Die Gefahr der kalten Schulter

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Verschwörungsideologen sehen sich selbst gerne in der Rolle der Fürsprecher von Aufklärung und Skeptizismus. Der Gegenseite wird sodann attestiert, Opfer des "betreuten Denkens" geworden zu sein, beliebten Appellen wie "Stay home!" hält man markante Phrasen wie "Wacht auf!" entgegen. Man bildet sich fast ein zu hören, wie Immanuel Kant im Grabe rotiert, während der Krieger der geistigen Umnachtung, Attila Hildmann, ihn in seinen Videos als zentrale Inspiration seines Aha-Erlebnisses huldigt.

Aber wie kommt es, dass Unterstützer von Gruppierungen wie QAnon von sich selbst behaupten, die letzten Verteidiger des freien und kritischen Denkens zu sein? Der Schwachpunkt besteht wahrscheinlich darin, dass das Konzept an sich völlig missverstanden wird. Einen bloßen Gedanken zu fassen, der sich nicht mit Gemeinansichten verträgt, genügt nun mal nicht, um sich zum kritischen Denker zu qualifizieren.

Die Anforderungen erschließen sich einem vielmehr, indem man eines der wesentlichsten Merkmale der Wissenschaft betrachtet, die da die Bereitschaft zur Selbstreflexion wäre, dank derer sie sich ständig selbst kontrolliert und korrigiert. Der Hund liegt zwar auch in der Unfähigkeit begraben, zwischen seriösen und unseriösen Quellen differenzieren zu können. Feind von Erkenntnisgewinn und Progressvität sind in erster Linie aber eine übermäßige Selbstüberschätzung, die dann vielmals darin endet, dass man weder sich selbst noch seinen Lieblingsmentor hinterfragt. Gut zu erkennen ist das beispielsweise bei der Gates-Verschwörung, die nur so voller leicht zu enttarnender Widerspruche steckt. Wie kann man sowas fressen?, fragt man sich da. Die Antwort ist: Indem man genau eines nicht tut, nämlich hinterfragen. Ein weiterer Faktor ist sicherlich die kollektive Unlust, sich mit einer Welt auseinanderzusetzen, die gefühlt kontinuierlich komplexer wird. Die momentane Unsicherheit macht den Zeitpunkt wie geschaffen dafür, sich simplen, wenn auch widersprüchlichen, Antworten hinzugeben. Was eben noch Verzweiflung und Ohnmacht waren, kann dann durch ein Überlegenheitsgefühl und der Gewissheit, Teil einer "erwachten Minderheit" zu sein, ausgetauscht werden.

Verstärkt wird der Effekt gerade durch Filterblasen, die auf dem Nachrichtendienst Telegram neu entstehen und wie Petrischalen der Sichtfeldverengung und Radikalisierung zu wirken scheinen. Die Anzahl an Channels zu "Widerstand 2020" ist beinahe unüberschaubar, die Channels von Hildmann und Naidoo werden täglich größer und umfassen jetzt schon eine Mitgliederzahl im fünfstelligen Bereich. Unter den Demonstranten rund um "Widerstand 2020" befinden sich natürlich auch die, die sich über unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen Sorgen machen und weder dem politischen Rand noch Gruppen irgendwelcher Verschwörungsmystiker angehören. Ein Blick in die Channel genügt aber, um festzustellen, dass man es mit einer Vielzahl von Personengruppen zu tun hat, die keineswegs irgendeine konstruktiv besorgte Mitte abbilden. Aber während diese Menschen die Abwärtsspirale runtersausen, treten einige noch kräftig nach, indem sie systematisch Freundschaften aufkündigen und somit den Diskurs weiter verschmälern.

Der Wunsch, angesichts des Dunning-Kruger-Flashmobs lieber seine Ruhe haben zu wollen, ist allzu nachvollziehbar. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass es in den Channels von Telegram und in sozialen Netzwerken derweil weiterbrodelt. Das Ausmaß der nächsten Hygienedemos hängt auch davon ab, wie wir mit den Demonstranten in unserem Bekanntenkreis umgehen. Ignorieren oder – wie letztens gelesen – ein Hausverbot erteilen, mag vielen gar gerechtfertigt erscheinen, ist aber in der jetzigen Lage vollkommen kontraproduktiv. So unangenehm es auch ist, so sind wir alle mitverantwortlich, wenn es darum geht, eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Nein, man soll nicht in engelsgleicher Nachsichtigkeit alles abnicken, was Tante Jutta als Fan von Ken Jebsen so von sich gibt. Wie wäre es aber damit, sie bei ihrem nächsten Rant entschieden, aber respektvoll zu konfrontieren, anstatt sie im Nachgang klammheimlich von der Freundesliste zu entfernen oder das Telefongebimmel zu ignorieren?

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