BONN. (hpd) Der Schweizer Politikwissenschaftler Francis Cheneval liefert in seinem Buch "Demokratietheorien zur Einführung" eine problemorientierte Gesamtdarstellung zum Thema. Im Unterschied zu anderen Bänden beschreibt er nicht Systeme oder Theoretiker, sondern erörtert Ambivalenzen und Legitimationsprobleme, allerdings nicht immer in einer Art und Weise, die zu einer Einführung passt.
In einer Demokratie herrscht immer Klärungsbedarf über das Selbstverständnis. Gerade dies macht die Dynamik und Offenheit einer derartigen Gesellschafts- und Staatsordnung aus. Was für die gesellschaftliche Praxis gilt, gilt auch für die politische Theorie. Dies lässt sich an den kontinuierlichen Debatten über das mit Demokratie jeweils Gemeinte immer wieder ausmachen. Insofern lohnt auch der Blick in Darstellungen, die eine Einführung und einen Überblick versprechen. Die meisten derartigen Bände beschreiben entweder die Geschichte der Demokratie oder portraitieren deren Protagonisten in der Theorie.
Der Erkenntniswert solcher Publikationen soll nicht abgestritten werden, gleichwohl fehlt es ihnen meist an einem Bewusstsein für Legitimationsprobleme im unterschiedlichsten Sinne. Diese Einsicht muss wohl Francis Cheneval, Professor für Politische Philosophie in Zürich, bewogen haben, für seine "Demokratietheorien zur Einführung" eine an Fragestellungen ausgerichtete problemorientierte Herangehensweise für die inhaltliche Struktur zu wählen.
"Muss wohl" heißt es hier, weil der Autor seine Leser über diese Entscheidung nicht informiert. Ohne Einleitung oder Vorwort beginnt Cheneval seine Darstellung und Erörterung, womit zunächst sein Anliegen und seine Methode unklar bleiben. Auch der erste Ansatz irritiert bzw. überrascht. Der Autor beginnt nicht mit einem der Großen der Demokratietheorie, sondern mit einem der Großen der Politik: Nelson Mandela. Ausgehend von einer Beschreibung der Entscheidungsfindung in dessen Thembu-Volk macht Cheneval auf konstitutive Merkmale aufmerksam. Dann heißt es auch: "Demokratie antwortet ihrem Begriffe nach auf den Zwang zu kollektivem Handeln unter Bedingungen von Uneinigkeit mit den Kriterien der gleichen Beteiligung bei der Suche nach der Abgeltung der Interessen, der öffentlichen Prüfung der Wohlbegründetheit und internen Kohärenz der Argumente, der Umsetzbarkeit der kollektiv verbindlichen Entscheidungen sowie mit der vorher festgelegten periodischen Revision der Entscheidungen und Wahlen" (S. 13).
Cheneval geht danach auf die unterschiedlichsten Aspekte und Fragen ein: Er behandelt instrumentelle und intrinsische Gründe, Demokratie zu bevorzugen. Der Autor beschreibt danach den Unterscheid von einem Beratschlagungs- und Entscheidungsverfahren der Demokratie und erörtert dazu eine Reihe von Problemstellungen. Er leugnet dabei auch nicht Dilemma-Situationen wie etwa die zur Definition des Volkes: "Es gibt kein kompetenz-, akzeptanz- oder wirkungsbasiertes normatives Prinzip, durch das ein Demos ursprünglich konstituiert wird, ohne einem Prinzip des demokratischen Ideals zu widersprechen" (S. 100f.)
Auch die Kontroverse über die Vor- und Nachteile von direkter und repräsentativer Demokratie findet die Aufmerksamkeit von Cheneval. Hier positioniert er sich ebenfalls differenziert: "Werden Bedingungen von rechtsstaatlicher Kontrolle und horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung erfüllt, sind gemischte Systeme von direkter und repräsentativer Demokratie vorteilhafter als rein repräsentative" (S. 169).
Ebenso abrupt wie die Behandlung der Demokratietheorien begonnen hat, wird sie von Cheneval wieder beendet. Nicht immer formuliert er zu den genannten Fragen und Problemen eine Antwort wie im letztgenannten Sinne. Dies muss bei einer solchen Darstellung auch nicht sein, ist doch der Demokratie ein hohes Maß an Ambivalenz und Widersprüchlichkeit eigen. Darauf macht die politische Bildung nicht immer aufmerksam, wodurch ein idealistisch verzerrtes Bild entsteht.
Cheneval kommt das Verdienst zu, hier einige Aspekte etwas gerade gerückt bzw. problematisiert zu haben. Dabei geschieht dies nicht immer in einer Form, die zu einer "Einführung" passt. Immerhin behauptet die so benannte Buchreihe des "Junius-Verlags", deren Bände hätten einen solchen Charakter. Die Lektüre von Chenevals Buch setzt aber schon einiges an Grundwissen zum Thema voraus. Gleichwohl lohnt die Lektüre für Einsteiger wie Kenner, denn die Debatte der Fragestellungen ist erkenntnis- wie praxisbezogen wichtig – auch und gerade für Demokratie.
Francis Cheneval, Demokratietheorien zur Einführung, Hamburg 2016 (Junius-Verlag), 224 S., ISBN 978–3885067016, 14,90 Euro