissenschaftlichen Gutachten in den Ländern seit Jahren vertreten habe und was die Grünen nach vielen internen Kämpfen und gegen erhebliche Widerstände, auch aus den Bundesländern, beschlossen haben.
Was bedeutet das Urteil in Hinsicht auf die von Ankara gesteuerte DITIB?
Das Urteil muss jetzt auch in anderen Ländern Konsequenzen haben. Hessen hat die DITIB als Religionsgemeinschaft aufgrund unter Verschluss gehaltener Gutachten als Religionsgemeinschaft anerkannt. Die Gutachten sollten jetzt veröffentlich werden und die Entscheidung muss korrigiert werden. Die DITIB war zwar nicht Gegenstand des Verfahrens und ist straffer als Zentralrat oder Islamrat organisiert, aber was bei ihr vertreten und gepredigt wird, entscheidet die Politik, ein Büro von Präsident Erdogan, und entscheiden nicht etwa islamische Gelehrte in Deutschland. Insofern wird man der Urteilsbegründung auch Kriterien entnehmen können, die diese Anerkennungsentscheidung als falsch erweist.
Wie geht es jetzt weiter in Nordrhein-Westfalen?
Die Landesregierung hat im Verfahren erklärt, dass sie am islamischen Religionsunterricht nach Schulgesetz festhalten will. Das ist ein wichtiges Gleichstellungssignal.
Damit ist gewährleistet, dass muslimische Schulkinder wie christliche oder jüdische auf einer Augenhöhe behandelt werden, ohne dass man den Preis zahlt politisch geprägte, religiöse Vereine zu Religionsgemeinschaften upzugraden.
Herr Beck, vielen Dank für diese erste Einschätzung
Das Gespräch mit Volker Beck führte Walter Otte für den hpd.
8 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die Entscheidung geht m.M.n. in die richtige (säkulare) Richtung!
Nur folgt dann ein etwas irritierender Kommentar: "[...] Wenn das geschieht, dann wäre der Islam in Deutschland angekommen."
Er *ist* doch längst angekommen; denn z.B.:
"Die Landesregierung hat im Verfahren erklärt, dass sie am islamischen Religionsunterricht nach Schulgesetz festhalten will. Das ist ein wichtiges Gleichstellungssignal."
Aber eben doch auch ein Signal, das nun wirklich geradewegs den "Prinzipien der Trennung von Religion und Staat und der weltanschaulichen Neutralität des Staates fundamental zuwider" läuft. Gerade so, als wären RKK und EKD in 'schland nicht politisch instrumentalisiert.
Dumm gelaufen? Ich kann der Argumentation von Volker Beck nicht folgen.
Trennung von Religion und Staat *und* Religionsunterricht an staatlichen(!) Schulen - das geht so eigentlich nur in der >Kirchenrepublik Deutschland<. Dies unterscheidet sich angesichts der staatlichen(!) Religionskontrollbehörde >Diyanet İşleri Başkanlığı< nur leider fast gar nicht von der Situation in der angeblich laizistischen Türkei.
Religionsunterricht hat an staatlichen Schulen nichts verloren.
Irrationale Wunschvorstellungen sind Privatsache. Da lobe ich mir das Modell Frankreich.
rainerB. am Permanenter Link
"Die Landesregierung hat im Verfahren erklärt, dass sie am islamischen Religionsunterricht nach Schulgesetz festhalten will."
Ich frage mich wieder, was denn dafür die rechtl. Gundlage sein soll? M.E. setzt die Erteilung von RU eine vorhandene RGem. voraus. Zumindest könnte man das aus Art.7,3 GG folgern: "Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt"
D.h. m.E. der RU unterliegt staatlicher Aufsicht. Die inhaltliche Ausgestaltung ist aber Angelegenheit der Religionsgemeinschaften. Logisch, sonst würde der Staat ja selbst Religion "lehren", also missionieren. Wie kann es aber RU ohne die ihn gestaltende RG geben? Die Beiräte sind ein Provisorium seit 2012 und sollen es noch bis 2019 bleiben. Und dann??? Der Religionsfan Beck (Genitalverstümmlung) glaubt wohl ernsthaft, es würden bis dahin "eine junge Generation von deutsche Muslimen die Möglicheit" ergreifen "islamische Organisationen zu entwickeln", welche dann die Beiräte ablösen könnten.
Spätestens 2019, aber eigentlich schon jetzt, müsste man doch gegen dieses m.E. rechtl. völlig haltlose Konstrukt Beiräte klagen.
angelika richter am Permanenter Link
"Damit ist gewährleistet, dass muslimische Schulkinder wie christliche oder jüdische auf einer Augenhöhe behandelt werden, ohne dass man den Preis zahlt politisch geprägte, religiöse Vereine zu Religionsgemeinsch
Und was ist mit Hindus, Buddhisten usw?
