Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner

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Ricarda Hinz / Fotos: Volker Radek

FRANKFURT. (hpd) Filmvorführung und anschließende Diskussion mit der Filmemacherin und GBS-Beirätin Ricarda Hinz am 1. Oktober 2010 im Saalbau Bornheim / Frankfurt am Main, im Rahmen der fünften Veranstaltungsreihe der Säkularen Humanisten – Regionalgruppe Rhein-Main des Förderkreises der Giordano Bruno Stiftung (GBS) - in Zusammenarbeit mit DiKOM e.V. 

Bericht und Kommentar von Jochen Beck

Fast zwei Jahre nach der ersten Veranstaltung der Frankfurter Säkularen Humanisten hatte man diesmal eine Filmvorführung im Angebot, und erstmals befasste man sich unmittelbar mit dem Werk des streitbaren Kirchenkritikers Karlheinz Deschner.

Der Film „Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner“ ist eine Montage von Interviewausschnitten, die zusammen ein Streitgespräch ergeben, das so nie stattfinden konnte. Er ist bereits 1998 als Diplom-Arbeit der studierten Kommunikationsdesignerin Ricarda Hinz entstanden, wurde aber nie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt, da die einschlägigen Staatsverträge die Themen „Religion“ und „Familie“ besonders schützen und hier Kritik nur in Ko-Existenz mit Gegenkritik zulassen. Die Erfüllung dieser Bedingung kann man dem Film meines Erachtens nach ohne Weiteres zusprechen, immerhin tritt hier die Gegenkritik in Gestalt vieler hochrangiger Kirchenvertreter an, darunter sowohl Bischöfe als auch prominente Laien. Ich persönlich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass fundierte Argumente der Gläubigen dem Schnitt zum Opfer gefallen sind.

Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung als praktizierender Christ weiß ich nur zu gut, dass die Geistlichen und engagierten Laien nichts Besseres aufzubieten haben. Vielmehr dürften sich die Meisten in den Behauptungen ihrer Glaubensbrüder im Film wiedererkennen. Bei den säkularen Interviewpartnern hingegen ist oft ein Hintergrundwissen präsent, welches die Masse der Gläubigen, aber auch immer wieder die intellektuelle Redlichkeit der Theologen, zutiefst überfordert. Mancher Zuschauer, der sich der Giordano Bruno Stiftung nahe fühlt, konnte dem einem oder anderen Namen erstmals ein Gesicht zuordnen, wie etwa dem Vorstand Herbert Steffen sowie dem Beirat Professor Birnbacher und dem Kurator Professor Hermann Josef Schmidt, beides Philosophen. Unter den Fürsprechern Deschners fanden sich auch die abtrünnigen Theologen Professorin Uta Ranke-Heinemann und Professor Horst Hermann.

In den Interviews bezog man sich ausschließlich auf die „Kriminalgeschichte des Christentums“. Dass Deschner auch in anderen Werken („Und abermals krähte der Hahn“, „Der gefälschte Glaube“) die Glaubwürdigkeit der christlichen Glaubenslehre und ihrer Dogmen kritisch untersucht hat, scheint keinem der Religionsvertreter in dem Film bewusst zu sein. Auffällig war die Unbedarftheit der christlichen Laien im Vergleich zu den Geistlichen. Dieses Gefälle führe ich teilweise auf den Umstand zurück, dass viele Geistliche die Gläubigen durch Desinformation bei Laune halten.

Ich habe einmal erlebt, wie ein katholischer Priester über den Heiligen Thomas Morus anlässlich dessen Kalendertages predigte. Dem Pfarrer war es wohl zu peinlich, der Gemeinde zu erklären, warum jemand lieber den Märtyrertod starb, als sich vom Papst loszusagen. So bekamen die Schäflein zu hören, Thomas Morus wollte nur Gott und nicht den König als Oberhaupt der Kirche anerkennen. Der Priester wusste natürlich, dass Heinrich VIII. nicht Christus als Oberhaupt der Kirche ablösen wollte, sondern nur den Papst als Haupt der Kirche Englands. Der gleiche Pfarrer führte später das Dispensgespräch mit einem mit mir befreundeten Paar. Die evangelische Braut mokierte sich über das katholische Glaubensbekenntnis, wo exklusiv von der „katholischen Kirche“ gesprochen werde und nicht von der „christlichen Kirche“. Der Pfarrer beschwichtigte die junge Dame, indem er darauf hinwies, „katholisch“ bedeute „allgemein“ und es wäre die gesamte Christenheit gemeint. Tatsächlich aber ist für den Katholizismus die Katholische Kirche die alleinige Kirche Jesu Christi. Protestanten sind für sie Christen ohne Kirche, wie Benedikt XVI. erst kürzlich wieder klarstellte.

