"Antimuslimischer Rassismus" – analytische Kategorie oder polemisches Schlagwort?

Es gibt in Deutschland durchaus Feindschaft gegen Muslime. Doch ist dafür die Bezeichnung "antimuslimischer Rassismus" angemessen? Der Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber meint "nein". Er stellt eine bedenkliche Ausweitung des Rassismus-Verständnisses fest und sieht die drohende Gefahr einer Menschenrechtsrelativierung.

Eine Feindschaft gegen Muslime als Muslime lässt sich immer wieder feststellen: Es gibt Angriffe auf Einrichtungen wie Moscheen, Beleidigungen von Frauen mit Kopftuch, Benachteiligungen aufgrund von Kleidungs- oder Namenswahl, Einstellungen mit Hass und Ressentiments, Gewalthandlungen wie Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen oder Herabwürdigungen aufgrund von Terrorismus-Verdächtigungen. Wenn man all dies begrifflich erfassen will, bedarf es einer entsprechenden Bezeichnung. Sie sollte sowohl ein entwickeltes Differenzierungsvermögen wie eine nötige Trennschärfe aufweisen. Dazu kursiert gegenwärtig als Kategorie "Antimuslimischer Rassismus". Doch löst diese zunächst einmal Irritationen aus, sind doch die Muslime keine "Rasse". Was soll damit aber gemeint sein und wie angemessen ist das? Die folgende Abhandlung will dieser Frage nachgehen, wobei sie an den individuellen Menschenrechten als Primat orientiert ist. Diese bilden für die Angemessenheit den Maßstab ebenso wie für die Trennschärfe.

Definition der biologistischen Kategorie des Rassismus

Zunächst muss aber der Begriff "Rassismus" definiert werden. Dabei lässt sich ein engeres und ein weiteres Verständnis unterscheiden. Am Beginn steht die erstgenannte Dimension: Es geht hier um eine biologistische Definition, die erstens von der Existenz klar identifizierbarer Menschengruppen über eine "Rasse" ausgeht und zweitens damit die Diskriminierung der gemeinten Einzelnen aufgrund eben dieser Zugehörigkeit verbindet. Bedeutsam ist, dass eine biologische Kategorie als grundlegend gilt und es in dieser Hinsicht keine Veränderbarkeit gibt. Für die folgenden Ausführungen spielt keine Rolle, dass die Auffassung von einer "Rasse" mittlerweile als wissenschaftlich überholt gilt. Entscheidend ist zunächst nur die Deutung, die darüber hinsichtlich der Abwertung von Menschengruppen durch eben einen "Rassisten" erfolgt. Eine solche Auffassung stellt denn auch objektiv einen Gegensatz zu den Menschenrechten dar. Denn einer Diskriminierung kann der Einzelne nie entgehen, ergibt sie sich doch aus seiner scheinbaren Natur.

Ausweitung des Begriffsverständnisses auf einen "Kulturrassismus"

Diese Besonderheit unterscheidet die damit gemeinte Diskriminierungsideologie von allen anderen Diskriminierungsideologien. Gleichwohl kam es zur Ausweitung des Begriffsverständnisses von Rassismus, wofür folgende Beobachtung die inhaltliche Grundlage bot: Da durch den Holocaust der biologistische Rassismus als allgemein diskreditiert gilt, wird nicht mehr auf die Biologie, sondern auf die Kultur verwiesen. Aus der Denkperspektive der entsprechenden Forscher entstand so ein "Kulturrassismus", "Neorassismus" oder "Rassismus ohne Rassen" (Étienne Balibar, Stuart Hall). Insbesondere bei den Denkern der Neuen Rechten konnten derartige Umdeutungen festgestellt werden. Diese behaupteten, nur etwas gegen eine "fremde Kultur" zu haben, aber keine "rassistischen Stereotype" zu vertreten. Gleichwohl zeigte die ideologiekritische Analyse von deren politischen Diskursen, dass sich hinter ihren Einwänden gegen fremde Kulturen eine Fortsetzung von rassistischen Prägungen verbarg – nur eben mit anderer Wortwahl.

Ausweitung des Rassismus-Verständnisses als Relativierung

Dabei verkannten die Anhänger des Konzepts "Kulturrassismus" indessen zwei Punkte: Zunächst ging damit die Ausweitung des eigentlichen Rassismus-Verständnisses einher, die inhaltlichen Spezifika entschwanden so aus der konkreten Wahrnehmung. Das Alleinstellungsmerkmal der Diskriminierungsideologie des Rassismus ging verloren, so konnten alle nur möglichen Einstellungen angemessen oder nicht mit diesem Terminus belegt werden. Auch wenn dies von den gemeinten Autoren nicht beabsichtigt war, erfolgte objektiv gegenüber dem tatsächlichen Rassismus eine Relativierung durch Vergleich. Wenn alle nur möglichen Erscheinungsformen als "rassistisch" gelten, dann wird das besondere Gefahrenpotential eines rassistischen Phänomens nicht mehr gesehen. Alles erscheint als Diskriminierungsideologie und -praxis auf einer gleichen inhaltlichen Ebene angesiedelt, wodurch die konkreten Konturen und folgenreiche Wirkungen verschwinden. Die gute Absicht mag das verständlich machen, sie ist aber in der Sache nicht richtig.

