Nach einjähriger Tätigkeit soll der Arbeitskreis "Politischer Islamismus", der von der Großen Koalition eingerichtet wurde, seine Arbeit einstellen. Auf Anfrage der dpa teilte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mit, dass "die wissenschaftliche Perspektive hinreichend eingegrenzt sei" und man nun mit einem "regelmäßig stattfindenden Fachtag" fortfahren werde.
Warum man dafür den gesamten Arbeitskreis auflöst, wird nicht erläutert und lässt weitreichende Fragen offen, da die beteiligten Wissenschaftler*innen explizit darauf hingewiesen hatten, dass "weitere Forschungsanstrengungen notwendig" seien, insbesondere mit Blick auf die "Erforschung des nicht gewaltbereiten Islamismus". Diese Form des Islamismus, auch legalistischer Islamismus genannt, verfolgt ebenso wie der gewaltbereite Islamismus das Ziel der Errichtung einer Gesellschaft auf Grundlage eines totalitären Islamverständnisses, verzichtet dabei aber auf physische Gewalt.
Unbestritten wird die Auflösung des Arbeitskreises auch als politisches Signal verstanden in einer Zeit, in der zur Recht ein verstärkter Fokus der Sicherheitsbehörden auf rechtsradikalen und nationalistischen Netzwerken liegt, vor allem mit Blick auf den rassistisch motivierten Terroranschlag in Hanau im Jahr 2020. Dennoch sind die Zahlen, die der Verfassungsschutz im Bereich des Islamismus präsentiert, alarmierend. So wird im Verfassungsschutzbericht 2021 ein "Islamismus-Potential" von 28.290 Personen angegeben, eine Zahl, die nicht weit unter dem Potential des Rechsextremismus mit 33.900 Personen liegt. Beunruhigend sind dabei vor allem die Zahlen der Gefährder im Bereich des islamistischen Terrorismus, die man im Juni 2022 mit 630 bezifferte. Im Vergleich dazu sind den Sicherheitsbehörden derzeit 81 rechtsextremistische Gefährder bekannt. Ein Vergleich, der keineswegs die Gefahr rassistischer Strukturen relativieren soll, auch im Wissen um "568 Rechtsextremisten mit offenen Haftbefehlen", gleichwohl sind die Zahlen im Bereich des Islamismus herausstechend hoch.
In Anbetracht dieser Entwicklungen den einzigen Arbeitskreis zum Thema aufzulösen, kann zumindest als gewagtes Vorhaben verstanden werden. Selbst da, wo die Zusammensetzung des Kreises von Szene-Kennern wie Akif Şahin als "ominös" beschrieben wird, wäre es ein Leichtes gewesen, den Kreis neu zu besetzen. Gerade hier hätte die deutsche Regierung zeigen können, dass ihr das Thema ernst und wichtig ist. Die wenig transparente Kommunikation der Auflösung lässt anderes vermuten. Eine Entscheidung, die auch im Kontext des politischen Vorgehens an anderer Stelle erläutert werden muss.
Ein Offenbarungseid der Verantwortlichen
So traf sich die Staatsministerin für Integration, Reem Alabali-Radovan, noch im Mai 2022 öffentlichkeitswirksam mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime (ZMD), Aiman Mazyek, woraufhin der ZMD von einem "fruchtbaren Austausch und konstruktiver Zusammenarbeit" berichtete.
Erst im Januar 2022 hatte der ZMD sein Gründungsmitglied, die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG, vormals IGD) ausgeschlossen; eine Organisation, die seit Jahren von Sicherheitsorganen der islamistischen Muslimbruderschaft zugerechnet wird. Auch das aktive ZMD-Mitglied Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) wird im Bereich des Islamismus verortet und vom Hamburger Verfassungsschutz als "Außenposten des iranischen Mullah-Regimes in Europa" beschrieben. Neben islamistischen Akteur*innen wird der größte Mitgliedsverein des Zentralrats, die ATIB, seit Jahren von Expert*innen und inzwischen auch von staatlicher Seite dem Spektrum der rechtsradikalen Grauen Wölfe zugerechnet. Wie kann in diesem Kontext "eine konstruktive Zusammenarbeit" mit einer Regierungsvertreterin verstanden werden?
