Galeeren der Gegenwart

Der Hunger der Welt auf billigen Fisch wächst, während die Ozeane und Meere immer leerer werden. Eine solche Gleichung kann nur dann wirtschaftlich aufgehen, wenn man an anderer Stelle spart oder aber ausweichende Industriezweige fördert. In diesem Fall die künstliche Aufzucht von Meeresfrüchten und Speisefischen in Aquakulturen, die im Vergleich zum industriellen Wildfang unter ökologischen wie sozio-ökonomischen Gesichtspunkten nicht minder problematisch sind.

Die Arbeitsbedingungen in der Fischerei sind häufig miserabel. Weltweit arbeiten zehn Prozent der Fischer unter unzumutbaren Bedingungen. Die Skala erstreckt sich von schwerster Ausbeutung bis hin zur Sklaverei.

Sklaverei gehört weder der Vergangenheit an noch ist sie eine Randerscheinung. Eine Tatsache, die andeutungsweise durch erfolgreich etablierte Formulierungen wie "moderne Sklaverei" in Zweifel gezogen wird. In gewisser Weise erschafft die Verwendung solcher Begriffe eine Kluft, die uns suggeriert, wir hätten es mit einem gutmütigeren Verwandten der historischen Variante zu tun. Doch eigentlich hat die Globalisierung die Sklaverei nur aus dem Sichtfeld der Konsumenten entfernt und statt Befürwortung zu ernten, wird sie auf staatlicher Ebene nurmehr geduldet.

Nach Schätzungen der International Labour Organisation (ILO) sind weltweit 21 Millionen Menschen versklavt. Im südostasiatischen Raum ist in besonderem Maße die Fischerei betroffen. Der systematische Menschenhandel in Thailand machte in den letzten Jahren regelmäßig Schlagzeilen. Verzweifelt, mittellos und ohne Papiere werden oftmals männliche Jugendliche aus Kambodscha und Myanmar Opfer der Zwangsarbeit auf hoher See. Viele von ihnen waren in ihrem Heimatland Mittelsmännern auf den Leim gegangen; angebliche Arbeitsvermittler, welche die arglosen Arbeitssuchenden ködern, indem sie ihnen gut bezahlte Anstellungen in Thailand versprechen. Die Jungen und Männer werden in Transportern über die Grenzen gebracht. Wenn es anfangs zu viele sind, werden sie manchmal im Laderaum übereinander gestapelt. Diejenigen, die das Pech haben, am Boden zu liegen, laufen Gefahr, qualvoll zu ersticken. Sowie sie an den Häfen angekommen sind, werden sie für einen durchschnittlichen Preis von 250 bis 300 Euro pro Person an die Schiffsführer verkauft.

Neun von zehn Arbeitern in der thailändischen Fischindustrie sind Migranten. Die Internationanal Justice Mission befragte 260 Arbeitsmigranten, die im Zeitraum von 2011 bis 2016 in der thailändischen Hochseefischerei beschäftigt waren, und kam zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der Befragten Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit geworden waren. Mehrheitlich berichteten die Befragten von Schichten über 16 Stunden, von Prügel, Schlafentzug und Exekutionen. Doch das Schicksal der Zwangsarbeiter blieb lange weitgehend unbeachtet. Erst eine Veröffentlichung im Guardian im Jahr 2014 schuf das Fundament für die weltweite Aufmerksamkeit, ohne die es vermutlich nie zu nennenswerten strukturellen Veränderungen gekommen wäre.

Journalisten hatten in einer sechsmonatigen Recherche die Menschenrechtsverletzungen auf Fischerbooten enthüllt, die unter anderem den größten thailändischen Agrarkonzern CP Foods mit Fischmehl belieferten. CP Foods – Großexporteur für Tiefkühl-Shrimps – benötigt das Fischmehl als Futter für seine konventionelle Garnelenzucht und das möglichst kostengünstig, denn die Meerestiere sind längst keine kostspielige Delikatesse mehr, mit der sich große Gewinnspannen erzielen lassen. Für die Zucht von Garnelen werden unterdessen nicht nur Menschenrechte verletzt, sondern auch weite Teile der artenreichen Mangrovenwälder abgeholzt, was einem ökologischen Desaster gleichkommt. Zu Schnäppchenpreisen werden die Garnelen vornehmlich in den Tiefkühlabteilungen von japanischen, europäischen und nordamerikanischen Supermärkten verkauft, auch Aldi führte die Produkte von CP Foods im Sortiment.

Um solche Preise zu ermöglichen, schuften Arbeitsmigranten unter unhaltbaren Zuständen, teilweise ohne jemals entlohnt zu werden. The Guardian behauptet, die Sklavenarbeit sei integraler Bestandteil der milliardenschweren thailändischen Garnelenindustrie und würde ohne sie mit großer Wahrscheinlichkeit kollabieren. Ein Umstand, der ahnen lässt, weshalb sich die Bemühungen der thailändischen Regierung in Grenzen hielten, dem damaligen Status quo etwas entgegenzusetzen. Männer, die den Schiffen entkommen waren, erzählten den Journalisten von 20-stündigen Schichten. Wer sich verweigerte oder schier zu erschöpft war, um weiterzuarbeiten, der wurde geschlagen oder mit Methamphetaminen aufgeputscht.