Differenzierung von Kulturen aus menschenrechtlicher Sicht

Ein weiterer kritikwürdiger Aspekt bezieht sich auf die Differenz von "Kultur" und "Rasse". Denn es gibt aus menschenrechtlicher Auffassung zwischen beidem sehr wohl einen Unterschied, wobei sich die damit einhergehenden Einwände auf entwickelte "Kulturen" beziehen, aber dies nicht auf natürliche "Rassen" gemünzt sein kann. Denn sie gelten als biologische Kategorien, die inhaltlicher Kritik nicht zugänglich sind. Anders verhält es sich mit den "Kulturen". Diese können durchaus am Maßstab der Menschenrechte gemessen und unterschieden werden. Damit lassen sich auch "Kulturen" werten, was anhand des Menschenrechts auf sexuelle Selbstbestimmung veranschaulicht werden kann. Homosexuelle werden in bestimmten "Kulturen" anerkannt und in anderen "Kulturen" diskriminiert. Bekennende Homosexuelle können in bestimmten "Kulturen" hohe Ministerämter einnehmen und in anderen "Kulturen" können sie der Todesstrafe ausgesetzt werden. Ähnlich verhält es sich mit den Einstellungen zu Frauenrechten oder Minderheitenrechten.

"Kulturrassismus" zwischen Kulturrelativismus und Menschenrechten

Die damit einhergehende Grundauffassung, wonach die menschenrechtliche Individualität über der kulturellen Kollektivität steht, ist mitunter des "Menschenrechtsfundamentalismus" oder "Menschenrechtsimperialismus" geziehen worden. Dabei erstaunt, dass diese Argumentation eher von Linken kam, welche in dieser Frage bemerkenswerte Gemeinsamkeiten mit den Rechten aufweisen. Beide sprechen von einem Eigenwert, den jede Kultur als Kultur habe. Dagegen soll hier kein Einwand erhoben werden, gegen den damit verbundenen Kulturrelativismus indessen schon. Denn durch diese Grundeinstellung nehmen Menschenrechte nur noch einen niedrigeren Rang ein. Gegenüber der Identität in der Kultur sollen sie hinten anstehen, was auf eine Immunisierung vor Kritik von einschlägigen Verletzungen hinausläuft. Und genau bei diesem Gesichtspunkt stellt "Kulturrassismus" ein Problem dar, eröffnet doch das Gemeinte die Möglichkeit, Kritiker von dortigen Menschenrechtsverletzungen dem "Rassismus"-Vorwurf auszusetzen.

Differenzierung: Aufklärerische Kritik und fremdenfeindliche Ressentiments

Damit entsteht immer wieder die Absonderlichkeit, dass aufklärerische Einwände gegen menschenrechtliche Missstände diffamiert werden. Es gilt aber auch umgekehrt auf die Beobachtung zu verweisen, dass sich fremdenfeindlich Eingestellte der menschenrechtlichen Kritik um eines rassistischen "Umwegdiskurses" willen bedienen. Dadurch drohen bei dem Gemeinten die Grenzen zu verschwimmen, was erneut die Notwendigkeit zur Unterscheidung deutlich macht. Dies führt zunächst zurück auf den Ausgangspunkt, nämlich die Frage, ob am Beginn eine aufklärerische Kritik oder ein fremdenfeindliches Ressentiment steht. Bekanntlich sehen Humanisten im Kopftuch ein Problem, aber auch Rechtspopulisten. Gleichwohl geschieht dies auf einem genau entgegengesetzten Wertefundament: Einmal geht es um die Emanzipation der muslimischen Frau, einmal geht es um Fremdenfeindlichkeit im pseudoemanzipatorischen Gewand. Die erwähnte Auffassung von "Kulturrassismus" kann diese bedeutsame Unterscheidung nicht vornehmen.

"Antimuslimischer Rassismus" als Kategorie mit wenig Trennschärfe

Und genauso so verhält es sich bei der Kategorie "Antimuslimischer Rassismus" (Iman Attia, Inva Kuhn), womit zwar in guter Absicht vor Muslimenfeindlichkeit gewarnt, aber eine Kategorie mit wenig Trennschärfe verwendet wird. Denn die Frage, wie zwischen einer legitimen Kritik und problematischen Ressentiments unterschieden werden müsste, erörtert man nicht in Richtung eines klaren Verständnisses. Damit bleiben bedenkliche Entwicklungen in der muslimischen Gemeinschaft ausgeblendet, angesichts fehlender Klarheit erscheint häufig Kritik als letztendlicher "Rassismus". Dies führt mitunter zu absonderlichen Aussagen, wenn etwa Kritikerinnen aus dem islamisch geprägten Kulturkreis wegen frauenrechtlicher Einwände als "antimuslimische Rassistinnen" diffamiert werden. Statt solche Behauptungen in den Diskurs zu tragen, sollte vielmehr an der inhaltlichen Ausrichtung und menschenrechtlichen Grundlage entsprechend sinnvoll nutzbarer Kategorien gefeilt werden, welche muslimenfeindliche Einstellungen und Praktiken erfasst.

