Antiziganismus als Form Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

BONN. (hpd) Der Historiker Wolfgang Wippermann behandelt in seinem Buch "Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils" den gegen Roman und Sinti gerichteten "Antiziganismus" als Form Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Man erhält durch den gut lesbaren Band einen informativen Überblick zum Thema, wobei manche analytischen Aussagen nicht immer überzeugen können.

Zu den bislang weniger beachteten Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gehört der "Antiziganismus". Der Begriff steht für Aversionen und Diskriminierungen gegenüber Angehörigen der Roma und Sinti, die auch heute noch häufig mit dem abwertenden Begriff "Zigeuner" tituliert werden.

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Demgegenüber betont der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann in seinem gleichnamigen Buch "Niemand ist ein Zigeuner". Es will einen Beitrag, so der Untertitel, "Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils" liefern. Damit setzt der Autor seine bisherigen Publikationen zum Thema fort, wozu auch eine Studie zur Frage der Vergleichbarkeit des Genozids an den Juden und den Roma gehörte ("Auserwählte Opfer? Shoah und Porrajmos im Vergleich", 2012). Mit seinem vorliegenden Werk will Wippermann in knapper Darstellung und essayistischer Form für einen möglichst breiten Lesekreis die wichtigsten Aspekte und Deutungen zum Thema präsentieren, wobei diesmal der inhaltliche Schwerpunkt auf den Entwicklungen in der Gegenwart liegen soll.

Zunächst definiert Wippermann aber seinen zentralen Arbeitsbegriff: "Antiziganismus ist eine Ideologie, die aus sozialen, religiösen, romantisierenden und rassistischen Elementen besteht und auf Vorurteilen über die diebischen, faulen, teuflischen und 'rassisch minderwertigen' Roma beruht. Diese Ideologie bzw. dieses 'falsche Bewusstsein' ist aber tief in der Mentalität der Mehrheitsgesellschaft verwurzelt und von Generation zu Generation tradiert worden." Außerdem schreibt er: "Beim Antiziganismus handelt es sich um ein gesamteuropäisches Vorurteil, und der Völkermord an den Roma ist als ein europäischer Genozid zu bezeichnen, weil er keineswegs nur von den Deutschen, sondern auch von den Angehörigen anderer europäischer Völker begangen worden ist" (S. 9f.). Demgemäß klärt der Historiker zunächst über die europaweit diffamierend und falsch genutzte Bezeichnung "Zigeuner" auf, welche etwa im Deutschen so viel wie "Zieh-Gauner" meine. Stattdessen solle man die von den Gemeinten selbst genutzte Bezeichnung "Roma" nutzen.

Wippermann geht danach auf die unterschiedlichsten Aspekte der Verbreitung von Negativbildern über die Minderheit ein: Zunächst erinnert er noch an die bereits im Mittelalter aufkommenden ersten diskriminierende Feinderklärungen und Gesetze, danach an die religiösen und sozialen Formen des Vorurteils mit der Rede von den Teufeln und Verbrechern und dann auch an das scheinbar positive romantisierende Bild von dem "Volk aus dem Orient". Dem folgend vollzieht der Historiker einen Sprung ins 20. Jahrhundert, wobei er die NS-Vernichtungspolitik in den Mittelpunkt stellt. Eine Wiedergutmachung habe es nach 1945 bzw. 1949 weder ideell noch materiell gegeben. Denn: "Die 'Zigeuner' seien nicht 'aus Gründen der Rasse', sondern wegen ihrer 'asozialen Eigenschaften' verfolgt bzw. 'besonderen Beschränkungen' unterworfen worden, wie der Bundesgerichtshof ... in einem Grundsatzurteil ausführte..." (S. 162). Danach verweist der Autor noch auf aktuelle Diskriminierungen – auch mit dem Schlagwort des "Sozialtourismus" in West- und Osteuropa.

Wippermann legt ein gut verständliches und leicht lesbares Buch vor, was auch als Einstieg in das Thema dienen kann. Bedauerlich ist, dass das reale Leben der Roma nicht näher behandelt wird. Es heißt zwar: "Nicht erwähnt wurde, dass sich die weitaus meisten der deutschen Sinti und Roma in die deutsche Mehrheitsgesellschaft integriert hatten" (S. 92). Aber man hätte doch gern noch mehr zur verzerrten Wahrnehmung der Minderheit gelesen, zumal Wippermann ja selbst hier von einem "falschen Bewusstsein" spricht. Interessant sind auch seine Ausführungen zum Vergleich des Genozids an den Juden und den Roma (vgl. S. 68–81), wobei aber der methodische Unterschied von Gleichsetzung und Vergleich nicht näher beachtet wird. Problematisch ist Wippermanns These, der Genozid an den Roma sei ein europäischer Völkermord gewesen. Diese Auffassung verallgemeinert die konkrete Verantwortung, denn die europäische Beteiligung war nur unter nationalsozialistischer Vorgabe möglich. Die Tat war mehr deutsch, das Vorurteil mehr europäisch.

 


Wolfgang Wippermann, Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils, Hamburg 2015 (Edition Körber-Stiftung), 251 S., 17,00 Euro