Eines der Opfer, ein Kambodschaner mit dem Namen Vuthy, schilderte die Zeit auf See mit den Worten: "Ich dachte, ich muss sterben. Sie ketteten mich an, kümmerten sich nicht um mich, gaben mir kein Essen. Sie verkauften uns wie Tiere, aber wir sind keine Tiere, wir sind Menschen." Es sei auch zu Massenexekutionen gekommen, berichtet ein anderer. Gleich 20 Männer waren an einem Tag vor den Augen aller hingerichtet worden. Einer hatte den Kapitän angegriffen, ihn traf es am schlimmsten. Seine Hände und Füße fesselten sie an die Buge von vier Booten, dann zogen sie auseinander. Sein erschreckend grausamer Tod sollte den Verbliebenen als Abschreckung dienen. Wer nach der monate- oder jahrelangen Strapaze auf See schlussendlich bezahlt wurde, konnte sich glücklich schätzen.

Thailands Militärregierung reagierte auf den internationalen Druck, der nach der Publikation der Nachrichtenseite entstanden war. Die Europäische Union kündigte an, die Handelsbeziehungen drastisch einzuschränken, sollte sich die Lage in Thailand nicht bedeutend verbessern. Überdies nahmen zahlreiche Supermarktketten die Produkte von CP Foods aus dem Sortiment. Der Großkonzern selbst gestand ein, dass er über keinen ausreichenden Überblick über die Zuliefererkette verfügte und eine verschärfte Selbstkontrolle im Bemühen um Verbesserung einführen würde. Thailand richtete innerhalb kürzester Zeit ein militärisches Kontrollzentrum ein. Das Ziel war es, alle Arbeitsmigranten zu registrieren und mit provisorischen Ausweisen auszustatten.

Die Marine patrouilliert nun täglich, um die Schiffe stichprobenartig zu überprüfen. Inzwischen verlangt man von Schiffen bei einem Gewicht über 30 Tonnen die Ausstattung mit einem GPS-System, um die Lokalisation und Überwachung zu erleichtern. Nichtsdestotrotz bemängeln Kritiker, dass die Anstrengungen nicht ausreichen würden, sogar teilweise kontraproduktiv wären. Die Ausweise würden zu keiner wesentlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen, sondern obendrein die Betroffenen an einen Arbeitgeber binden. Aufgrund der viel zu oberflächlichen Überprüfung würden Arbeiter ohne Ausweise bei herannahender Kontrolle einfach unter Deck versteckt werden. Unlängst erklingen Korruptionsvorwürfe gegen das Militär, wonach Mitglieder der Marine sich selbst seit geraumer Zeit am Menschenhandel beteiligen würden.

Während Kritiker durch Verhaftungen und Gefängnisstrafen zum Schweigen gebracht werden, präsentiert sich die Regierung in den Medien unbeirrt als eiserner Gegner des Menschenhandels im eigenen Land.

Das nach dem Militärputsch eingeführte Versammlungsverbot für politische Meinungsäußerungen ist pro forma aufgehoben, doch immer noch erheben die Behörden gegen Aktivisten Anklage, die vor 2019 friedlich gegen die Kontrollübernahme des Militärs demonstriert hatten. Dementgegen stehen junge Aktivistinnen wie Patima Tungpuchayakul, die sich der Rettung von Zwangsarbeitern verschrieben hat. Unter lebensgefährlichen Umständen hat sie inzwischen mehr als tausend Sklaven von Schiffen und abgelegenen Gefängnisinseln befreit. 2017 wurde sie für ihren unermüdlichen Einsatz für den Friedensnobelpreis nominiert. In dem eindrucksvollen und beklemmenden Dokumentarfilm "Ghost Fleet" hat die junge Journalistin Shannon Service Patima auf ihrer Mission begleitet und ehemaligen Sklaven, die den Mut gefasst haben, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen, ein Gesicht gegeben.

Der Sklavenhandel ist nicht besiegt – im Gegenteil. 800.000 Arbeitsmigranten sind in Thailand bis heute nicht erfasst. Eine grundlegende Reform bedarf doch mehr als institutionelle Anstrengungen und aktivistisches Engagement. Auch Konsumenten sind an der Reihe, ihr Kaufverhalten zu reflektieren. Der industrielle Fischfang und die Massentierhaltung haben einen gemeinsamen Nenner: Wo Natur und Tiere ausgebeutet werden, leiden auch Menschen. So steht die Frage im Raum, welchen Wert wir dem Essen auf unseren Tellern in Zukunft beimessen. Vielleicht führt uns eine gedankliche Auseinandersetzung sogar dahin, dass wir die Notwendigkeit von ökologisch und ethisch fragwürdigen Lebensmitteln grundsätzlich überdenken. Wofür wir uns auch entscheiden, diese Antwort wird mitunter über unsere und – vor allem – über die Zukunft der Ärmsten entscheiden.

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