HANNOVER. (hpd) Rund 2.500 Juristinnen und Juristen aus unterschiedlichen Berufen folgten der Einladung des diesjährigen Juristentages nach Hannover. Ein kleiner Teil hiervon (100 bis 200 Personen) nahm an den Beratungen zu Strafrecht teil. Dort ging es auch um Blasphemie, Zwangsheiraten, Knabenbeschneidung und die islamische Paralleljustiz.
Unter dem Titel “Kultur, Religion, Strafrecht - Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft” wurden ein schriftliches Gutachten vorgelegt und drei Referate gehalten. Das Publikum war anschließend zur Diskussion aufgefordert, hieraus ergaben sich die Beschlussvorschläge für die Abstimmung unter den Vereinsmitgliedern.
Ich beschränke mich in meinem Bericht auf die in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren besonders diskutierten Punkte.
In der Zivilgesellschaft hat sich bereits seit geraumer Zeit eine Debatte darüber entwickelt, ob der §166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen = Blasphemieparagraf) gestrichen werden sollte. Viele Menschen halten diesen Paragrafen inzwischen für überflüssig. Dem konnten sich die Mitglieder des Juristentages nicht anschließen. Insbesondere muslimische Vertreter wiesen darauf hin, dass die Streichung des §166 StGB ein falsches Signal in die Öffentlichkeit aussenden würde und der Verunglimpfung von Religionsgemeinschaften etc. Tür und Tor geöffnet würde. Dadurch sei ihrer Ansicht nach die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Gesellschaft gefährdet.
Es wurde daher beschlossen: “Der Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung (§166 StGB) sollte beibehalten werden, da diesem, ebenso wie anderen friedensschützenden Tatbeständen, in einer kulturell und religiös zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft eine zwar weitgehend symbolhafte, gleichwohl aber rechtspolitisch bedeutsame, werteprägende Funktion zukommt und er religiösen Minderheiten das Gefühl existentieller Sicherheit gibt.”
Betont wurde aber auch, dass sich angesichts einer zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft der strafrechtliche Bereich gleichwohl zuvörderst an den Vorstellungen der hiesigen Rechtsgemeinschaft orientieren solle. Hiervon abweichende Vorstellungen können nur in seltenen Ausnahmefällen Berücksichtigung finden.
Der Tatbestand der Zwangsheirat (§237 StGB) sollte auch “eheähnliche Verbindungen” erfassen, um z.B. rein religiös unter Zwang geschlossene “Ehen” unter Strafandrohung zu stellen.
Erwartungsgemäß ergab sich eine stark kontrovers geführte Debatte zum Thema “Knabenbeschneidung” und deren Zulässigkeit im Rahmen des §1631d BGB. Es wurde ausgeführt, dass es sich nicht um einen Bagatelleingriff handele und die Rechtfertigung auch juristisch ungewöhnlich sei, da es keine Parallelbeispiele gebe. Andererseits sei jedoch auch keine Gewalt gegen das Kind oder Entwürdigung des Kindes erkennbar, so dass im Rahmen eines religiösen Erziehungskonzeptes der Eingriff gerechtfertigt sein könne.
Mit knapper Mehrheit wurde folgendes beschlossen: “§1631d BGB bedarf einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, dass die Vorschrift nur einen auf ein ernsthaftes religiöses Selbstverständnis gestützten Eingriff rechtfertigt; hygienische oder ästhetische Präferenzen der Eltern oder kulturell tradierte Sitten reichen hierfür nicht aus.”
Dem Gesetzgeber wird darüber hinaus empfohlen, §226a StGB geschlechtsneutral zu formulieren, so dass auch die Genitalverstümmelung bei männlichen Personen, welche in der Intensität über die traditionelle Beschneidung hinausgeht, erfasst wird.
Gemäß §53 Abs.1 S.1 Nr.1 Strafprozessordnung haben “Geistliche” ein Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren. Es wurde beschlossen, dieses Recht auf alle “Geistlichen” sämtlicher innerlich verfasster Religionsgesellschaften anzuwenden, unabhängig von deren rechtlicher Organisationsform und ihrer staatlichen Anerkennung.
Ein Antrag, dieses Recht auch auf (säkulare) Weltanschauungsgesellschaften zu erweitern, wurde abgelehnt.