Wahrscheinlich haben viele Leser schon selbst erlebt, wie Geistliche die niedrige Stellung der Frau im Neuen Testament als einen Fortschritt für die damalige Zeit darstellten. Das ist aber falsch. Die Stellung der Frau war im alten Ägypten am besten, also in einer Hochkultur, die bis weit in die Zeit der Abfassung der Bibel (800 v.u.Z. bis 150 u.Z.) hinein existierte: „Die ägyptische Frau ging einen aufrechten Gang“, heißt es etwa bei dem Rechtshistoriker Uwe Wesel (Geschichte des Rechts). Innerhalb ihrer Klasse war die Frau zivilrechtlich dem Mann fast gleichgestellt. Für eine altägyptische Mädchenbeschneidung gibt es dagegen keinen Beleg. „Erfreue ihr Herz, so lange sie lebt!“, heißt es in einer altägyptischen Weisheitslehre. Also hätte sich bereits das Alte Testament in unmittelbarer Nachbarschaft Inspiration holen können, um humanere Resultate zu liefern. Aber ich fürchte, hier wissen es die christlichen Agitatoren nicht besser. Es zeigt zudem, wie bereitwillig diese ihre Klientel mit ungeprüften falschen Behauptungen abspeisen.

Besonders beschämend ist es auch, wie die Geistlichen immer wieder den Eindruck vermitteln wollen, die Moral an sich sei biblischen Ursprungs. Dabei finden wir die Goldene Regel als Argumentationsmuster bereits in einem 4000 Jahre alten altägyptischen Brief (Tyldesley, Die Töchter der Isis, Seite 38, 1996). Wenn ein Alt-Ägypter bei dem Totengericht die erfüllten Gebote beteuern sollte, musste es heißen: "Ich habe die Hungrigen gesättigt, ..... dem Schifflosen ein Fähre verschafft, .... ". In der Odyssee von Homer (660 v.u.Z) heißt es, zu jemandem, der einen Bettler misshandelt, derselbe könne auch ein verkleideter Gott sein, der die Gesinnung der Menschen prüfen will (XVII, 480 f.). Dass solche sittlichen Urteile ihre Basis letztlich in evolutionär-biologisch gewachsenen, sozialen Instinkten haben, wird heute nur noch von religiösen Fundamentalisten in Abrede gestellt.

Interessanterweise ist es ausgerechnet der greise, inzwischen verstorbene Bischof Hermann Spital von Trier, der einen entscheidenden Hinweis gibt, der gläubigen Zuschauern zu denken geben sollte:

„Ich finde es schlimm, dass die Kirche 200 Jahre gebraucht hat, um zu erkennen, dass diese Gedanken urchristlich sind.“

Hier gibt ein Bischof zu, dass die Menschenrechte eine 200 Jahre alte Wertekonstruktion sind und die Kirche sich bis in die 1960iger Jahre hinein dagegen gesperrt hat.

Wie können moderne Demokraten eine Religion als göttliche Offenbarung anerkennen, die um 35 u. Z entsteht und etwa um 1776 bis 1789 von antichristlichen (freidenkerischen) Aufklärern mit der Konzipierung der Menschenrechte überrascht wird? Wie kann man einer Kirche angehören, die durch göttlichen Beistand gesicherte Unfehlbarkeit bezüglich der Glaubens- und Sittenlehre in Anspruch nimmt, aber dann noch „ …200 Jahre gebraucht hat …“ bis sie ihre „Sittenlehre“ halbwegs im Sinne der Menschenrechte frisierte? Ist der folkloristische Service bei Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen usw. das wert? Natürlich haben die Kirchenvertreter für die Menschenrechte das Evangelium als Quellgrund in Anspruch genommen. Das tat auch Spital hier, und in einer Gesellschaft, in der den meisten Menschen zu dem Begriff „Menschenrechte“ nicht viel mehr einfällt als „Folterverbot“ und trotzdem sofort mit einem bekanntgewordenen kreativen Polizeichef sympathisieren, muss man wohl darauf gefasst sein, dass dies meist widerspruchslos hingenommen wird.