Die religiöse Vielfalt hört ja nicht nach Christen, Juden und Muslimen auf.
Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht, in den die jungen Menschen in allgemeinbildenden Schulen aufgeteilt werden, ist angesicht der gesellschaftlichen Realität ein kostspieliges totes Pferd.
Ein Fach Ethik und Religionsgeschichte für alle Kinder und Jugendlichen gemeinsam, das wäre ein "nachhaltiges Konzept", auf das die Grünen doch auch sonst immer so viel Wert legen...
Otto v. Landsweiler am Permanenter Link
Sehr guter Kommentar, Herr Trutnau, habe dazu genau die gleiche Einstellung.
Stefan Wagner am Permanenter Link
"Damit ist gewährleistet, dass muslimische Schulkinder wie christliche oder jüdische auf einer Augenhöhe behandelt werden, ohne dass man den Preis zahlt politisch geprägte, religiöse Vereine zu Religionsgemeinsch
Was ist das für eine Augenhöhe? Meine Eltern haben ihr Bestes getan, um mich christlich zu erziehen, was im Falle m. Vaters dadurch konterkariert wurde, dass er sehr viel auf die Naturwissenschaften gegeben hat. Eine Zeit habe ich gedacht, sein Christsein mit Kirchenbesuchen usw. sei nur geheuchelt um nicht anzuecken.
Man merkt ja als Kind rasch, wie die religiösen Erzählungen mit all dem, was der Mensch verlässlich weiß, in Konflikt stehen. Im Geschichtsunterricht war ich ziemlich überrascht, wie wir von den Griechen auf die Römer kamen, und Christus im Geschichtsunterricht nicht vorkommt.
Es wurde aber auch nicht kritisch dargestellt, dass es für Christus keine geschichtlichen Belege gibt, sondern die konfliktträchtige Frage wurde einfach ausgeklammert. So erzieht man konfliktfähige Kinder!
Augenhöhe, was für ein Witz! Gut - mag sich inzwischen geändert haben; ich glaube es nicht.
Im Geschichtsunterricht tauchen die christlichen Machthaber, die Päpste und all das dann ab ca. 300 aus dem Nichts auf. Was erfährt man so über Macht, Organisation und Geschichte? Diese Beliebigkeit mit der Figuren auftauchen und wieder verschwinden hat mich früh das Interesse am Geschichtsunterricht verlieren lassen, was ich dann später eher bereut habe.
1/4 der Weltbevölkerung sind Christen und über die Entstehung dieser mächtigen Ideologie wird der Mantel des Schweigens gehüllt.
Aber 1h Religionsunterricht an der gleichen Schule.
Eine Gesellschaft mit derart korrupten Institutionen kann auch nur wieder korrupte Nachkommen produzieren.
Auf Augenhöhe bedeutet hier soviel wie Kniehöhe, weil die, an denen sich die Augenhöhe bemisst, so gekrümmt daherkommen.
Ja, ich bin wütend!
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Gut - aber wann kommt unsere Gleichstellung?
Klaus D. Lubjuhn am Permanenter Link
"Wie geht es jetzt weiter in Nordrhein-Westfalen?
Die Landesregierung hat im Verfahren erklärt, dass sie am islamischen Religionsunterricht nach Schulgesetz festhalten will. Das ist ein wichtiges Gleichstellungssignal."
Merkwürdig. Was als nicht gleich vom OVG Münster festgestellt worden ist und was auch von V. Beck als Unterscheidungsmerkmal betont und erläutert wird "...Die islamischen Verbände sind religiöse Vereine und keine Religionsgemeinschaften..." führt in NRW zu religionspolitischer Ungleichheit. Sie besteht genau darin, dass man für islamische Vereine an den NRW - Schulen Ausnahmen macht von der Regel.
Denn NRW lässt Islam als Schulfach unterrichten, obwohl es "den" Islam gar nicht gibt und er keine Form von Religionsgemeinschaft ist wie das für christliche Kirchen gilt.
Wie also kann Beck am Ende resümieren, dass islamischer Unterricht an öffentlichen Schulen "ein wichtiges Gleichstellungs-
signal" ist?? Es ist eine - angesichts vieler Irritationen z.B. mit Ditib - eine unverständliche, ja skandalöse Privilegierung des Islam. Wie soll dadurch Integration erleichtert werden. Unverständlich.
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Wieso gründen die zum politische Islam zu rechnenden Islamverbände keine politische Partei?
a) Weil Ausländerparteien in Deutschland nicht zulässig sind (§2 Abs 3 PartG) und vermutlich die Mehrheit der Mitglieder der Islamverbände Ausländer sind.
b) Weil das Religions- und Weltanschauungsrecht Privilegien der Einflussnahme eröffnet die poltische Parterien nicht haben.
Ich finde a) ist gut so. Und die Privilegien aus b) sind abzuschaffen.