Hinweise, dass ein Gottesdienst in Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch im Schlachthof des Fleischkonzerns Tönnies steht, verdichten sich. Das ist umso ärgerlicher, als die Infektionsgefahr durch Gottesdienste nicht nur theoretisch absehbar war, sondern sich in den vergangenen Wochen bereits mehrfach praktisch gezeigt hat.
Es ist nicht so, dass man es nicht hätte ahnen können. Es ist auch nicht so, dass niemand davor gewarnt hätte. Trotzdem hatten Politiker im April nichts Besseres zu tun, als sich zu Kreuzrittern des Glaubens aufzuschwingen und vehement dafür einzusetzen, dass Religionsgemeinschaften ihren Glauben wieder in leibhaftiger Gemeinschaft innerhalb von Gotteshäusern feiern dürfen. Eine Politik, die, so scheint es derzeit, mitverantwortlich ist für die aktuellen Corona-Infektionen in der Großschlachterei Tönnies und den erneuten Shutdown zweier Landkreise in Nordrhein-Westfalen
Am vergangenen Wochenende hatte t-online über Recherchen berichtet, die nahelegten, dass ein Gottesdienst am 17. Mai, an dem einige Tönnies-Mitarbeiter teilnahmen, Ausgangspunkt der Massen-Infektion im Schlachthof sein könnte. Auch das Unternehmen Tönnies selbst, so t-online, scheint das Ausbruchsgeschehen auf diesen Gottesdienst zurückzuführen, während die Kirchengemeinde dies bestreitet.
Der Zusammenhang zwischen besagtem Gottesdienst und dem Corona-Ausbruch im Tönnies-Schlachthof wurde laut Pressemeldung der nordrhein-westfälischen SPD-Landtagsfraktion gestern ebenfalls von Edmund Heller, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses im Landtag eingeräumt.
Auf Anfrage der Katholischen Nachrichten Agentur KNA relativierte das NRW-Gesundheitsministerium dies jedoch umgehend. Dass der Gottesdienst, wie von t-online berichtet, "ein entscheidender Moment" für den Corona-Ausbruch bei Tönnies gewesen sei, wies das Ministerium laut dem Internetportal der römisch-katholischen Kirche in Deutschland katholisch.de zurück.
Der Kreis Gütersloh zog – ebenfalls gestern – mit einer Pressemitteilung nach:
"Im Rahmen der Recherche bei Infizierten ist im Mai ein Ausbruchgeschehen auf den Besuch einer Kirche in Herzebrock-Clarholz zurückzuführen gewesen. Es hat mehrere Infizierte gegeben, die einen direkten Bezug zu dem Unternehmen Tönnies haben und die einen Gottesdienst am 17. Mai besucht haben."
Allerdings wurde in der Pressemitteilung auch betont, dass sich eine genaue Ursache für den Eintrag des Coronavirus in die Firma Tönnies aus Sicht des Kreises nicht exakt und zweifelsfrei benennen lasse. Das genaue Ausbruchsgeschehen habe bis heute nicht vollständig geklärt werden können. Deshalb sei auch nicht klar, wer der Indexfall sei.
In der Tat gibt es laut t-online ein weiteres verdächtiges Event. Einen Restaurantbesuch am Vortag des Gottesdienstes. Sowohl am Restaurantbesuch als auch am Gottesdienst hatten jeweils unterschiedliche Mitarbeiter des Tönnies-Schlachthofs sowie des Fleischkonzerns Westcrown gemeinsam teilgenommen. Bei Westcrown kam es in der zweiten Mai-Hälfte zu einem Corona-Ausbruch.
Halten wir fest: Lediglich, ob sich unter den gottesdienstfreudigen Schlachthof-Mitarbeitern der Indexfall – auch Patient Null genannt – befunden hat, also jener Patient, auf den letztlich alle oder wenigstens die meisten anderen Infektionen bei Tönnies zurückzuführen sind, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Unstrittig ist jedoch, dass "ein Ausbruchgeschehen auf den Besuch einer Kirche in Herzebrock-Clarholz zurückzuführen" ist und dass es im Schlachthof mehrere Infizierte gegeben hat, "die einen direkten Bezug zu dem Unternehmen Tönnies haben und die einen Gottesdienst am 17. Mai besucht haben".