Tatsächlich aber ist das Evangelium den Menschenrechten entgegengesetzt, denn dieses ist eine Botschaft der Gottes- und Nächstenliebe. Da der Gott der Bibel aber gegen Andersgläubige einen abgrundtiefen Hass hegt, kann die Gottesliebe durchaus dahingehend verstanden werden, dass man Andersgläubige verfolgen soll und die „Feindesliebe“ der Bergpredigt nur für persönliche Feinde gilt. Das hat Papst Pius V. (1566 bis 1572) gut auf den Punkt gebracht: „Es gibt keinen Grund, die Feinde Gottes zu schonen“, befand der ehemalige Großinquisitor im Zusammenhang mit der Verfolgung der Protestanten. Aus dem Umfeld dieses Papstes wurde auch Elisabeth I. von England an den dortigen katholischen Untergrund zum Attentat freigegeben. In Ricardas Film verweisen viele Katholiken auf die Geschichte der Heiligen als Gegenstück zur Kriminalgeschichte. Dabei sind doch gerade die Heiligen ein Teil von ihr. Auch Pius V. ist ein Heiliger. Er ist der zweitletzte Papst, der heiliggesprochen wurde, seitdem folgte nur Pius X. (1903 bis 1914). Papst Urban II., der Initiator des Ersten Kreuzzuges (1096 – 1099), wurde nur „seliggesprochen“. Der Heilige Bernhard von Clairveaux war dann der Initiator des Zweiten Kreuzzuges (1147 – 1149).

Was die Nächstenliebe betrifft, so nimmt man hier oft nicht zur Kenntnis, welche Schlussfolgerungen sich ergeben, sobald dieselbe im Kontext zu anderen zentralen Aussagen des Evangeliums gesehen wird. In Mk 16 - und nicht nur dort - wird den Andersgläubigen pauschal die ewige Verdammnis verheißen und diese in vielen Stellen eindeutig als strafweise zugewiesenes, ewiges und qualvolles Dasein geschildert. Der Katholische Weltkatechismus zitiert hier die Bibelstellen, ohne sie durch metaphorische Verharmlosungsdeutungen zu entleeren (Rz 1033 f.). Ein Mensch, der glaubt, dass Andersgläubige verdammt werden, sich aber zur Liebe verpflichtet fühlt, muss zwangsläufig für die alleinseligmachende Religion das Monopol für religiöse Unterweisung durchsetzen; Abfall vom Glauben und Verführung zum Abfall vom rechten Glauben sieht er als Kapitalverbrechen an,, welche mit der Höchststrafe (Tod) zu ahnden sind. Die Etablierung der wahren Religion als herrschende Staatsreligion muss dann notfalls durch Kriege geklärt werden und militärische Expansion, die den Handlungsspielraum der Missionare absichert, ist sodann ein heiliges Werk.

So ist es nicht überraschend, wenn der Aufstieg des Christentums zur römischen Staatsreligion (380) fast sofort mit der strafrechtlichen Verfolgung von Ketzern und Heiden einherging. Bereits in der Spätantike kam die Todesstrafe zum Einsatz. Die spezielle Methodik der sogenannten Inquisition wurde im 13. Jahrhundert eingeführt. Seit Papst Innozenz IV. (1243 – 1254) kam hier die Folter zur Anwendung. Das letzte Todesurteil der Inquisition wurde 1815 in Mexiko vollstreckt. Der Heilige Augustinus (354 – 430) selbst plädierte für die Einführung staatlicher Zwangsmittel zur Sicherung der Erziehung zur Rechtgläubigkeit. Die erfolgreiche Zwangskatholisierung seiner donatistischen Heimatstadt hat ihn von solchen Methoden überzeugt. Seine Statue steht heute im Petersdom in Rom, wo er mit drei anderen Kirchenlehrern den Stuhl Petri hält. In den meisten Ländern, die später in Europa und Amerika christianisiert wurden, spielten Glaubenskriege, die nicht selten in Völkermord ausarteten, eine große Rolle oder die Christianisierung war überhaupt durch Eroberung bedingt.