Auffallend auch, dass zur selben Zeit, in der ein Islamismus-Arbeitskreis aufgelöst wird, ein Expertengremium zu antimuslimischem Rassismus die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes in Berlin empfiehlt, während im genannten Gremium mit Mohamad Hajjaj ein Mann sitzt, der noch 2019 von der Islamwissenschaftlerin Rita Breuer in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung als "stellvertretender Vorsitzender" eines Kulturzentrums erwähnt wurde, welches Breuer dem "Netzwerk der Muslimbruderschaft" zurechnet.
Derartige Akteure in den unverzichtbaren Kampf gegen Rassismus einzubinden gleicht einem Offenbarungseid der Verantwortlichen und zeigt nachdrücklich, welche Fehler im Umgang mit reaktionären Islamverständnissen weiterhin gemacht werden. Eben dies hatte sich bereits angekündigt, als die Ampel-Koalition Islamismus nicht als Problemfeld im Diskussionspapier zum neuen Demokratiefördergesetz benannte. Dabei sollte klar sein, dass liberale Muslim*innen, neben Minderheiten wie beispielsweise den Jesid*innen, quantitativ die größte Opfergruppe des Islamismus ausmachen. All diese Menschen verrät eine Politik, die wenig Interesse daran zeigt, einen gleichwertigen Kampf gegen ausnahmslos alle Formen der Diskriminierung und Unterdrückung zu führen.
15 Kommentare
Kommentare
David Z am Permanenter Link
"vor allem mit Blick auf den rassistisch motivierten Terroranschlag in Hanau im Jahr 2020. "
Wie kann der Täter rassistisch motiviert gewesen sein, wenn er auch seine Mutter ermordete?
Martin am Permanenter Link
Wenn jemand neun Migranten ermordet und nach dem Terroranschlag sich selbst und eine weitere Person erschießt, ist für mich (und das BKA) der Sachverhalt klar:
"Der Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 war ein rechtsextremer Terrorakt, bei dem neun Hanauer Bürger mit Migrationshintergrund ermordet wurden. Der Täter war ein 43-jähriger Hanauer, Tobias R., der anschließend in der elterlichen Wohnung seine Mutter und sich selbst erschoss. Das Bundeskriminalamt stufte die Tat als rechtsextrem und rassistisch motiviert ein."
(Wikipedia)
David Z am Permanenter Link
Wenn jemand seine Mutter ermordet, kann die Motivation der Tötungsserie per Definition nicht rassistisch sein.
Ebenfalls unklar ist, warum das BKA einen schwer geisteskranken Täter, dem politischen Spektrum zuordnet.
Martin am Permanenter Link
Sie sind immerhin nicht alleine mit Ihrer Einschätzung:
"Vertreter der AfD bestritten rechtsextreme und rassistische Tätermotive. Der damalige AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen meinte, die Morde seien „weder linker noch rechter Terror“, sondern die „wahnhafte Tat eines Irren“ gewesen."
(Wikipedia)
Tatsächlich schließen sich aber eine bestimmte Ideologie und eine psychische Störung nicht aus:
"Der Mann habe eindeutig einer rechtsextremen Ideologie angehangen und der Text [seines Pamphlets] weise zudem darauf hin, dass der Täter erheblich psychisch gestört gewesen sei."
(Terrorismusexperte Peter R. Neumann, aus Wikipedia)
Daß der Täter erst eine rassistisch motiviertes Massaker anrichtet und DANACH sich selbst und seine Mutter in einer Art "erweitertem Suizid" erschießt, ist ganz offensichtlich.
Martin am Permanenter Link
Mit gleicher Begründung könnte man behaupten, der versuchte Massenmord an Juden in Halle 2019 sei nicht antisemitisch motiviert gewesen, weil die einzigen Todesopfer letztlich zwei nichtjüdische Personen waren.
David Z am Permanenter Link
Was die AfD zu der Sache sagt, ist völlig unerheblich. Warum Sie hier mit sowas um die Ecke kommen, wird nicht klar. Ich vermute, Sie versuchen die übliche Diffamierung.
Was ein Terrorismusexperte Neumann sagt, ist ebenfalls unerheblich. Relevant sind die Bewertungen der Psychologen. Und die sind sich allesamt einig, dass der Täter unter einer erheblichen geistigen Störung inkl. umfassenden Wahnvorstellungen litt. Wäre er noch am leben, hätte man bei ihm aufgrund der starken Geistesstörung die Schuldunfähigkeit diagnostiziert. Eine solche Person einem politischen Spektrum zuzuordnen, ist vor diesem Hintergrund folglich mehr als fragwürdig.