Ein Rechtsproblem kann sich aus so genannter “Paralleljustiz” ergeben, wenn Religionsgemeinschaften eigene Schlichtungsstellen einrichten und der Weg zu staatlichen Gerichten damit abgeschnitten wird. Hier wurde beschlossen, dass Formen von kulturell oder religiös verwurzelter Streitschlichtung im Strafrecht, die nicht mit dem Strafprozess verknüpft sind, insbesondere wenn sie dem Opfer den Zugang zum staatlichen Rechtsschutz abschneiden, abzulehnen sind.
Eine Einbeziehung kulturell oder religiös verwurzelter Streitschlichtung in die staatliche Strafverfolgung - z.B. im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs - erscheint jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen. Der Juristentag empfiehlt, hierzu empirische Erhebungen zu den tatsächlichen Erscheinungsformen anzustellen.
Der Deutsche Juristentag hat die Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft angenommen und Gesetzgebung und Justiz wertvolle Anregungen mit auf den Weg gegeben.
6 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
(Zitat): "Insbesondere muslimische Vertreter wiesen darauf hin, dass die Streichung des §166 StGB ein falsches Signal in die Öffentlichkeit aussenden würde und der Verunglimpfung von Religionsgemeinschaften etc.
Interessant: Muslime sehen also die öffentliche Sicherheit gefährdet, wenn jemand ihre Religion beleidigt (was bekanntermaßen recht unkompliziert geschehen mag). Wer gefährdet denn dabei die öffentliche Sicherheit? Der Beleidiger oder die Beleidigten?
Und hier sehen die Juristen ebenfalls keinen Handlungsbedarf:
(Zitat): "Andererseits sei jedoch [bei Zwangsbeschneidung] auch keine Gewalt gegen das Kind oder Entwürdigung des Kindes erkennbar, so dass im Rahmen eines religiösen Erziehungskonzeptes der Eingriff gerechtfertigt sein könne." (Zitatende)
Wenn jemand Mohammed beleidigt, dann muss sich die Gesellschaft durch Verbot der Beleidigung vor randalierenden Muslimen schützen, aber Kinder in muslimischen Familien werden nicht geschützt, sofort sie Opfer eines religiösen Erziehungskonzeptes werden.
Allerdings ist folgendes interessant:
(Zitat): “§1631d BGB bedarf einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, dass die Vorschrift nur einen auf ein ernsthaftes religiöses Selbstverständnis gestützten Eingriff rechtfertigt; hygienische oder ästhetische Präferenzen der Eltern oder kulturell tradierte Sitten reichen hierfür nicht aus.” (Zitatende)
Kulturell tradierte Sitten reichen nicht aus, eine Zwangsbeschneidung zu rechtfertigen? Sehr schön, dann dürfen ab sofort in Deutschland nur noch Juden ihre Jungs zwangsweise vorhautamputieren. Denn nur deren Markierung ist in der Torah von Gott vorgeschrieben worden. Die Muslime beschneiden ausdrücklich ausschließlich aus traditionellen Gründen und können keinen religiösen Bezug zu dieser barbarischen Praxis nachweisen. Mal sehen, ob das Gesetz wird und ob sich dann alle brav daran halten.
Und noch was: Dieser Satz (Zitat) "keine Gewalt gegen das Kind oder Entwürdigung des Kindes erkennbar" (Zitatende) im Zusammenhang mit Zwangsbeschneidung lässt mich nach wie vor am ausreichenden Willen deutscher Juristen zweifeln, sich sachkundig zu informieren. Wer die Amputation von 50% der Penishaut und 75% der für das Lustempfinden nötigen Nervenenden (mit allen sich daraus ableitenden Folgeschäden), sowie den furchtbaren Schmerzen, die zumindest zumeist unbetäubt zwangsbeschnittene Säuglinge jüdischer Eltern zu erleiden haben (siehe Paul Spiegel), als "keine Gewalt" und "keine Entwürdigung" ansieht, verfügt über ein eigentümliches Verständnis, was "Gewalt" und "Entwürdigung" ist. Wenn mir mein Gott verschriebe, allen Passanten auf der Straße ihre Nasen abzuschneiden, würden die gleichen Juristen vermutlich anders urteilen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nichts hinzuzufügen, Bernd. Diese Art Justiz ist geeignet, mir meinen Resturlaub zu versauen...
