Rezension

"Kritik der vegetarischen Ethik"

Dürfen Menschen leidensfähige Tiere töten, um sich von ihrem Fleisch zu ernähren, obwohl es dafür keine biologische Notwendigkeit gibt? Eine vegetarische Ethik verneint diese Frage. Wer eine "Kritik der vegetarischen Ethik" vortragen will, muss erläutern, warum er entsprechende Tiertötungen für vertretbar hält. Dies verspricht Klaus Alfs, gelernter Landwirt und diplomierter Sozialwissenschaftler, in seinem Buch mit dem genannten Titel.

Klaus Alfs beklagt in seinem Buch bereits einleitend einen angeblichen Druck auf Fleischesser aufgrund eines geänderten Meinungsklimas, welchem durch ihn eine Befürwortung der Tiernutzung entgegengestellt werden solle. Alfs will die Argumente für vegetarische Ethik mit Vernunft widerlegen, wobei er auf die hierbei vorgetragenen Aussagen systematisch eingehen möchte. Dazu gehören für ihn die Doppelmoral menschlichen Verhaltens, die Einwände gegen die Massentierhaltung oder die Kritik an der Ressourcenverschwendung. Dies alles sei nicht rational.

Diese Deutung wird auf knapp über 400 Seiten ausgebreitet. Dabei arbeitet Alfs aber mehr mit Assoziationen und weniger mit Begründungen, mehr mit Detailaspekten und weniger mit Grundsatzkritik, mehr mit Suggestion und weniger mit Vernunftgründen. Zu den berechtigten Detailaspekten gehören folgende Inhalte: Die tierethischen Ansätze arbeiten nicht selten mit normativen Setzungen, die keineswegs die gebotene Überzeugungskraft aufweisen. Es gibt in der veganen Bewegung durchaus Menschen, die mit Dramatisierungen und Übertreibungen arbeiten. Außerdem fehlen entwickelte Konzepte, wonach die Ernährungspraxis kurz- und längerfristig umgestellt werden würde. Und schließlich unterscheiden sich nach der neueren Forschung durchaus Mensch und Tier grundlegender als von vielen Veganern wahrgenommen. Gleichwohl ergibt sich aus diesen angemessenen Aussagen nicht, dass die daraus gezogenen Schlüsse überzeugend sind.

Beispielbild
© 2016 Eichelmändli Verlag

Eine ausführliche Begründung für diese Einschätzung würde den Rahmen einer Rezension sprengen. Daher seien dazu nur ein paar Beispiele genannt. Alfs bemerkt etwa, dass Katzen jährlich weltweit über vier Milliarden Vögel töten würden (vgl. S. 70). Dies mag so stimmen, nur was sagt dies aus: Dürfen Menschen dann auch weltweit vier Milliarden Schweine töten? Es handelt sich bei Katzen um reine Fleischfresser, Menschen haben andere Möglichkeiten. Derartige Assoziationen legen nahe, dass in der Natur bestimmte Tiere andere Tiere töten, was bis dahin eine zutreffende Beobachtung ist, und dass damit auch der Fleischkonsum des Menschen natürlich ist, was eben in dieser Verallgemeinerung nicht zutreffend ist. Im Gegensatz zur Katze hat der Mensch eben die Wahl. Die erwähnte Einsicht stellt für vegane Katzenliebhaber indessen ein legitimatorisches Problem dar. Doch dieses sagt nichts über die ethische Angemessenheit menschlichen Fleischkonsums aus.

Alfs arbeitet auch mit Pauschalisierungen, wobei etwa auf kritikwürdige Protagonisten des Veganismus verwiesen wird. Aus einer Aussage von Helmut F. Kaplan leitet er ab, dass die "Bestrafung" (S. 185) die Motivation vieler ethischer Vegetarier sei. Es handele sich um Apokalyptiker, welche die Apokalypse herbeiführen wollten. So einfach kann es sich ein Autor machen, nutzt er hier doch nur eine beliebte Manipulationstechnik. Er betont, dass es "klar erkennbare geistige Unterschiede zwischen Mensch und Tier" gebe, welche "auch ethische Vegetarier nicht leugnen" (S. 205) könnten. Dem ist durchaus so, doch was sagt dies aus: Ergibt sich daraus, dass leidensfähige Lebewesen ausgebeutet und getötet werden dürfen? Gegen die Einsicht der Forschung meint der Verfasser: "Tiere wissenschaftlich so zu betrachten, als ob sie Maschinen wären, wie Descartes es getan hat, ist mitnichten falsch" (S. 243). Das sehen aber auch fleischessende Hundebesitzer anders.

Durch das ganze Buch hindurch fragt man sich, welche eigentliche Motivation ihm zugrunde liegt. Es geht Alfs um eine anthropozentrische Grundposition. Er sieht den "Menschen als Maß aller Dinge" (S. 363). Begründungsdefizite an einer "anthropozentrischen Ethik" (S. 372) könnten ethische Vegetarier nicht vorbringen. Der Autor ignoriert hierbei aber, dass gerade eine anthropozentrische Ethik einen Vegetarismus begründen kann. Denn die damit einhergehende Auffassung, wonach der Mensch dem Tier überlegen sei, ergibt sich auch aus dem diesbezüglichen Tötungsverzicht. Die indirekt postulierte Aussage, wonach Menschen Schweine töten können, weil Katzen Vögel töten, stellt ja nun gerade den Menschen solchen Tieren gleich. Gerade die individuelle Entscheidung für den Fleischverzicht steht für die ethische Überlegenheit. Alfs verstolpert sich in seiner Argumentation somit am Ende auch mit seiner Grundposition und verkennt den eigenen Widerspruch.

Klaus Alfs, Kritik der vegetarischen Ethik. Wie vernünftig ist der Verzicht?, Eichelmändliland/Hofstätten SO (Schweiz) 2019 (Eichelmändli Verlag), 407 S. ISBN: 978-3-033-07403-3

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