Der deutsche Kaiser Ferdinand II. (1619 bis 1637) ist einer der Hauptschuldigen am Desaster des 30-jährigen Krieges (1618 bis 1648), in dem Deutschland mindestens ein Drittel seiner Bevölkerung verlor. Die Historikerin Wedgwood bescheinigt dem erzkatholischen Potentaten ein ehrliches Wohlwollen gegenüber seinen Untertanen. Er wollte eben die Rahmenbedingungen für deren Seelenheil optimieren und der katholischen Kirche den alleinigen Zugang zu ihnen sichern. Am Ende des Krieges hat der Vatikan die Friedensverträge verdammt, weil sie die Rückgabe einiger Gebiete an die protestantischen Reichsstände verfügten. Überflüssig zu sagen, dass auch die Reformatoren die Hinrichtung religiöser Dissidenten betrieben.

Vielleicht finden manche diese Herleitung totalitärer Denkmuster aus der Heiligen Schrift weit hergeholt. Eine Bibelinterpretation ist allerdings immer weit hergeholt. Der Wildwuchs an Widersprüchlichkeit und die fast immer fehlende gedankliche Klarheit machen eine seriöse Auslegung ohnehin unmöglich. Wenn man allerdings aus dem biblischen Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe Toleranz herauslesen will, zeugt dies zweifellos von der allerschlechtesten Auslegungstechnik. Nämlich davon, die Bibel auf wenige Sätze zu reduzieren und alles Übrige zu ignorieren. Die Unkultur der Verdrängung und Beliebigkeitsauslegung, die uns von den modernen Theologen geliefert wird, zeigt sich z. B. in der Zurücknahme der pauschalen Verdammung der Nichtchristen, mit der Begründung, als „Getaufter“ gelte auch derjenige, der das Evangelium ohne eigene Schuld nicht kennt, aber „Gott mit aufrichtigem Herzen sucht“ (Kath. Katechismus Rz 847).

Für die Opfer der christlichen Kriminalgeschichte der letzten 2000 Jahr kommt dieses windige Manöver aber reichlich spät, übrigens kann sogar Mahatma Gandhi diese Bedingung nicht erfüllen, da er ein guter Kenner des Evangeliums war und sich nie taufen ließ.

Die Praxis der intellektuell unredlichen Beliebigkeitsauslegung wird bereits von der Bibel vorgelebt. Beispiele dafür sind die alttestamentarischen Prophezeiungen, die im Neuen Testament als erfüllt ausgegeben werden. So soll sich z.B. die Immanuel-Weissagung in Jesaja 7 auf Jesus beziehen. Von unfreiwilliger Komik ist natürlich auch der Versuch des um 130 u.Z. verfassten zweiten Petrus-Briefes, die ausbleibende Wiederkunft Jesu auszubügeln. Sie ist ja bereits in Mk 13,30 für die Lebenszeit von Jesu Zeitgenossen angekündigt. In 2 Petr 3 heißt es dann, Gott habe ja ein anderes Zeitgefühl, für ihn seien eben tausend Jahre wie ein Tag.

Vor diesen Hintergründen sind die folgenden Filmaussagen zu verstehen:

„Die Anpassung des Christentums ist seine Gestaltlosigkeit, der Verzicht auf eine eindeutige Physiognomie ist sein Erfolgsrezept.“ (Professor Birnbacher)

„Aus der Bibel lässt sich alles und das Gegenteil lesen.“ (Ursula Neumann)

Für letztere Behauptung lässt sich auch ein Beispiel aus dem Alltagsleben anführen. Vielen Christen gilt die Prügelstrafe in der Erziehung heute als Verstoß gegen die Liebe. Die Bibel nimmt aber die gegenteilige Position im Hebräerbrief ein.

