Unter großem Andrang und mit vielen Überraschungsgästen aus Kunst, Literatur und Wissenschaft nahm die Schule des Ungehorsams am vergangenen Samstag in der Tabakfabrik Linz ihren Betrieb auf. Gerhard Haderer alias HADES, Großmeister der gezeichneten Satire und künftig selbsternannter "Schulhausmeister", führte durch einen bunten Abend voller Wow-Momente.
Bereits an den Außenwänden des "Schulgebäudes" – der alten Tabakfabrik in Linz – übte sich Haderers ungewöhnliches Fortbildungsprojekt am Eröffnungsabend in Ungehorsam. In beeindruckenden Lichtprojektionen war an den Wänden zu lesen: "Ungehorsam ist die wahre Grundlage der Freiheit – die Gehorsamen sind die Sklaven" und " Niemand hat das Recht zu gehorchen", Zitate der Philosophen Henry David Thoreau und Hannah Arendt.
Dass er selbst sich auf Ungehorsam versteht, hat der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer schon oft unter Beweis gestellt – unter anderem als Zeichner für die Zeitschriften Stern und Titanic. Die Förderung des Ungehorsams als wichtige gesellschaftliche Triebkraft ist nun auch das Ziel seiner frisch eröffneten Schule des Ungehorsames, kurz: SCHUDU. Da Europa immer mehr nach rechts rücke und sich viele "in einer Art Neo-Biedermeier" ins eigene Heim zurückzögen, sei der Zeitpunkt für eine Schulung des Ungehorsams gekommen, erklärte der 66-jährige Haderer bei der Eröffnung am Samstagabend.
Ziel der Schule des Ungehorsams ist es, Gleichgesinnte aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Philosophie zu vernetzen, ihre Gedanken, Ideen und Impulse zusammenbringen und in Form von Vorträgen, Ausstellungen, Lesungen und Workshops bis hin zu Publikationen und auch Aktionen im öffentlichen Raum umzusetzen. Es soll eine Ermutigungsplattform werden, eigene, mündige Gedanken zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen und vorherrschenden Meinungen zuzulassen und sich zu engagieren. Und so feierten bekannte "Widerstandskämpfer" wie Liedermacher Konstantin Wecker ebenso den "ersten SCHUDU-Schultag" wie Dramatiker Peter Turrini, Satiriker Peter Hörmanseder von der österreichischen Kabarettgruppe maschek, Kabarettist Viktor Gernot sowie "Science Buster" Werner Gruber.
Auch ungehorsame Denker aus den Reihen der Philosophen waren zur Eröffnung gekommen. Philosoph Phillip Hübl amüsierte in seinem Vortrag das Publikum mit dem statistischen Fakt, dass links-liberal progressiv denkende Menschen, denen Werte wie Fürsorge, Freiheit und Fairness wichtig sind, häufig Katzen als Haustiere haben, konservativ-rechts orientierte Menschen mit einem Hang zu Werten wie Loyalität, Ehre, Zughörigkeit und Autorität dagegen unverhältnismäßig oft Hunde. Hübl betonte die Wichtigkeit von Bildung und Kunst, um Menschen aus dem blinden Gehorsam zu befreien.
Nachdenklicher wurde es, als Philosoph Michael Schmidt-Salomon zuerst von seinen Erfahrungen mit der Bewegung der Ex-Muslime berichtete und deutlich machte, dass wir alle nicht mit dem "aufrechten Gang" geboren werden. Wir müssen ihn mühsam erlernen und dabei brauchen wir Hilfe. "Die Feinde der offenen Gesellschaft sind allesamt durch die autoritäre Schule des Gehorsams gegangen und von klein auf durch die Regeln der eigenen Gruppe normiert worden", so Schmidt-Salomon. Er hält die weltweite Bewegung der Ex-Muslime für eine der wichtigsten politischen Bewegungen des Widerstands und Ungehorsams unserer Zeit, weil sie nicht nur eine Avantgarde zur Verteidigung der Menschenrechte gegen den politischen Islam sei, sondern auch "das wirksamste Gegengift gegen die Trumps, Putins, Orbáns, Kaczyńskis dieser Welt, deren politische Macht nicht zuletzt auf der Angst vor den Muslimen gründet".
