Die Berlinerin Victoria Schrank will erreichen, dass Menschen wieder mehr miteinander reden, vor allem dann, wenn jemand an Verschwörungsmythen glaubt. Wie man dennoch wertschätzend und konstruktiv ins Gespräch kommen kann, dafür entwickelt sie gerade ein Online-Spiel und sucht nach Unterstützern für die Umsetzung. Der hpd hat mit ihr gesprochen.
hpd: Frau Schrank, wie oft haben Sie selbst schon mit Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, gesprochen? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Victoria Schrank: In meiner Erfahrung gibt's ein breites Spektrum von Meinungen: von Menschen, die die Sinnhaftigkeit von Covid-19-Maßnahmen bezweifeln zu Menschen, die einen "Deep State", die Pharmaindustrie oder andere böse Mächte hinte dem Virus sehen.
Victoria Schrank arbeitet als freiberufliche User Experience-Designerin und Digital-Beraterin. Ursprünglich kommt sie aus Moskau; ab 2009 absolvierte sie ihr Master-Studium an der Humboldt-Universität und blieb auch danach in Berlin.
Bei meiner ersten Begegnung mit meiner Freundin, die sowohl an QAnon als auch an die "Plandemie" glaubt, war ich sehr erstaunt und habe einfach gar nichts gesagt und mir irgendwelche Ausreden ausgedacht um sie nicht zu treffen. Meine Reaktion fand ich im Nachhinein schon dumm. Ich habe auch probiert, Menschen, die ich kenne, vertrauenswürdige Quellen zu zeigen und mit Zahlen und Fakten zu überzeugen. Das hat auch nicht so gut geklappt, weil die Menschen mir gefühlt nicht richtig zugehört, sondern ihre eigenen Argumente mir gegenüber vorbereitet und ihre Position verteidigt haben.
Eine bessere Erfahrung hatte ich, wenn ich einer anderen Freundin von mir einfach zugehört und nachgefragt habe, wieso sie denkt, dass Covid-19 ein Fake ist. Wer soll denn von der globalen wirtschaftlichen Rezession profitieren? Warum sind die Übersterblichkeitsraten so hoch? Ich habe ihr auch versichert, dass ich es okay finde, dass sie Zweifel hat und die Wahrheit wissen will. Am Ende des Gesprächs war sie etwas mehr überzeugt, dass das Virus doch gefährlich ist und die Schutzmaßnahmen dafür da sind, um Menschenleben zu schützen.
Gibt es ein konkretes Erlebnis, das Sie zu Ihrem aktuellen Projekt inspiriert hat?
Meine erste "Begegnung": Manche Leute um mich herum und in den Medien meinten, dass nur Idioten oder Nazis an Verschwörungserzählungen rund um Covid-19 glauben können. Erstens ist diese Freundin von mir echt schlau und teilt die rechte Ideologie nicht. Zweitens ist es kein konstruktiver Weg, Menschen, die gegen Covid-19-Schutzmaßnahmen sind, so schnell in die "Nazi-Ecke" aufzugeben. Weil so werden sie noch mehr in die Verschwörungs-Blase isoliert und vielleicht sogar von echten Nazis weiter radikalisiert.
Warum ein Online-Spiel?
Durch einen spielerischen Ansatz können Menschen besser die "Kommunikations-Tools" wahrnehmen. Es gibt schon Artikel und wissenschaftliche Arbeiten rund um das Thema. Man kann die Inhalte lesen, aber nicht damit interagieren, so vergisst man schneller, was man gerade gelernt hat. Im Spiel muss man selbst entscheiden, was in der Situation zu sagen oder zu tun ist, man kriegt direkt ein Feedback zu der Entscheidung. Das trägt zur Aufklärung bei.
Könnten Sie kurz Inhalt und Funktionsweise des Spiels erklären?
"Talk To Me" ist eine Art Rollenspiel. Spieler müssen ein Gespräch mit einer vertrauten Person führen, die an Verschwörungen glaubt. Man muss in jeder Situation zwischen zwei Antwortmöglichkeiten auswählen. Je nach Antwort entwickeln sich unterschiedliche Gesprächsverläufe. Nach jeder Situation erhalten die Spieler eine Erklärung, wie ihre Antwort beim Gegenüber ankommt, welche Auswirkungen sie auf den Rest des Gesprächs hat sowie Tipps, wie sie sich am besten verhalten können.
Sie haben bei der Entwicklung mit dem Mainzer Psychologen und "Verschwörungsexperten" Prof. Roland Imhoff zusammengearbeitet. Worin bestand sein Beitrag?
Prof. Imhoff hat mir sowohl ein ausführliches Feedback über das Spiel-Format sowie über meine ursprünglichen Inhalte (Situationen und Antworten) gegeben als auch Tipps und Ratschläge, wie die Spiel-Inhalte besser werden können. Er wird auch für die erste Version beratend dabei sein.
Bezieht sich das Spiel nur auf Verschwörungsmythen, die sich um die Corona-Pandemie ranken oder kommen auch andere Verschwörungsthemen vor? Sind gegebenenfalls Erweiterungen geplant?
Gerade nur Covid-19, weil ich keine ausreichende Förderung dafür habe und ich will, dass das Spiel kostenlos und werbefrei bleibt. Falls wir genug Fördermittel kriegen, würde ich gerne das Konzept auf weitere gesellschaftliche Themen übertragen, die Menschen heutzutage polarisieren, von Politik bis Klimawandel.
Sie haben für Ihr Projekt einen Crowdfunding-Aufruf gestartet. Könnten Sie kurz erläutern, wobei die Spender*innen Sie unterstützen können? Also wofür die Spenden benötigt werden? Welche weiteren Gesprächs-Situationen sind beispielsweise im Spiel geplant?
