Eine rechtsextremistische Jugendbewegung

Sammelband über die "Identitären" erschienen

Der von dem Fachjournalisten Andreas Speit herausgegebene Sammelband "Das Netzwerk der Identitären. Ideologe und Aktionen der Neuen Rechten" informiert über die rechtsextremistische Jugendbewegung. Die journalistischen Beiträge liefern Informationen zu vielen Detailaspekten des Themas, ihnen fehlt es aber auch an Belegen und Stringenz, was indessen nicht den Informationsgehalt schmälert.

Als die am schnellsten wachsende Jugendbewegung Europas bezeichnen sich die Identitären. Dies ist bei 800 deutschen Aktivisten – höflich formuliert – ein wenig übertrieben. Gleichwohl gelingt es den Gemeinten, sich immer wieder durch provokative Aktionen in die Medien zu bringen. Da wird mal ein Gebäude besetzt, ein Straßentheater durchgeführt, eine Theateraufführung gestört, eine Wandmalerei angebracht. Angeblich ist man "Hundert Prozent identitär und null Prozent rassistisch". Inwieweit dies stimmt und wie relevant sie sind, wollen die Beiträge eines Sammelbandes thematisieren. Herausgegeben hat ihn Andreas Speit, einer der bekanntesten Fachjournalisten zum Rechtsextremismus. In "Das Netzwerk der Identitären. Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten" versammeln sich 13 Beiträge zu den unterschiedlichsten Aspekten des Themas. Mitautoren sind vor allem jüngere Publizisten, mitunter mit einem sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Gleichwohl sind die Beiträge eher journalistisch gehalten und daher leider auch "fußnotenlos".

Cover

Von Speit selbst stammen gleich die ersten drei Beiträge: Zunächst macht er auf die formalen Gemeinsamkeiten mit der APO der Achtundsechziger aufmerksam, kopiert man doch durchaus bewusst deren seinerzeitige Aktionsformen. Dann geht er allgemein auf die Entwicklung der Identitären in Deutschland ein und macht dabei auf deren Berufung auf die Konservative Revolution der Weimarer Republik aufmerksam. Denn auch wenn es sich nicht (mehr) um Neonazis handelt, gibt es sehr wohl antidemokratische und extremistische Prägungen. Dies wird dann in dem Artikel zu ihren geistigen Grundlagen erneut aufgegriffen. Zuvor beschreibt der Herausgeber noch einmal die Entwicklung in Frankreich, wo das Phänomen der Identitären entstand und sich dann europaweit ausbreitete. Dem folgend geht es bei Stephanie Heide um das "Identitäre Zentrum" in Halle, das sich als Ausgangspunkt für die Bewegung in Deutschland sieht. Die Einstellung zur Gewalt und die Nutzung des Internet werden danach von Carina Book und Simone Rafel thematisiert.

Dazwischen findet sich ein Artikel von Jean-Philip Baeck, der dem Verhältnis von AfD und Identitären nachgeht, das trotz eines formalen Abgrenzungsbeschlusses der Partei durchaus mehr als nahe bezeichnet werden kann. Die folgenden Beiträge gehen dann bestimmten, etwas "exotischen" Themenschwerpunkten nach: Dazu gehört ein Artikel von Andrea Röpke zu den Verbindungen zu völkischen Familien, von Johanna Sigl zu männlichen Inszenierungen und Geschlechterkonstruktionen oder von David Begrich und Jan Raabe zur Bedeutung von Kultur und Musik bei den Identitären. Gerade die popkulturelle Dimension der Gemeinten wird dabei hervorgehoben, gibt es doch auch ihnen nahestehende Rapper. Und dann widmet sich Patrick Gensing noch der Wahrnehmung der Identitären durch die Medien, wirken Provokationen doch nur, wenn sie öffentlich wahrgenommen werden. Abschließend werfen Michael Bonvalot sowie Hinnerk Berlekamp und Jan Opielka noch einen Blick ins Ausland, geht es ihnen doch um die Identitären in Österreich und Osteuropa.

In der Gesamtschau erhält man als Leser einen guten Überblick zum Thema. Wie bereits erwähnt sind die Beiträge überwiegend journalistisch orientiert. Da liest man etwas leicht und locker. Es fehlt aber häufig auch an Stringenz und Struktur. Ärgerlich ist darüber hinaus das Fehlen von Nachweisen für Zitate. Auch ein paar wichtige Aspekte hätten noch thematisiert werden können: Wie organisiert man sich tatsächlich? Denn so basisdemokratisch wie die Identitären tun, sind sie dann wohl doch nicht. Man findet in den Beiträgen aber auch bedeutsame Informationen. Dazu gehört der Blick auf die geistigen Vorbilder, die dem antidemokratischen Denken der 1920er bis 1940er Jahre auch außerhalb des Nationalsozialismus entstammen. Beachtlich sind auch die Hinweise auf die Internetnutzung, "Aktivismus für das Internet" ist dafür eine treffende Formulierung. Deutlich wird auch, dass die Distanz zur Gewaltorientierung nur eine scheinbare ist. Wer Bürgerkriegsphantasien hat und Kampfsport fördert, will tatsächlich etwas anderes.

Andreas Speit (Hrsg.), Das Netzwerk der Identitären. Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten, Berlin 2018 (Ch. Links-Verlag), 262 S., ISBN: 978-3-96289-008-7, 18,00 Euro