Dies ist der Unterschied zur Mordreihe von Halle. Dieser Täter ist klar schuldfähig, es lagen bzw liegen keine Hinweise auf Wahnvorstellungen vor, selbst wenn man auch bei ihm eine krankhafte Persönlichkeitsstörung diagnostizierten muss. Das Motiv seines Handelns war eindeutig ein hasserfülltes, antisemitisches Weltbild. Der Umstand, dass er aufgrund der Tatsituation (Ladehemmung, Flucht der Opfer etc) keine Mitbürger jüdischen Glaubens verletzen konnte (glücklicherweise) und stattdessen aus Frustration und Scham zwei unbeteiligte Passanten erschoss, ist hierbei unerheblich.
Genau so wie im Fall von Halle das Nichtöten von Juden nicht notwendigerweise einen antisemitischen Tathintergrund ausschliesst, bedeutet das Töten von Mitbürgen mit ausländischen Wurzeln wie im Fall Hanau nicht notwendigerweise einen rassistischen Hintergrund.
Martin am Permanenter Link
Im Wikipedia-Artikel waren die AfD-Vertreter als einzige erwähnt, die ein rechtsextremes und rassistisches Motiv bestritten, daher habe ich diese erwähnt. Von irgendwelchen Psychologen steht da zumindest nichts.
Ich wüßte nicht, warum jemand mit dieser oder jener Ideologie nicht außerdem geistesgestört sein soll oder jemand der geistesgestört ist nicht diese oder jene politische Einstellung haben kann. Auch Schuldfähigkeit hat nichts damit zu tun, ob jemand diese oder jene politische Einstellung hat.
Der Täter hat vor dem "erweiterten Suizid" mit seiner Mutter systematisch ausschließlich Menschen mit Migrationhintergrund ermordet. Zufall? Wohl kaum. Denn der Täter vor seinem rassistischen Attentat ein rechtsextremistisches Pamphlet geschrieben.
"Der AfD-Bundesvorstand distanzierte sich auf Twitter vom Gedankengut des Täters, verbreitete dieses aber zugleich mit einem Link auf sein Pamphlet und seine archivierte Webseite."
Sicherlich nur zur vollumfänglichen Information.
"Katharina Nocun und Pia Lamberty kritisierten, die Pathologisierung des Täters verharmlose seine Tat. Verschwörungsideologien seien nicht nur „irre Hirngespinste“, sondern Teil der Radikalisierung."
Genau so ist es.
(beide Zitate wiederum aus dem Wikipedia-Artikel über den rechtsextremen Terrorakt)
David Z am Permanenter Link
Es gibt genug andere Personen, die hier die offensichtliche Geisteskrankheit als treibende Kraft erkennen.
Ob es für Sie keine Rolle spielt, wenn jemand zB Stimmen hört, die ihn zum Handeln bewegen, ist unerheblich. Relevant ist, dass der Geisteszustand eines Täter bei der Bewertung seiner Tatmotivation gesetzlich eine Rolle spielt. Daher gibt es die Charakterisierung der Unzurechnungsfähigkeit bzw Schuldunfähigkeit, die übrigens in ähnlichen Fällen bei muslimischen Tätern mit weit weniger krankhaftem Wahn nur allzu oft herangezogen wird. Denn selbstverständlich macht es einen Unterschied, ob jemand durch einen krankhaften Wahn getriggert wird oder durch eine politische Radikalisierung.
Der Täter hat seine Mutter getötet. Folglich ist ein rassistisches Motiv für seine Handeln nicht plausibel, denn seine Mutter passt faktisch nicht in das behauptete Narrativ. 9+1 ist nicht 9 sondern 10. Das Pamphlet, was Sie ansprechen, ist kein Hinweis auf einen rationalen, politischen Tathintergrund, sondern vielmehr ein klares Indiz für seine paranoide Geisteskrankheit.
Da Sie erneut mit der AfD um die Ecke kommen, gehe ich davon aus, dass es Ihnen jetzt tatsächlich um Diffamierung geht. Nochmal: Was die AfD im Kontext sagte oder tat, ist hier völlig unerheblich. Deshalb nur kurz als Gedankenhilfe: Da aus dem Pamphlet die erhebliche Geisteskrankheit des Täters hervorgeht, ist aus Sicht der AfD die Intention der Informierung hier tatsächlich gar nicht unwahrscheinlich.