Schmidt-Salomon schlug vor, den 26. September zum weltweiten Feiertag des Ungehorsams zu erklären, weil die Welt vermutlich eine andere wäre, hätte 1983 der sowjetische Oberstleutnant Stanislaw Petrow gehorsam gehandelt. An diesem Tag war Petrow als diensthabender Offizier verantwortlich für die computer- und satellitengestützte Überwachung des Luftraumes. Im Fall eines nuklearen Angriffes auf die UdSSR sah die Strategie einen mit allen Mitteln geführten sofortigen nuklearen Gegenschlag vor. Als der Computer Alarm schlug, zweifelte Petrow an der Echtheit der Satellitendaten und gab keinen Befehl für den Gegenschlag. Durch sein ungehorsames Verhalten hat er die hierarchische Kettenreaktion bis zu einem möglichen Nuklearkrieg rechtzeitig unterbrochen.
Mehr Menschen zum Ungehorsam "zu erziehen" ist nun das erklärte Ziel der Schule des Ungehorsams. Neben der Vernetzung Gleichgesinnter ist Teil der SCHUDU auch ein Galeriebetrieb. Haderer selbst wird in seiner Geburtsstadt Linz erstmals dauerhaft "aktuelle Blätter", die regelmäßig wechseln, ausstellen sowie im sogenannten "Ölhades" seine großformatigen altmeisterlich brillant gemalten Ölgemälde präsentieren. Daneben gibt es zur "Schuleröffnung" der SCHUDU eine Ausstellung des Satiremagazins TITANIC: "Endlich Zeitreise möglich: Die besten Cover aus über 30 Jahren Titanic".
Info: Schule des Ungehorsams, Tabakfabrik Bau 1, geöffnet Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 20 Uhr - http://schuledesungehorsams.org
7 Kommentare
Kommentare
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Als mein Vater mir das Autofahren beibrachte, schärfte er mir ein: "Wenn dein Beifahrer schreit "Brems!", dann brems! Sofort! Frag erst hinterher, warum."
Es ist auch anzumerken, dass im Wort "Gehorsam" das Wort "hören" steckt. Aufeinander zu hören ist äußerst wichtig. Die Ordensregel des Heiligen Benedikt legt viel Wert darauf, dass Mönche dem Abt gehorchen. Er legt aber auch großen Wert darauf, dass der Abt den Mönchen - und zwar ausdrücklich allen, auch den Novizen - ausführlich zuhört und bedenkt, was sie sagen. Eine Welt, in der Menschen einander zuhören, aufeinander horchen, ist eine schöne Vorstellung.
Aufmerksames Horchen bedingt auch, dass man das Hirn (und das Herz) einschaltet und versucht zu eruieren, was der andere mir eigentlich mitteilen will. Und hier sind wir bei der wichtigen Unterscheidung zwischen einem nützlichen und einem schädlichen Gehorsam:
Wenn jemand vor lauter Gehorsam das eigene Denken oder das eigene Gewissen abgibt, dann gibt er auch viel von seiner Menschlichkeit ab.
Wenn jemand einer Regel gehorcht, weil er sie für sinnvoll hält, dann ist das hingegen gut.
Und wenn jemand auf einen anderen Menschen hört, weil er diesem nach gründlicher Prüfung vertraut (menschlich und fachlich), und er diesem Menschen dann grundsätzlich gehorcht, dann hat das auch seinen Wert.
Gelegentlich kann es sogar sinnvoll sein zu gehorchen, obwohl man genau weiß, dass die Anweisung nicht die beste ist. Bei der Evakuierung einer brennenden Schule ist es für einen Lehrer wahrscheinlich ratsamer, einen nur mäßig gelungenen Fluchtplan zu befolgen, als seine Klasse als einziger gegen die Ströung führen zu wollen.
Und ja, manchmal hat auch der Ungehorsam seinen Wert. Aber das ist den meisten Besuchern dieser Seite ohnehin klar, das muss ich nicht weiter ausführen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Es ist auch anzumerken, dass im Wort "Gehorsam" das Wort "hören" steckt. Aufeinander zu hören ist äußerst wichtig."
Das ist typisch für eine ideologisch gefärbte Argumentation. Sie wissen doch ganz genau, lieber Herr Schönecker, dass "gehorsam" eine völlig andere Bedeutung als "Hören" hat. Und "aufeinander zu hören" ist praktisch das Gegenteil von gehorsam.