Angebot einer klareren Kategorie: Muslimenfeindlichkeit

Als Angebot zu einer klareren Kategorie soll daher für "Muslimenfeindlichkeit" als Terminus plädiert werden. In Anlehnung an eine Antisemitismus-Definition lässt sich in folgendem Sinne formulieren: Es geht um eine Feindschaft gegen Muslime als Muslime. Diese simple Begriffsbestimmung stellt darauf ab, dass bestimmte Menschen aufgrund ihres Muslimseins diskriminiert oder verfolgt werden. Es geht dabei nicht um Einstellungen und Handlungen, die ihnen unabhängig von dieser Identität vorgeworfen werden. Demnach haben kritische Anmerkungen, welche Abgrenzung, Frauendiskriminierung, Glaubensfixierung oder Männlichkeitskulte thematisieren, nichts mit der gemeinten Muslimenfeindlichkeit zu tun. Die Basis derartiger Einwände besteht in anderen Inhalten: der Aufklärung, dem Humanismus, den Menschenrechten. Um einer damit einhergehenden Differenzierung willen bedarf es Kategorien mit entwickelter Trennschärfe. Die inflationäre und unbegründete Ausweitung des Rassismus-Verständnisses trägt dazu wenig bei.

Muslimenkritik und Muslimenfeindschaft sind Unterschiede

Die vorstehende Auffassung bestreitet erklärtermaßen nicht, dass es in Deutschland eine Feindschaft gegen Muslime gibt. Genau dies ist auch am Beginn der Erörterung formuliert worden. Man mag vielen Bestandteilen des Islam kritisch gegenüberstehen, als Gläubige können Muslime selbstverständlich ihre Religionsfreiheit wahrnehmen. Sofern sie dabei nicht gegen andere Grundrechte verstoßen, gehört dies zu ihren unveräußerlichen Menschenrechten. Eine solche Einsicht schließt indessen nicht Kritik im Sinne dieses Wertefundaments aus. Dabei muss bezogen auf den öffentlichen Diskurs noch einmal daran erinnert werden, wie sich Feindschaft und Kritik unterscheiden. Im erstgenannten Fall wird aggressiv eine rigorose Frontstellung formuliert, im zweiten Fall geht es um differenzierten und sachlichen Meinungsaustausch. Daher kann auch problematisiert werden, dass die Homosexuellen- und Judenfeindschaft unter Muslimen überproportional hoch ist – was empirische Studien aus verschiedenen europäischen Ländern veranschaulichen.

"Antimuslimischer Rassismus" als diffuse Kategorie mit hohem Missbrauchspotential

Damit einhergehende Einsichten und Kritiken diffamieren nicht alle Muslime, machen aber auf problematische Besonderheiten in einer sozialen Gruppe aufmerksam. Diese Aussage würde womöglich schnell als "antimuslimischer Rassismus" gedeutet, zumindest verfügt diese Kategorie nicht über die nötige Trennschärfe für eine entsprechende Zuordnung. Dies liegt auch daran, dass das Gemeinte konzeptionell nicht klar genug entwickelt wurde. Ganz allgemein ist von Anfeindungen und Diskriminierungen in Diskursen und Praktiken die Rede, es wird auf herabwürdigende und pauschalisierende Merkmalszuschreibungen mit der Religion verwiesen. Dabei handelt es sich durchaus um angemessene Beobachtungen, sie sind bislang aber nicht in ein stringentes Konzept integriert worden. Die gemeinte Auffassung von "Antimuslimischer Rassismus" erweist sich daher formal und inhaltlich unstrukturiert. Gerade dass die Bezeichnung bei der Diskreditierung von menschenrechtlicher Kritik so einfach als polemisches Schlagwort genutzt werden kann, macht dies deutlich.

Ausweitung des Begriffsverständnisses und Gefahr des Menschenrechtsrelativismus

Die damit angesprochene Begriffsverwendung hat ihren inhaltlichen Ursprung darin, dass es eine Ausweitung von Rassismus im Verständnis gab. Dieses wurde zunächst auf "Kultur" und dann auf "Religion" übertragen. Als Begründung kann jeweils angegeben werden, dass es um die ausgeprägte Diskriminierung einer sozialen Gruppe geht. Doch damit könnte das Gemeinte noch weiter ausgedehnt werden: Bekanntlich gibt es auch gegenüber Atheisten eine zumindest strukturelle Benachteiligung in Deutschland, man würde aber schwerlich von einem "Antiatheistischen Rassismus" sprechen. Dieses polemische Gedankenexperiment veranschaulicht wohl gut die gemeinte Problematik. Darüber hinaus geht mit dem gemeinten Diskurs um "antimuslimischen Rassismus" möglicherweise noch eine andere bedenkliche Wirkung einher. Da es auch immer wieder um eine Abwehr von Kritik an Kulturkreisen oder Religionsgemeinschaften geht, besteht die Gefahr einer kollektivistischen Identitätsvorstellung. Ein bedenklicher Menschenrechtsrelativismus ist da nicht weit.