Die zitierte Aussage von Nocun und Lamberty ist sinnfrei. Die Schuldunfähigkeit eines Täters bemisst sich nicht nach der Schwere der Tat. Diese hat nichts damit zu tun, ob wir die Schuldunfähigkeit eines Täters anerkennen oder nicht. Ein schuldunfähiger Mensch kann eine Atombombe zünden, er wird deswegen nicht weniger schuldunfähig. Und selbstverständlich sind Verschwörungsideologien nicht NUR „irre Hirngespinste“. Aber eben AUCH. So wie ziemlich eindeutig in diesem Fall.
Eine schwer geisteskranke, unter gravierenden Wahnvorstellungen leidende Person einem politischen Spektrum zuzuordnen, ist und bleibt grotesk. Das ist in etwa so, wie einem schwer geistig Behinderten sein politisches Wahlverhalten vorzuwerfen.
Markus am Permanenter Link
Der führende Schweizer Gerichtspsychiater Frank Urbanoik, stuft den Täter nicht als Rechtsextrem ein, zu wahnhaft war seine Weltbild.
Roland Fakler am Permanenter Link
Wenn man sich damit begnügt, den Islam wegen seiner Frauenfeindlichkeit zu kritisieren, mag dies oberflächlich gerechtfertigt sein.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Die Sympathie der meisten unserer Regierenden mit dem politischen Islam verbindet sich mit der Gleichgültigkeit und Trägheit des gemeinen Bürgers in dieser Hinsicht.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Die Auflösung des Arbeitskreises ist schlicht ein Skandal!
Frau Faeser sieht nur den Rechtsextremismus als Bedrohung, dabei verweisen die Zahlen – der Beitrag oben weist auch daraufhin – stärker auf die Bedrohung seitens des Islamismus, des politischen und legalistischen Islam. Gehen etwa die stundenlangen Wartezeiten und peniblen Kontrollen auf den Flughäfen auf die Rechtsextremisten zurück? Wurden die Weihnachtsmärkte wegen der Gefahr rechtsextremistischer Anschläge mit Pollern umstellt? Nicht zu vergessen Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen, Clankriminalität seitens jener, die aus den muslimischen Ländern kommen.
2021 betrafen mehr als 260 Verfahren der Ankläger in Karlsruhe den Bereich des religiös motivierten Terrorismus, vor allem den sogenannten Dschihadismus, 52 wegen linksextremistischer, 48 wegen rechtsextremistischer Straftaten (Quelle: Tagesschau vom 7.10.21 https://www.tagesschau.de/investigativ/verfahren-generalbundesanwalt-terrorismus-101.html)
Bezeichnend ist die Distanz der Innenministerin zu jenen Muslimen, die offen und engagiert für unsere Gesellschaftsordnung eintreten, wie etwa zu dem Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der Imamin Seyran Ates oder dem Psychologen Ahmad Mansour. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass sie mit den Feinden unseres freiheitlichen Systems sympathisiert.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ich vermute dass hinter dieser Entscheidung unsere christlichen Kirchen mit im Spiel sind,
Diesen Zusammenschluss habe ich schon vor Jahren hier angedeutet und sehe, dass die Saat langsam aufgeht.
SG aus E am Permanenter Link
"..., dass 'die wissenschaftliche Perspektive hinreichend eingegrenzt sei' und man nun mit einem 'regelmäßig stattfindenden Fachtag' fortfahren werde."
Und was wäre, wenn stimmt, was die Ministeriumssprecherin feststellt: Dass von diesen elf Personen in naher Zukunft eben keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erwarten sind? Und überhaupt: Gibt es in Deutschland nur diese elf Personen, die sich mit Islam, Muslimbruderschaft und Radikalisierung auskennen? Z.B. Susanne Schröter: 2019 hatte sie auf ihrer Konferenz "wissenschaftlich" feststellen lassen, dass das Kopftuch "ein Symbol der Unterdrückung" sei. Und womit beschäftigt sie sich heute? Sie promotet ihr neuestes Buch mit dem talkshowfähigen Titel: "Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass" (→ www.ffgi.net).
Seien wir doch gespannt auf die erste Fachtagung zum Thema unter der neuen Ministerin. Und wenn diese elf Personen des alten Arbeitskreises in naher Zukunft wieder Erwarten doch substantiell Neues einbringen können, werden sie – davon gehe ich aus – bestimmt eingeladen werden.
David Z am Permanenter Link
"Dass von diesen elf Personen in naher Zukunft eben keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erwarten sind?"
Entschuldigung, aber so naiv können Sie nicht sein anzunehmen, dass im Bereich Islamismus bereits alles auf dem Tisch liegt.