Der Gegensatz zwischen Christentum und Menschenrechten lässt sich nicht nur an der Vernetzung der Gottes- und Nächstenliebe mit der Lehre von der ewigen Verdammnis und deren Unverträglichkeit mit der Toleranz festmachen. Auch das christliche Ethos der Barmherzigkeit steht in gewisser Weise im Gegensatz zu diesen. Letztlich ist die Quintessenz der Menschenrechte der Gedanke, dass die eigene Freiheit ihre Grenze nur dort findet, wo sie dem Mitmenschen den Genuss der gleichen Rechte sichert und diese Grenze nur von einer demokratischen Gesetzgebung festgelegt werden darf. So ist es in der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution vom 26.08.1789 ausgeführt, ebenso wie in der „Metaphysik der Sitten“ Kants (1797). Es geht also in der Idee der Menschenrechte nicht - wie im Christentum und den anderen antiken Religionen - um Barmherzigkeit, sondern um etwas viel wichtigeres, nämlich darum, die Menschen von der Barmherzigkeit der anderen durch eine Ethik der Freiheit und Gleichheit unabhängig zu machen. Das Neue Testament dagegen liest sich eher wie eine Erbauungsschrift für Sklavenhalter (Lk 17, 1.Kor 7, Eph 6, Kol 3-4, 1.Tim 6, Tit 2, Phil, 1Petr 2; es lohnt sich, die Kapitel ganz zu lesen), und es hat hier entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil eben keinen Fortschritt gegenüber damaliger Ethik realisiert (siehe z.B. die Stoiker). Die Gefolgschaft des Spartakus (73 bis 71 v.u.Z.) steht da sicher jedem heutigen Humanisten näher. Eine der wenigen konkreten Aussagen zur politischen Ethik findet man dort (im NT) übrigens in Röm 13, wo jede Obrigkeit als von Gott eingesetzt definiert wird. Die Unfähigkeit der christlichen Bibelschreiber, eine humanistisch gehaltvolle Ethik zu entwickeln, geht vielleicht auch darauf zurück, dass man von dem baldigen Weltende mit der Wiederkunft Jesu Christi und dem Weltgericht ausging (Mk 13,30; Offb Joh) und deshalb meinte, der Einsatz für Reformen im Diesseits sei nicht mehr lohnend. Damit unterlag aber die Ausprägung christlicher Ethik dem Einfluss eines gescheiterten apokalyptischen Paradigmas, also einem Aberglauben.

Der eben erwähnte Kant, der das Christentum als eine „um der Schwachen willen zu duldende Anstalt“ bezeichnete, wird übrigens in dem Film von Professor Horst Herrmann als aufklärerischer Gegenpol zum Apostel Paulus aufgeführt:

„Sie finden bei Kant keine hasserfüllten Sätze, das hat der Mann gar nicht nötig, aber Paulus hatte es nötig.“

Von all den bisher geschilderten Zusammenhängen schienen die Kirchenvertreter in dem Film keine Ahnung zu haben, vielmehr bedienten sie wieder das altbekannte Klischee von dem schlechten Zeitgeist, dessen Opfer man gewesen sei und dass man frühere Zeiten nicht nach heutigen Maßstäben messen dürfe. „… Die Zeit war so … „Aber das ist heutiges Denken.…“ Für eine Religion, die sich als alleinseligmachende göttliche Offenbarung versteht und den Gläubigen den Beistand des Heiligen Geistes verheißt, ist das eine merkwürdige Ausrede. Wozu offenbart sich ein Gott, wenn er dann nichts Besseres zu tun hat, als sich an den Zeitgeist anzupassen und diesen oft humanitär unterbietet? Denn das Christentum hat auch vorhandene humanitäre Qualitäten der antiken Kultur vernichtet, also selbst den Zeitgeist vergiftet.

Was wäre für eine göttliche Offenbarung eigentlich so schwer daran gewesen, damals z.B. die Stellung der Frau nach ägyptischem Vorbild auszuprägen und die politische Ethik der Römischen Republik (510 bis 49 v.u.Z.) so weiterzuentwickeln, dass sie die eigenen Vorzüge behalten und die des frühen und mittleren Kaiserreiches (27 v.u.Z. bis 284 u. Z.) trotzdem realisieren kann? So dass die allgemeine Verleihung des römischen Bürgerrechtes im Jahre 212 noch etwas wert gewesen wäre? Warum hat man nicht über die natürlichen Ursachen von Krankheiten und Naturkatastrophen gegen Dämonen- und Geisterglaube aufgeklärt wie so manche damalige Philosophen, sondern ihn stattdessen noch befeuert? Jesus betätigte sich allen Ernstes als Exorzist! Warum hat die Christliche Offenbarung das Schicksal im Jenseits an die Rechtgläubigkeit gekoppelt, einen Absolutheitsanspruch erhoben und den religiösen und philosophischen Pluralismus des antiken Heidentums abgetötet?