Gehorsamkeit braucht z.B. einen Befehlshaber und einen Untergebenen, der gehorsam sein muss - MUSS! Aufeinander hören impliziert eine Diskussion, die sich jeder Befehlshaber verbitten würde. Das ist Ihnen sicher klar, aber man kann es ja mal mit Verschleiern versuchen. ;-)
"Eine Welt, in der Menschen einander zuhören, aufeinander horchen, ist eine schöne Vorstellung."
Ja, hat aber - wie ausgeführt - nichts mit gehorsam zu tun. Kinder mussten früher gehorsam sein. Wenn sie es nicht waren, gab es Prügel.
"Aufmerksames Horchen bedingt auch, dass man das Hirn (und das Herz) einschaltet und versucht zu eruieren, was der andere mir eigentlich mitteilen will."
Beim Horchen ja, beim Gehorchen nein. Sie hatten eingangs das Beispiel des Beifahrers gebracht. Da ging es noch darum, eben nicht "das Hirn (und das Herz) einzuschalten" und blind zu gehorchen. Die gleiche Begründung liefert auch das Militär, da durch Nachdenken über die Sinnhaftigkeit eines Befehls zu viel Zeit verginge.
"Und hier sind wir bei der wichtigen Unterscheidung zwischen einem nützlichen und einem schädlichen Gehorsam:"
Erst einmal die Nebelbombe zünden und dann - auf Basis der vernebelten Information - Ratschläge erteilen.
"Wenn jemand vor lauter Gehorsam das eigene Denken oder das eigene Gewissen abgibt, dann gibt er auch viel von seiner Menschlichkeit ab."
Also doch als Fahrer erst fragen, warum man denn bremsen solle?
"Wenn jemand einer Regel gehorcht, weil er sie für sinnvoll hält, dann ist das hingegen gut."
Dann braucht man keinen Gehorsam, sondern Einsicht.
"Und wenn jemand auf einen anderen Menschen hört, weil er diesem nach gründlicher Prüfung vertraut (menschlich und fachlich), und er diesem Menschen dann grundsätzlich gehorcht, dann hat das auch seinen Wert."
Das wiederum halte ich für höchst bedenklich. "Grundsätzlich gehorchen" klingt für mich nach Kadavergehorsam. Für mich wird umgekehrt ein Schuh draus, wenn auch kein Schuh des Fischers. Man sollte nicht grundsätzlich misstrauisch sein, aber immer mitdenken und Zweifel mitteilen. Das hilft Missverständnisse vermeiden und verbessert Prozesse im Moment ihrer Entstehung.
"Gelegentlich kann es sogar sinnvoll sein zu gehorchen, obwohl man genau weiß, dass die Anweisung nicht die beste ist."
Und wer entscheidet das? Wenn die Sache gutausging (und man rechtzeitig vor dem Wildschwein gebremst hat), dann war es richtig, wenn es aber falscher Alarm war und der nachfolgende Wagen hinten draufkracht, dann war es halt schlechtes Karma?
"Bei der Evakuierung einer brennenden Schule ist es für einen Lehrer wahrscheinlich ratsamer, einen nur mäßig gelungenen Fluchtplan zu befolgen, als seine Klasse als einziger gegen die Ströung führen zu wollen."
Dafür gibt es detaillierte Fluchtpläne, weil gute Planer solche Eventualitäten voraussehen können. Wenn der Lehrer die befolgt, dann hat er alles Erdenkliche getan, um seine Schüler zu retten. "Gegen die Strömung führen" hieße in diesem Fall, die ausgearbeiteten Fluchtpläne zu ignorieren. Man sollte also auf Pläne vertrauen. Mit "gehorchen" hat das auch nichts zu tun.
"Und ja, manchmal hat auch der Ungehorsam seinen Wert. Aber das ist den meisten Besuchern dieser Seite ohnehin klar, das muss ich nicht weiter ausführen."
Ungehorsam beginnt im Kopf. Er ist ein Akt der Emanzipation bei gleichzeitiger Aktivierung des eigenen Denkapparates. Wer nun selbst denken gelernt hat und sich dem Gehorsam verweigert, der wird gar nicht auf Befehle warten, um das Richtige zu tun. Er wird sich so verhalten, wie er es vor seinem Gewissen verantworten kann.
Das schließt nicht aus, die Autorität von anderen zu akzeptieren und auch nicht, auf Warnrufe zu reagieren. Aber es schließt aus, dass wir blind in unserer Unglück rennen, weil wir jemandem gehorcht haben.
