Naturwissenschaft und Religion

Die Welt verzaubern

MAINZ. (hpd) Wie können Naturwissenschaften und Religion die Welt „verzaubern“? Dieser Frage widmete sich gestern eine Diskussionsveranstaltung in den Räumen des Instituts für Molekulare Biologie in Mainz.

Unter dem Titel „Die Verzauberung der Welt: Wie Religion und Naturwissenschaft die Wahrheit der Welt suchen und ihr Geheimnis finden“ veranstaltete das Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (ADW) gestern Abend eine Diskussion zwischen dem Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Ernst Peter Fischer und dem evangelischen Theologen Prof. Dr. Jörg Lauster. In einem Grußwort brachte der Direktor des IMB, Prof. Dr. Christof Niehrs, zunächst seinen Wunsch nach einem stärkeren Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sowie der Theologie zum Ausdruck. Denn grundsätzlich dürfe der soziokulturelle Überbau nicht außer Acht gelassen werden, angesichts der Gefahren und Risiken in der biologischen Forschung, wie Niehrs erläuterte. Sein Institut bemühe sich daher um weitere Veranstaltungen dieser Art und begrüße die Zusammenarbeit mit der ADW.

Im Anschluss stellten die Referenten in Impulsvorträgen ihre Thesen vor, die sich an ihren aktuellen Buchveröffentlichungen orientierten. Letztere tragen zufälligerweise beide den Titel „Die Verzauberung der Welt“, nähern sich ihrer Thematik jedoch auf unterschiedliche Weise an. Ernst Peter Fischer erklärte zunächst das Hauptanliegen seines Buches. Im Gegensatz zu Max Webers „Entzauberung der Welt“ durch die Wissenschaft, sehe er vielmehr eine „Verzauberung“. Die Naturwissenschaften könnten die Geheimnisse des Universums nur immer weiter vertiefen, daher dürfe der Mensch niemals aufhören zu staunen. In Rückgriff auf Novalis beschrieb er, wie dem „Gewöhnlichen“ somit ein „geheimnisvolles Ansehen“ verliehen werden könne. Dies sei wichtig, da die Naturwissenschaft so Mut schaffe, dem Geheimnisvollen entgegenzutreten. Kritik äußerte er am Wahrheitsanspruch der Religionen. Die Wissenschaft habe den Vorteil, dass sie bereit sei zuzugeben, was sie nicht weiß. Dennoch sei es wichtig, dass Religion und Wissenschaft sich einander annähern, gerade im Kampf gegen Fundamentalismus und Esoterik.

Jörg Lauster widmete sich in seiner Veröffentlichung der Kulturgeschichte des Christentums, von der Urgemeinde bis heute. Auch er argumentierte zunächst in Rückgriff auf Webers „Entzauberung“. Der Soziologe habe zwar die zunehmende Rationalisierung seiner Zeit begrüßt. Andererseits, so Lauster, bestehe jedoch die Gefahr einer negativen, „vulgarisierten“ Kehrseite. Die Wissenschaft könne den Eindruck entstehen lassen, sie sei allwissend und alles sei berechenbar. Die Religion setze sich hingegen mit der Frage nach dem höheren Sinn der menschlichen Existenz auseinander, sei somit sinnstiftend. Allerdings gelte es, die Offenbarung eines „redenden Gottes“ als Bild zu begreifen. Gott sei als „konkreter Wille“ oder „Absicht in der Welt“ zu verstehen und habe sich in Jesus Christus gezeigt. Unter Offenbarung müsse eine besondere Art der Welterfahrung begriffen werden. Das gleiche Erleben der Natur würde von Religion und Naturwissenschaft nur verschieden interpretiert. Die christliche Weltdeutung erkenne in der Welterfahrung indes einen absichtsvollen Grund. Sie werfe so die Frage auf, ob hinter der Evolution und dem „Plan der Gene“ ein Sinn stehe. Die Naturwissenschaft sei kein Feind der Religion und ein reger Austausch zwischen beiden, wie auch mit den Geisteswissenschaften, sei wünschenswert.

In der anschließenden Diskussion gab Professor Niehrs zu bedenken, dass die Spiritualität des Menschen als neurobiologische Entwicklung mit genetischer Ursache verstanden werden könne. Sie sei zur Förderung der menschlichen Gemeinschaft entstanden.
Ernst Peter Fischer betonte wiederum, dass Menschen mehr staunen und nach Wissen streben sollten. So könne auch das Staunen zu einer Art von Spiritualität werden. Er gab zu bedenken, dass die Theologie die Lücke bei der Frage nach dem Anfang allen Seins füllen möchte. Das vom Urknall aufgeworfene „Warum?“ werde so durch Gott zu beantworten versucht.

Dass die Religion zu einem „höheren Maß an Bestimmtheit“ neige und sich dadurch berechtigter Kritik aussetze, stellte Jörg Lauster am Ende des Gesprächs nicht in Abrede. Er sei froh über das „Eindringen in die Geheimnisse des Universums“ durch die Naturwissenschaften, da die Theologie letztlich ebenso dieses Ziel verfolge. Auch daher sei mehr Dialog zwischen beiden Disziplinen wichtig.