Notizen aus Polen

Die gewinnenden Verlierer

Die Stichwahl zur polnischen Präsidentschaft hat Amtsinhaber Andrzej Duda mit 51 zu 49 Prozent der Stimmen knapp gewonnen. Von den rund 30 Millionen Wahlberechtigten gingen fast 70 Prozent wählen. Und das trotz Corona-Epidemie. Polinnen und Polen im In- und im Ausland standen mit Gesichtsmasken vor den Wahllokalen Schlange, manchmal bis zu fünf Stunden lang. Die schon zuvor tief gespaltete Nation hat sich dieses Mal in zwei Lager zu je 10 Millionen Wählern geteilt. Es gab aber auch weitere 10 Millionen Polinnen und Polen, die nicht wählen wollten.

Zuvor tobte ein sehr ungleicher Wahlkampf. Andrzej Duda hatte sämtliche Ressourcen des Staates nur für sich. Die mächtige staatliche Maschine arbeitete viele Wochen allein für ihn. Der Regierungschef und seine Minister bereisten ganz Polen, lobpreisten den Präsidenten und versprachen Subventionen für die Gemeinden. Das Regierungsfernsehen (widerrechtlich "öffentlich" genannt) warb hemmungslos nur für Duda und diskreditierte seinen Konkurrenten gemein.

Die Regierenden und Andrzej Duda als Kandidat und immer noch amtierender Präsident machten den Wählern Angst damit, dass, wenn der Oppositionskandidat Rafał Trzaskowski die Wahlen gewinnen würde, Deutsche, Juden, Flüchtlinge und LGBTs das Land übernehmen würden und warnten vor einer Abschaffung der sozialen Programme, einer Erhöhung des Rentenalters und nicht zuletzt auch vor dem Verlust der polnischen Identität.

Und was hatten die Anhänger von Rafał Trzaskowski zur Verfügung? Außer beispiellosem Enthusiasmus und Engagement fast nichts. Der Wahlkampf hat zwar Teile der Zivilgesellschaft aus der Apathie, der Hoffnungslosigkeit erweckt. Unzählige ehrenamtliche Helfer haben die Wahltreffen von Trzaskowski organisiert, die Poster geklebt, die Flugblätter verteilt; die Wahlkundgebungen in ganz Polen besuchten Tausende Menschen.

Wieso also haben wir, die Demokraten, die Wahlen verloren? Weil Angst eine stärkere Emotion ist als Enthusiasmus und Hoffnung.

Rafał Trzaskowski mit seiner Frau, Foto: © Marta Bogdanowicz

Rafał Trzaskowski mit seiner Frau, Foto: © Marta Bogdanowicz

Für Duda haben vor allem ältere Manschen, die Einwohner der Dörfer und Kleinstädte und schlechter ausgebildete Bürger gestimmt. Sie glaubten, was sie im "öffentlichen" Fernsehen hörten und sahen: dass Trzaskowskis Herz und Seele nicht polnisch seien, dass er ihnen die kostenlosen Medikamente und die zusätzliche Rente wegnehmen würde.

Sie haben nicht nur im Fernsehen, sondern auch vom Pfarrer gehört, dass Trzaskowski die Ehe für alle zulassen würde und Homosexuellen Adoptionen erlauben werde. Sie glaubten, dass er die Sexualkunde in Kindergärten einführen würde und so die Kleinkinder verderbe. Sie haben zudem vom Premierminister im Fernsehen gehört, dass die Corona-Epidemie vorbei sei und sie gefahrlos abstimmen gehen könnten. Sie haben auch vom Sicherheitszentrum der Regierung eine SMS bekommen, dass dieses Mal Menschen im Alter von über 60 Jahren außerhalb der Reihe ihre Stimme abgeben dürfen. Bisher hat das Sicherheitszentrum per SMS nur vor drohenden Katastrophen gewarnt.

In seiner ersten Rede nach der Bekanntgabe der Wahlresultate rief Andrzej Duda noch zur Versöhnung der gespalteten Gesellschaft auf. Aber schon am nächsten Tag sagte er in einer Pressekonferenz, dass alles, was er während der Wahlkampagne gesagt habe, aktuell und richtig sei.

Was also dürfen wir in seiner zweiten Amtszeit erwarten? Die meisten politischen Kommentatoren behaupten, dass er weiter passiver Ausführender der Befehle von PiS-Chef Jarosław Kaczyński bleibt. Das wird es der PiS-Mehrheit im Parlament ermöglichen, die letzten Reste der Demokratie abzubauen. Der Justizminister hat noch am Wahltag verkündet, dass er die Justizreform abschließen werde. "Reform" bedeutet hier, die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter abzuschaffen.

Dieses dunkle Szenario wird aber auf den harten Widerstand der zehn Millionen Trzaskowski-Wähler stoßen. Und nicht nur dieser Wähler. Im ersten Wahlgang haben alle Konkurrenten Dudas fast 60 Prozent aller Stimmen auf sich vereint. Sie werden höchstwahrscheinlich auch gegen diktatorische Pläne der PiS-Partei sein. Rafał Trzaskowski verspricht, den Enthusiasmus und das Engagement seiner Wähler zum Aufbau der Zivilgesellschaft zu nutzen.

Wichtig wird auch das Verhalten der europäischen Institutionen sein. Die PiS-Regierung wird den EU-Wiederaufbaufonds brauchen. Das neue EU-Budget soll eine Rechtsstaatsklausel enthalten. Hoffentlich werden die Proteste der polnischen Regierung nicht zur Abschaffung dieser Klausel führen.

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