Dass Kleriker im Wahn leben, einem "höheren Geist" gehorchen zu müssen, weil der allwissend und allmächtig alles besser wissen und machen muss, erklärt, warum dieses alte Konzept des Gehorsams dort noch verteidigt wird. Letztlich bleibt Ihnen wohl nichts anderes, als "Gott" zu gehorchen, weil - diskutieren können Sie mit ihm ja nicht...
Norbert Schönecker am Permanenter Link
"Gehorsamkeit braucht z.B. einen Befehlshaber und einen Untergebenen, der gehorsam sein muss - MUSS!"
Nein, entschieden nein! Ein Mensch kann auch freiwillig gehorsam sein. Wenn ich mit besseren Musikern gemeinsam spiele, dann werde ich ganz sicher auf das hören, was die anderen mir sagen. Und wenn ich neu in der Gruppe bin, dann werde ich dasselbe tun, selbst wenn die anderen nicht besser spielen als ich. In beiden Fällen bin ich - aus unterschiedlichen Gründen - gehorsam. Ganz ohne Zwang.
"Aber es schließt aus, dass wir blind in unserer Unglück rennen, weil wir jemandem gehorcht haben."
Es soll auch schon vorgekommen sein, dass Menschen ins Unglück rennen, weil sie anderen nicht gehorcht haben.
"Kinder mussten früher gehorsam sein. Wenn sie es nicht waren, gab es Prügel."
Prügel gibt es in unseren Breiten glücklicherweise jetzt seltener. Aber Gehorsam hat auch heute noch für Kinder ihren Wert. Manchmal - z.B. im Straßenverkehr - ist er lebensrettend. Es ist auch nach wie vor sinnvoll, Kindern beizubringen, dass das Nichtbefolgen von Regeln Konsequenzen hat. Wer z.B. den Spielregeln nicht gehorcht, wird irgendwann nicht mehr mitspielen dürfen. Zwischen "sich an Spielregeln halten" und "gehorchen" erkenne ich keinen Unterschied.
"Die gleiche Begründung liefert auch das Militär, da durch Nachdenken über die Sinnhaftigkeit eines Befehls zu viel Zeit verginge."
Ja, das ist ein anderes der wenigen Beispiele, wo blinder Gehorsam notwendig sein kann. Wobei das natürlich auch beim Militär nicht immer gilt. Aber beim Befehl "Decken!" würde ich nicht nachfragen "Warum?".
"Man sollte nicht grundsätzlich misstrauisch sein, aber immer mitdenken und Zweifel mitteilen. Das hilft Missverständnisse vermeiden und verbessert Prozesse im Moment ihrer Entstehung."
Ich bin völlig einverstanden. Ein weiteres Beispiel: Die Chirgurgin erteilt dem Assistenten einen Befehl. Der Assistent denkt mit und glaubt, einen schweren Fehler zu erkennen. Dann soll der Assistent das auch sagen. Wenn die Chirurgin aber sagt: Einwand abgelehnt!, dann sollte der Assistent gehorchen. Für einen Einwand ist Zeit genug, für eine Diskussion nicht.
Beim Autobeispiel ist nicht einmal Zeit genug für einen Einwand.
Und manchmal ist Zeit für Diskussionen. Auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.
"Dafür gibt es detaillierte Fluchtpläne, weil gute Planer solche Eventualitäten voraussehen können."
Und wenn der Fluchtplan von einem schlechten Planer erstellt worden ist? Soll ich dann gegen die Strömung laufen und ein komplettes Chaos verursachen? Oder lieber doch, als geringeres Übel, einen schlechten Plan befolgen? Vielleicht habe ich ja sogar schon einmal den Plan offen kritisiert. Aber im Ernstfall werde ich ihn trotzdem befolgen. Also Gehorchen. Nicht aus Vertrauen, sondern aus Nützlichkeitserwägungen. Diese entspringen natürlich dem eigenen Denken - hier haben Sie wieder völlig recht.
Teilweise ist also Gehorsam eine Frage der Nützlichkeit einer Befehlskette.