Stefan Wagner am Permanenter Link
In der Debatte habe ich gelernt, dass viele Juden, die nicht religiös sind, ihre Kinder aus kulturellen Gründen noch beschneiden lassen, so wie in unserer Kultur Weihnachten gefeiert wird mit Geschenken für Kinder und
Es wäre also nur religiösen Juden mit dieser Argumentation zu erlauben. Ich sehe aber nicht ein, wie die Religiosität der Eltern diesen ein Recht geben kann, die abhängigen, nicht zustimmungsfähigen Kinder für ihr Leben zu verstümmeln. Der Staat hat hier den Schwächsten beizustehen. Wie will man denn glaubwürdig den Moslems entgegentreten und erklären, das Grundgesetz stünde über dem religiösen?
valtental am Permanenter Link
Die Verteidigung der "Beschneidungs"praxis wird immer widersprüchlicher, wohl eine Zwangsläufigkeit ihrer Haltlosigkeit?
1. Es erstaunt, dass Juristen jetzt fordern:"§1631d BGB bedarf einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend,dass die Vorschrift nur einen auf ein ernsthaftes religiöses Selbstverständnis gestützten Eingriff rechtfertigt; hygienische oder ästhetische Präferenzen der Eltern oder kulturell tradierte Sitten reichen hierfür nicht aus.”
Inwiefern soll denn eine nur durch Religion legitimerte Beschneidung verfassungskonform sein, liebe Juristen? M. W. wurde ein direkter Religionsbezug ja bewusst vom Gesetzgeber vermieden, weil man sich wohl den Verfassungsrisiken bewusst war. Sind neuerdings Politiker bezüglich Verfassungkonsequenzen vorausschauender als eine Vielzahl Juristen?
2. "Dem Gesetzgeber wird darüber hinaus empfohlen, §226a StGB geschlechtsneutral zu formulieren, so dass auch die Genitalverstümmelung bei männlichen Personen, welche in der Intensität über die traditionelle Beschneidung hinausgeht, erfasst wird."
Dies erstaunt ebenfalls, war es doch für die Position der Beschneidungsbefürworter bisher essentiell zw. männl. und weibl. "Beschneidung" zu unterscheiden. Bei der empfohlenen geschlechtsneutralen Formulierung würde "Knabenbeschneidung" doch sofort strafbar, es sei denn man relativiert je nach Fall den Begriff Verstümmlung über "Intensität", was ja aber dann wiederum geschlechtsunterscheidend erfolgen müsste, wenn nicht auf einmal auch wieder (religiöse) weibliche Genitalverstümmlung möglich sein soll. Vor allem aber würde diese Bemessung der "Intensität", also dem Ausmass der Amputation, nach körperlichen Kriterien erfolgen müssen. Massstab dafür soll nun aber seltsamerweise die "Intention", nämlich religiös oder nichtreligös, und nicht der Grad der Amputation sein.
Was Politiker bei Verabschiedung von §1631 an fragwürdigen Begründungen abgeliefert haben, war ja schon enorm. Was Juristen (!) jetzt noch draufsetzen ist nicht minder erstaunlich. Oder fehlen mir als Nichtjurist hier einige Zusammenhänge?
(§226a: 1. Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft...)
Edward von Roy am Permanenter Link
Danke, gut erkannt und schön beschrieben. Tatjana Hörnle kämpft leider ernsthaft dafür, die FGM Typ Ia (Klitorisvorhautbeschneidung) und IV (Variante pricking / ritual nick) legalisieren.
Null Toleranz muss kinderrechtliche Leitlinie sein. Die von der WHO aufgestellte Klassifikation der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) beinhaltet die Typen I, II, III und IV und ist auch im wunderlichen Deutschland nicht aufzuspalten in einen weiterhin verbotenen und einen nach Tatjana Hörnles Willen legalisierten Teil.
Sven H. Schillings am Permanenter Link
Die Art und Weise, wie Politiker und nun auch noch Juristen versuchen, die objektiv eindeutige Körperverletzung bei der Knabenbeschneidung zu bagatellisieren, ist einfach unerträglich.