Dass die auf Drängen vor allem der christlichen Kirchen erfolgte Aufhebung des Verbots leibhaftiger Versammlungen zum Abhalten religiöser Feiern keine gute Idee war, hatte sich bereits während der vergangenen Wochen an verschiedenen Orten gezeigt. In Frankfurt hatte der Gottesdienst einer Baptistengemeinde zu einem Ausbruch geführt, der die Gesundheitsämter aller umliegenden Kreise auf Trab hielt. Ähnliches in Bremerhaven bei einer Pfingstgemeinde, in Mecklenburg-Vorpommern, wo ein infizierter Priester gleich in mehreren Gemeinden Messen las, in Berlin, wo ebenfalls ein infizierter Pfarrer das Virus großzügig verteilte, sowie in Göttingen, wo offenbar einige Familien die Kontaktbeschränkungen missachteten, um gemeinsam das muslimische Zuckerfest zu feiern.
Dabei hatten zu dem Zeitpunkt, an dem kirchenfreundliche Ministerpräsidenten in den Ländern dafür sorgten, dass Gottesdienste wieder leibhaftig in Gotteshäusern stattfinden durften, Wissenschaftler bereits herausgefunden, dass Zusammenkünfte vieler Menschen in schlecht gelüfteten Innenräumen ein Eldorado für Coronaviren sind. Wenn diese Menschen auch noch laut sprechen oder singen, vervielfacht sich das Risiko, dass ein Infizierter seine Viren per Aerosolwolke an andere weitergibt. Dass sich bei solchen Anlässen Menschen anstecken, war also nur eine Frage der Zeit. Und auch, dass diese Menschen das Virus in sensible Bereiche weitertragen – in Alten- und Pflegeheime, in denen besonders Gefährdete mit dem Virus infiziert werden, oder eben in Super-Spreader-Anlagen, wie dies Schlachthöfe zu sein scheinen.
Nur zur Erinnerung: Bereits ein Mensch, der sich infiziert und das Virus anschließend in eine Umgebung trägt, in der es optimale Bedingungen zur Vermehrung und Verbreitung vorfindet, reicht aus, um einen Hotspot zu verursachen. Spätestens nach der Verbreitung des Coronavirus im Heinsberger Karneval durch nur einen Jecken, hätte dies dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Karnevalsorden-Träger Armin Laschet eigentlich bekannt sein müssen, der sich besonders für die Lockerung der Gottesdienst-Beschränkungen eingesetzt hatte.
Nun also haben wir den Fleischsalat. Und wir verdanken ihn – eventuell nicht nur, aber eben auch – den Kirchen, die auf Teufel komm raus ihre Macht demonstrieren wollten, indem sie das Ende des leibhaftigen Gottesdienstverbots mit Hilfe willfähriger Politiker durchsetzten. Dass diese Machtdemonstration wider jede Vernunft weitergeht, zeigt sich derzeit in den Shutdown-Kreisen Gütersloh und Warendorf. Während dort für die Bevölkerung nun wieder Kontaktbeschränkungen gelten und einige Betriebe schließen mussten, dürfen Gottesdienste weiterhin stattfinden. "Für gottesdienstliche Versammlungen enthält die seit Mittwoch geltende Coronaregionalverordnung keine Beschränkungen, heißt es in einer veröffentlichten Handlungsempfehlung des Erzbistums Paderborn", so der Evangelische Pressedienst epd. "Es ist auch seitens der Staatskanzlei juristisch und politisch gewollt, Gottesdienste nicht zu verbieten", zitiert epd Generalvikar Klaus Winterkamp aus Münster.
Anscheinend ist der Glaube inzwischen so schwach geworden, dass er zwingend den Resonanzraum einer Kirche benötigt, um überhaupt noch spürbar zu sein. Welchen anderen Grund es dafür geben könnte, dass man zum Schutz von Menschenleben nicht einfach ein paar Wochen länger unter freiem Himmel oder in virtueller Gemeinschaft das jeweils präferierte Geistwesen anbetet, wissen wohl nur die Götter. Oder Kirchenfunktionäre und ihre politischen Gefolgsleute.
2 Kommentare
Kommentare
Sommerfeld am Permanenter Link
Endlich greift jemand dieses Thema mal mutig auf. Es geht hier ja nicht darum Gläubige zu stigmatisieren, sondern um nach allen neuen Erkenntnissen für Ausbrüche an die Vernunft zu appellieren.
Kathi am Permanenter Link
Vernunft kann man bei Gläubigen nicht erwarten. Allein der Glaube an sich ist schon wider den gesunden Menschenverstand. Ich habe sowas in der Familie. Daher weiss ich, wovon ich rede.