Ein anderer Aspekt ist mir aber viel wichtiger:
Gehorsam ist auch der Ausdruck einer inneren Haltung. Ein weiser Mensch weiß genau, dass manchmal der andere mehr weiß und etwas besser kann. Er weiß auch, dass Recht zu behalten weniger wichtig ist als viele andere Dinge, z.B. Freundschaft oder Friede (besonders wichtig bei Streitfragen in einer Familie). Und er weiß, dass anderen zu dienen meistens der Welt mehr nützt, als andere zu beherrschen. All das führt dazu, dass man seinen Mitmenschen gehorcht. Ganz freiwillig und freudig.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Ein Mensch kann auch freiwillig gehorsam sein. Wenn ich mit besseren Musikern gemeinsam spiele, dann werde ich ganz sicher auf das hören, was die anderen mir sagen."
Sie verstehen nicht, was "gehorsam" bedeutet.
"Es soll auch schon vorgekommen sein, dass Menschen ins Unglück rennen, weil sie anderen nicht gehorcht haben."
Erneut: Sie wissen nicht, was Gehorsam bedeutet. In den von Ihnen geschilderten Fällen wurden Warnrufe ignoriert. Aber das ist etwas grundsätzlich anderes, als Gehorsam. Sehen Sie den Unterschied wirklich nicht?
"Aber Gehorsam hat auch heute noch für Kinder ihren Wert. Manchmal - z.B. im Straßenverkehr - ist er lebensrettend. Es ist auch nach wie vor sinnvoll, Kindern beizubringen, dass das Nichtbefolgen von Regeln Konsequenzen hat."
Ja, "beizubringen"! Das klingt nach einem pädagogischen Konzept. Gehorsam klingt nach Drill und "du musst nicht verstehen, warum das jetzt so ist, mach einfach..." Das ist nicht mehr zeitgemäß. Ich habe meinen Kindern schon im jüngsten Kleinkindalter erklärt, warum etwas so oder so ist. Das nahmen die dankbar an und sie befolgten dann die Ratschläge aus innerer Überzeugung und nicht, weil sie gehorsam sind.
"Wer z.B. den Spielregeln nicht gehorcht, wird irgendwann nicht mehr mitspielen dürfen. Zwischen "sich an Spielregeln halten" und "gehorchen" erkenne ich keinen Unterschied."
Ja, Sie kennen den Unterschied wirklich nicht. Hat das mit Ihrer Ausbildung zum Priester zu tun?
"Ein weiteres Beispiel: Die Chirgurgin erteilt dem Assistenten einen Befehl. Der Assistent denkt mit und glaubt, einen schweren Fehler zu erkennen. Dann soll der Assistent das auch sagen. Wenn die Chirurgin aber sagt: Einwand abgelehnt!, dann sollte der Assistent gehorchen. Für einen Einwand ist Zeit genug, für eine Diskussion nicht."
In diesem Fall trägt die Chirurgin die volle Verantwortung und der Leidtragende wäre der Patient. Da ist es leicht, zu "gehorchen". Aber auch hier würde ich von "Anweisungen ausführen" sprechen. Wenn die Chefin dem Sekretär aufträgt, einen Brief zu schreiben, dann gehorcht er ja auch nicht, auch wenn er den Brief doof findet. Er führt eine Anweisung aus, weil er weisungsgebunden agiert.
"Beim Autobeispiel ist nicht einmal Zeit genug für einen Einwand.
Und manchmal ist Zeit für Diskussionen. Auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen."
Wo siedeln Sie dann hier Gehorsam an? Das eine ist die Reaktion auf einen Warnruf und das andere ein "einander Zuhören".
"Und wenn der Fluchtplan von einem schlechten Planer erstellt worden ist?"
Wissen Sie, was passiert ist, weil die Planer zu wenige Rettungsboote auf der Titanic untergebracht haben? Viele Menschen sind sinnlos ertrunken. Shit happens. So sind wir Menschen. Aber wir lernen dazu und aus Fehlern wird man besonders klug. Gerade der Gehorsame lernt in der Regel nichts dazu.
"Teilweise ist also Gehorsam eine Frage der Nützlichkeit einer Befehlskette."
So kann man Hierarchien aufbauen. Militär, Polizei und Feuerwehr tun dies aus pragmatischen Gründen. Eventuell mag es im OP ähnliche Hierarchien geben. Doch auch nur in sehr eng begrenzten Bereichen. Es geht um Verantwortung in Krisensituationen und die Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit - also vergleichbar dem Warnruf des Beifahrers. Das hat für mich - auch wenn das Wort hier nicht gänzlich verkehrt ist - nichts mit Gehorsam zu tun, sondern mit Pragmatismus.
