Werden sich Baerbock und Laschet zum Islamismus und türkischen Nationalismus positionieren?

Nur Lippenbekenntnisse

Die Standpunkte vieler Spitzenpolitiker*innen zum deutschen Rechtsterror sind in der Regel eindeutig, auch das Verhältnis zu rechtspopulistischen Bewegungen ist zumindest nach außen auf Distanz bedacht. Nicht so klar scheinen die Verhältnisse im Bereich des Islamismus und der türkischen Rechten zu sein. Es stellt sich die Frage, wie sich die beiden Kandidat*innen von Union und Grünen in Zukunft positionieren werden.

Die Republik fiebert den Bundestagswahlen am 26. September entgegen. Eine Wahl, die vor allem unter dem Eindruck der Corona-Pandemie steht und mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der Großen Koalition zur Folge haben wird. Während man sich in Reihen von Bündnis 90/Die Grünen auffallend unspektakulär für Annalena Baerbock als Kandidatin für das Amt der Kanzlerin entschied, wurde bei der CDU Armin Laschet durch den Parteivorstand gewählt, was nicht überall für Begeisterung sorgte, da Laschet wohl nicht die Mehrheit der konservativen Basis hinter sich vereinen kann.

In ihrer Rede zur Kandidatur spricht Baerbock von einem "diversen und weltoffenen Land, mit einer wertebasierten und wehrhaften Demokratie". Dass diese Demokratie gerade besonders durch nationalistische Bewegungen bedroht ist, wird dabei nicht erwähnt. Nun kann man berechtigterweise darüber streiten, wie konkret eine solche Auftaktrede sein sollte?

Armin Laschet wird hingegen auf seinem Internetauftritt deutlicher: "Null-Toleranz bei Kriminalität und Extremismus." Ob sich diese Null-Toleranz zukünftig auch verstärkt rechten Umtrieben im deutschen Sicherheitsapparat widmen soll, wird hier nicht deutlich.

Währenddessen scheint vielen Menschen in der Bundesrepublik nicht bewusst zu sein, dass die türkische Bewegung der "Grauen Wölfe" jahrelang als größte "rechtsextreme Organisation" in Deutschland mit knapp 18.000 Anhänger*innen beschrieben wurde, wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der Verfassungsschutz die AfD im März 2021 zum "rechtextremistischen Verdachtsfall" erklärt hat. Rechte Bewegungen sind deutlich im Aufwind und aktivieren häufig rassistische Ideologie-Elemente in Teilen der gesellschaftlichen Mitte, die in Nachkriegsdeutschland nie ganz verschwunden waren und besonders durch rechtsterroristische Anschläge, wie denen in Halle und Hanau, ins öffentliche Bewusstsein zurückkehren. Weniger Platz in der deutschen Presse bekam hingegen der letzte mutmaßliche islamistische Anschlag:

"Nach der tödlichen Messerattacke im Oktober 2020 in Dresden hat am Montag am Oberlandesgericht Dresden der Prozess gegen einen beschuldigten Syrer begonnen. Dem 21 Jahre alten Mann wird eine radikal-islamistische Gesinnung vorgeworfen. Er soll am 4. Oktober aus einem homophoben Motiv gehandelt und zwei Touristen brutal angegriffen und niedergestochen haben", berichtete der MDR am 12. April.

Nun sind die Standpunkte vieler Spitzenpolitiker*innen zum deutschen Rechtsterror in der Regel eindeutig, auch das Verhältnis zu rechtspopulistischen Bewegungen ist zumindest nach außen auf Distanz bedacht. Nicht so klar scheinen die Verhältnisse im Bereich des Islamismus und der türkischen Rechten zu sein, insbesondere in der Haltung zur faschistischen AKP, die seit Jahren trotz aller Skandale und Vorfälle mit Waffen deutscher Firmen versorgt wird. Mit Blick auf diverse Vorfeld-Ideologien und Verbände wie DITIB, die durch die türkische Religionsbehörde Diyanet, die dem türkischen Präsidenten untersteht, kontrolliert wird, stellt sich die Frage, wie sich die beiden Kandidat*innen in Zukunft positionieren werden.

Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch

Sieht man sich das Vorgehen einzelner Abteilungen der Grünen an, stehen wichtige Fragen weiter offen im Raum. Zuletzt hatte die rheinland-pfälzische Regierung aus SPD, Grünen und der FDP Mitte April verkündet, dass man an der Kooperation mit DITIB bezüglich des islamischen Religionsunterrichtes festhalte, und das obwohl der Verband in Rheinland-Pfalz zuletzt durch eine geplante Veranstaltung mit dem Historiker Ahmet Şimşirgil wieder in die Schlagzeilen geraten war. Dazu kommt vor allem von dem muslimischen Aktivisten Eren Güvercin Kritik:

"Dass die rheinland-pfälzische Landesregierung ein Interesse an Zielvereinbarungen mit Muslimen hat, um diese aktiv einzubinden und Moscheegemeinden Perspektiven zu bieten, ist grundsätzlich zu begrüßen. Andererseits muss man sich aber die Frage stellen, ob die Einladung eines Ahmet Şimşirgils, der seit Jahren in der türkischen Community für antisemitische und homophobe Hetze bekannt ist, nur ein Versehen war? Die Frage stellt sich auch deshalb, weil DITIB Bücher Şimşirgils im eigenen Online-Buchshop verkauft. Die Veranstaltung wurde zudem erst da abgesagt, als kritische Fragen in der Öffentlichkeit auftauchten. Das hinterlässt zumindest einen bitteren Beigeschmack."

Auch in Berlin kam es in den letzten Jahren zu Situationen, in denen ein zweifelhafter Umgang von Teilen der rot-rot-grünen Regierung mit reaktionären Aktivist*innen der muslimischen Communities gepflegt wurde. Als sich 2019 die grüne Spitzenpolitikerin Bettina Jarasch und der Imam der Dar Assalam-Moschee, Mohamed Taha Sabri, auf einer Veranstaltung im Blitzlichtgewitter in die Arme fielen, ließ dies nicht nur liberale Muslim*innen wie Seyran Ateş sprachlos zurück. Diese twitterte danach:

"Die Berliner Grüne Bettina #Jarasch auf Du und Du mit dem Imam der vom #Verfassungsschutz beobachteten Dar-as-Salam-Moschee, Mohamed Taha #Sabri."

Auch die Haltung zum Zentralrat der Muslime (ZMD) in Reihen der Grünen als auch der CDU ist weiter unklar. Der größte Mitgliedsverein des ZMD ist die ATİB, die auch den stellvertretenden Vorsitzenden des Dachverbandes stellt. Die Bundeszentrale für politische Bildung ordnet die ATİB dem Milieu der nationalistischen Grauen Wölfe zu:

"Sie nennen sich selbst 'Ülkücü'-Anhänger – ins Deutsche übertragen bedeutet das Wort 'Ülkücü' so viel wie 'Idealismus'. Ihr Symbol ist der 'Graue Wolf' (Bozkurt) […]. Die Rede ist von der rechtsextremen, türkisch-nationalistischen Bewegung, die seit Jahrzehnten auch in Deutschland existiert. Sie ist unter anderem in hunderten lokalen Vereinen organisiert sowie in Dachverbänden wie Türk Federasyon, ATIB oder ATB. Die sogenannten 'Grauen Wölfe' überhöhen die türkische Nation und betonen angeblich islamische Werte."

Diese Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch. Bundesinnenminister Horst Seehofer scheint das wenig zu stören, im Juli 2020 bestätigte er lediglich, dass es wichtig sei, in gutem Kontakt mit dem ZMD zu stehen, auch wenn man die ATİB kritisch sehe. Konsequenzen folgen nicht. Somit bleibt der Kampf gegen rechte Strukturen nicht nur mit Blick auf den deutschen Sicherheitsapparat wohl ein Lippenbekenntnis, wobei sich gerade hier viele Menschen einen spürbaren Kurswechsel der neuen Bundesregierung ab September 2021 erhoffen. Am Ende des Tages geht es um Glaubwürdigkeit, Expertise und den Willen, wirklich etwas verändern zu wollen.

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