Rezension

Eine Kritik linker Identitätspolitik. Von links.

Der auch als politischer Autor bekannt gewordene Dramaturg Bernd Stegemann beklagt in seinem neuen Buch "Die Öffentlichkeit und ihre Feinde" den Niedergang einer demokratischen Öffentlichkeit. Dabei weist er auf problematische Einflüsse des Neoliberalismus hin, nimmt aber auch eine Kritik linker Identitätspolitik von links vor.

Eine funktionierende Demokratie braucht eine freie Öffentlichkeit. Indessen kann gerade diese beschworene Freiheit auch zu einer potentiellen Gefährdung führen, wenn ein rationaler Diskurs und sachliche Informationen nicht mehr zählen. Dann dominieren bewusste Desinformation, polarisierende Emotionalisierung, monopolistische Gültigkeitsansprüche oder eindimensionale Machtverhältnisse. Genau darin ist gegenwärtig ein grundlegendes Problem zu sehen. Dies meint jedenfalls Bernd Stegemann, liest man sein Buch "Die Öffentlichkeit und ihre Feinde".

Um dessen Auffassungen klarer einzuordnen, muss zunächst auf seine Person eingegangen werden. Der Autor ist Dramaturg am Theater und Professor für Theatergeschichte. In einem früheren Leben studierte er Philosophie und beschäftigte sich intensiv mit der Systemtheorie. Sein soziales Denken ist davon geprägt, ergänzt durch marxistische Grundprinzipien, was nicht immer zusammenpasst. Der Buchtitel spielt auf Popper und den Kritischen Rationalismus an, was aber inhaltlich keine Rolle spielt.

Cover

Am Beginn geht es um das Grundverständnis von Öffentlichkeit, wobei Stegemann gerade die Widersprüche nicht verschweigt. Er differenziert auch verschiedene Modelle, etwa die deliberative und offene Öffentlichkeit. Dabei sieht der Autor in der erstgenannten Form ein Mittel, das den Marktgewinnern einseitig nützt, was zu einem allgemein ignorierten Legitimationsproblem führe. Er kommt dann schon zu einem seiner Hauptthemen, nämlich der kritischen Auseinandersetzung mit der gerade heftig diskutierten Identitätspolitik. Derartige Ansätze förderten letztendlich die kulturelle Dominanz des Neoliberalismus, würden doch dessen Grundlagen so zugunsten von Symbolpolitik kaum noch kritisch hinterfragt. Postmoderne Sackgassen verstärken für Stegemann noch derartige Wirkungen. Es gebe daher einen Angriff auf die Öffentlichkeit von zwei Seiten: Dazu gehörten auch die Interessen des Kapitals, welche Ausgrenzung, Misstrauen und Spaltung vorantrieben. Eine Gefahr bestehe aber auch in der linken Identitätspolitik.

Die Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung prägt dann die folgenden Seiten. Dabei geht es um Cancel Culture und Political Correctness, was auch mit polarisierenden Bildern vom absolut Bösen und angestrebter Reinheit verbunden sei. Der gemeinte Diskurs sei von Paradoxien durchzogen, so Stegemann. Immer wieder nennt er dazu Beispiele, etwa den unkritischen Blick auf das Frauenbild im Islam oder den Kult um eine Legitimation über das Opferverständnis. Außerdem wollten identitätspolitische Machttechniken universelle Werte überwinden. Selbst Grundprinzipien eines Rechtsstaates sollten nicht mehr gelten, denn nicht die Entscheidung einer neutralen Instanz, sondern die Gefühle angeblicher Opfergruppen wären dann für Urteile relevant. Der Autor kritisiert auch eine Emotionalisierung über die Klimabewegung, sieht er doch in Angstkommunikation und Empörungsfixierung in der Gesellschaft ebenfalls eine Überhitzung von gesellschaftlichen Zuständen. Dies alles habe in der Kombination miteinander zu einer bedenklichen Krise der Öffentlichkeit geführt.

Stegemann liefert somit scharfe Thesen, die auch politisch falsch verstanden werden könnten. Indessen lehnt er die Identitätslinke als Soziallinker ab. Der Autor hat auch nichts gegen ein Engagement für Minderheiten, wie ihm linke Kritiker fälschlicherweise vorwarfen. Es sind die problematischen Denkungsarten, welche die Einwände von Stegemann motivieren. Die kritischen Hinweise darauf machen die Stärken seines Textes aus.

An anderer Stelle ist das Buch aus formalen wie inhaltlichen Gründen durchaus kritikwürdig: Der Autor schreibt mit großer Theoriefixierung, hier im schlechten Sinne des Wortes. Dabei verkoppelt er häufig abstrakte Betrachtungen nicht mit gesellschaftlicher Realität, was insbesondere für die ersten Kapitel der Monographie gilt. Dies könnte Leser dazu motivieren, hier schon die Lektüre aufzugeben. Allerdings würde man dann kritische Erörterungen linker Identitätspolitik verpassen, welche mit gelegentlicher Überspitzung auf viele Widersprüche hinweisen. Der Autor hätte sich besser auf diese Inhalte konzentrieren sollen. Manchmal ist weniger mehr.

Bernd Stegemann, Die Öffentlichkeit und ihre Feinde, Stuttgart 2021, Klett Cotta, 304 Seiten, 22 Euro

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