Heutige Teams leben jedoch mehrheitlich vom gegenseitigen Vertrauen, von der Kenntnis der Kollegen, um Hand in Hand zu arbeiten. Man könnte auch von "blindem Vertrauen" sprechen - und eben nicht von "blindem Gehorsam".
Eine modern aufgestellte Fußballmannschaft wird schwerpunktmäßig dann gut sein, wenn die Spieler einander vertrauen, einander kennen und "blind" den Pass in die Tiefe spielen, weil sie darauf vertrauen können, dass der Mitspieler dies erahnt und sich entsprechend verhält. Dabei geht es also nicht um "Gehorsam" dem Trainer gegenüber, sondern um die "Chemie", die stimmen muss. Daher sind Trainer heute eher psychologische Pädagogen, als Drillmeister, die Kadavergehorsam verlangen.
"Gehorsam ist auch der Ausdruck einer inneren Haltung. [...] All das führt dazu, dass man seinen Mitmenschen gehorcht. Ganz freiwillig und freudig."
Warum müssen Sie das "gehorchen" nennen? Weil Sie Recht behalten wollen? Sie haben nicht Recht, denn erkennbar ist, dass gehorchen und Gehorsam aussterbende Begriffe sind. Wir denken heute präventiver, sind argumentativer und pädagogischer.
Natürlich käme da ein Religionslehrer an die Grenzen seiner Pädagogik, weil er z.B. mit seinen Schülern nicht ergebnisoffen diskutieren kann, ob es z.B. "Gott" oder "Jesus" gibt. Er mag das thematisch anreißen, aber letztlich müssen seine Schüler gehorchen und akzeptieren, dass es "Gott" gibt. Wäre das Ergebnis ein anderes, dann müsste man ehrlicherweise an dieser Stelle die Geisterkunde beenden...
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Wir sind uns offenbar einig, dass es Situationen gibt, wo es sehr sinnvoll ist, zu tun, was andere sagen - selbst wenn man momentan den Sinn der Anordnung nicht versteht.
Differenzen haben wir bei der Definition des Vokabels.
wikipedia schreibt:
"Gehorsam ist prinzipiell das Befolgen von Geboten oder Verboten durch entsprechende Handlungen oder Unterlassungen. Das Wort leitet sich (ähnlich wie Gehorchen) von Gehör, horchen, hinhören ab und kann von einer rein äußerlichen Handlung bis zu einer inneren Haltung reichen."
Meyers Universallexikon definiert:
"Gehorsam, Befolgen von Geboten oder Verboten durch entsprechende Handlungen oder Unterlassungen; die Unterordnung des eigenen Willens unter fremde Anordnungen, die durch Zwang herbeigeführt, aber auch freiwillig (Einfügung in eine religiöse oder gesellschaftliche Ordnung) sein kann."
Gehorsam muss nach Meinung dieser doch recht anerkannten Enzyklopädien also nicht erzwungen sein.
Ich kann gehorchen, weil ...
... ich sonst eine an sich nützliche Ordnung zerstöre
... ich weiß, dass der andere kompetenter ist
... ich zu faul bin, selbst zu denken
... ich ansonsten eine Strafe befürchte
... ich die andere Person liebe
... ich nicht hochmütig sein will
... ich Bescheidenheit heucheln will
... ich das Selbstbewusstsein des anderen stärken will
... ich einen Minderwertigkeitskomplex habe
Indem Sie nur die schlechten Motive dem Gehorsam zuschreiben und die guten Motive nicht, machen Sie aus dem Wort "Gehorsam" einen ideologischen Begriff.
Ich mache das nicht. Für mich ist Gehorsam ganz einfach:
Ich mache das, was der andere sagt (oder was er mir befiehlt, oder sogar, was er von mir will) - und stelle meine eigene Meinung und Begierde momentan hintan.
Das kann gut oder schlecht sein. Für mich ist "Gehorsam" kein ideologisch aufgeladener Begriff.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sie können das selbstverständlich sehen wie Sie wollen. Wir beide leben in weitgehend freien Ländern. Ich habe eine andere - wie ich finde modernere - Definition von gehorchen.
Ulla am Permanenter Link
Danke für die Klarstellung!