Das Crowdfunding ist dafür da, um die Spiel-Umsetzung zu realisieren. Das beinhaltet Web-Design, Content-Erstellung, Übersetzung, Website-Entwicklung, Marketing und weitere Kosten wie Juristisches, Domain-Einkauf und so weiter.
Wir sind gerade dabei, die Situationen auszuarbeiten. Zum Beispiel, wie man Debunking richtig machen kann, oder warum Schweden kein Beweis dafür ist, dass die Schutzmaßnahmen nicht notwendig sind.
Was erhoffen Sie sich von der Verwendung des Online-Spiels?
Ich hoffe, dass es Menschen hilft, statt Hass, Ausgrenzung oder Ärger konstruktive Gespräche mit ihren Freunden oder Angehörigen zu haben, die an Covid-19-Verschwörungen glauben oder gegen Schutzmaßnahmen sind.
Wenn Sie Ihr Projekt realisieren können, wo wird das Spiel dann verfügbar sein?
Wir sind gerade dabei, die Website-Adresse, also die Domain zu erwerben. Es wird also für alle kostenlos im Browser aufrufbar sein.
Die Entwicklung des Spiels kann man über Crowdfunding noch bis 28. November hier unterstützen.
5 Kommentare
Kommentare
Ralf Osenberg am Permanenter Link
Fragen stellen statt draufknüppeln ist ein Ansatz den ich auch verfolge. Dabei muss man ja nicht mit seiner Skepsis hinterm Berg halten.
„Was glaubst du?“
„Wie kommst du zu dem Ergebnis?“
„Was spricht dafür UND was dagegen?“
„Könnte es nich auch anders sein?“
„Warum sollte ich meine Meinung ändern, wenn du nicht bereit bist, deine Meinung auch nur zu hinterfragen?“
Wenn man dann an „Felsenfeste“ gerät, wird das vermutlich auch nicht zum Erfolg führen. Schlimm muss das aber nicht sein. Ich habe schon manche harte, unversöhnliche, scheinbar sinnlose Diskussion geführt, bei dem es nicht um den Diskussionspartner ging, sondern um die Umstehenden.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Moralisierung, Etikettierung von Personen bis hin zur Pathologisierung und sozialer Ausgrenzung sind die Übel, die das heutige gesellschaftliche Klima vergiften.
Die geplante Software scheint eine Art Kommunikationstraining anbieten zu wollen auf der Grundlage von programmierten Argumentationslinien, fokussiert auf das Thema Corona,wobei die Rollenverteilung relativ festgelegt erscheint. Wir lernen beim Thema Corona ständig dazu und die wirtschaftlich/gesellschaftlichen Implikationen der ergriffenen Maßnahmen sind fast unübersehbar.
Die Frage wäre, welches die in der Software enthaltenen Grundpositionen sind. Ob vorgegebene alternative Antworten eher lenken oder das selbstverantwortliche Denken schulen – darüber mag man streiten. Sicher ist: soll ein realer Dialog, d.h. eine menschliche Begegnung, fruchtbar verlaufen hängt das von vielen, auch situationsbedingten, Faktoren und dem guten Willen der Beteiligten ab. Es geht um gemeinsames Bemühen und Selbstverantwortung, nicht um eine "smarte" Belehrung. Eigentlich steht das übergreifende Thema „Streitkultur“ zur Diskussion, dessen gesellschaftliche Relevanz zunehmend erkannt und erörtert wird. Z.B. hier: https://de.richarddawkins.net/articles/streitkultur. Oder in „Produktives Streiten“ - gerade erschienen in der Schriftenreihe der GBS.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
"Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. Anleitung zum subversiven Denken" Ein hilfreiches Buch von Hubert Schleichert.
Roland Weber am Permanenter Link
Sollte man sich nicht inhaltlich mit den Argumenten eines Verschwörungstheoretikers auseinandersetzen, als die Verbalkeule "Verschwörungstheoretiker" auszupacken und dabei einige der absurdesten Vertreter vo
Wir sollten vielmehr dankbar sein, wenn jemand einmal kritisch offizielle Erklärungen und Stellungnahmen hinterfragt. Wer ist denn noch so naiv, dass er alles für bare Münze nimmt, was ihm "von oben / den Medien" vorgesetzt wird? Schon, dass ausgerechnet die CIA die Bezeichnung "Verschwörungstheorie" ihren Kritiker entgegengehalten und auf den Markt geworfen hat, zeigt schon im Ansatz deren Rechtfertigung.
Wenn sich beim Abwägen der Argumente und Belege herausstellt, dass es im vorliegenden Fall um dummes Zeug handelt, dann ist es eben das. Aber wir sollten niemals ohne die Argumente geprüft zu haben, selbst als dümmliche Anti-Theoretiker dastehen!
Jede Theorie kann man vertreten oder auch bezweifeln. Die Wahrheit lässt sich erst im Vergleich der Argumente entdecken oder Wahrscheinlichkeiten stärken.
Das wäre so ungefähr das, was ich als wissenschaftsorientiertes Denken bezeichnen würde!
Ingrid Schmall am Permanenter Link
Hier die schwedische staatliche Seite, FOHM covid-19,die zu den Fallzahlen, Intensivfallzahlen und Todesfallzahlen immer auch deren Altersverteilung angibt.
Folgende Frage sollte unbedingt spielerisch diskutiert werden:
Wie können alte Menschen mit forschreitender Demenz, die keinerlei Einsicht in irgendwelche AHA-Regeln haben, einen würdigen Lebensabend haben?