Hierzu hat im Film Professor Hermann Josef Schmidt den richtigen Ton gefunden:

„Das Christentum ist in die religiös tolerante Antike eingebrochen wie ein Virus. Im griechischen und römischen Kulturraum gab es eine Fülle unterschiedlicher Religionen, die friedlich miteinander koexistiert haben. Religiöse Toleranz war eine so große Selbstverständlichkeit, dass man sie kaum irgendwo formuliert gefunden hat. Leider brach das Christentum in diese Kulturwelt wie eine Horde fundamentalistischer Plebejer ein und hat uns bis in die Gegenwart ein solches Maß an Verhetzung, Fanatismus und Trübung wahrer Menschlichkeit eingebracht …“.

Mancher Zuschauer war bisher über diese Anmerkung sicher erstaunt. Schließlich sind Christenverfolgungen irgendwelcher, dem Wahnsinn entgegen irrlichternder römischer Kaiser ein beliebtes Motiv wohlbekannter historischer Hollywoodschmonzetten. Tatsächlich aber verlangte das heidnische Rom von den Bewohnern des Reiches nur die Befolgung eines Opferritus für den Kaiserkult als Loyalitätserweis. Dies konnten die monotheistischen Juden nicht erbringen. Hier begnügte sich Rom mit einem Ersatz, dem Gebet für den Kaiser, es nahm durchaus auf solche Besonderheiten Rücksicht. Die Christen wollten natürlich in den Genuss des gleichen Privilegs kommen, sie wollten zum Zeichen ihrer Treue für den Kaiser beten und dafür vom Kaiserkult entbunden werden. Dieses Ausnahmeprivileg hat das Reich bis 313 u. Z. verweigert, denn eine Religion, die den nahen Weltuntergang ankündigt und die Endlösung der Ungläubigenfrage in einem transzendenten Auschwitz predigte, musste den Caesaren ja suspekt sein. Das waren schließlich keine Analphabeten wie manche christliche Herrscher des Mittelalters.

Immerhin gibt es antike Berichte, wonach manche im Vertrauen auf die nahe Wiederkunft Jesu Christi ihren Besitz den Armen schenkten und so selbst zu Bettlern wurden. Auch von der Jerusalemer Urgemeinde wird in der Apostelgeschichte über karitativ motivierte Vermögensliquidationen berichtet. Kein Wunder, dass Paulus später in seinem griechisch-kleinasiatischen Gemeinde-Netzwerk für die Armen Jerusalems auf Kollekte gehen musste. Kaiser Trajan (98 bis 117) hat nach dem Aufflackern regionaler Verfolgungen in seinem berühmten Reskript das Vorgehen des Staates geregelt: Man sollte nicht nach den Christen fahnden. Wer angezeigt wurde, sollte zum Kaiseropfer vorgeladen werden. Wer es verweigerte, wurde mit dem Tode bestraft. Wenn das Opfer verrichtet wurde, galt der Verdächtigte als unschuldig. Er konnte dann den Denunzianten wegen Böswilligkeit belangen. Die Verwendung anonymer Anzeigen hat Trajan ausdrücklich verboten. Natürlich war es für die Christen eine Sünde, dem Kaiser zu opfern, aber dafür gab es dann Beichte und Buße. Ein Denunziant konnte nie wissen, ob der Delinquent hart blieb.

Unter solchen Umständen wurde der Staat dem Christentum nur richtig gefährlich, wenn er die Bevölkerung kollektiv zum Kaiseropfer vorlud. Solche systematischen Verfolgungen beschränkten sich aber auf kurze Zeitfenster (249-253, 257-260, 303-305/313). Vergleicht man dies mit den 15 Jahrhunderten christlicher Verfolgungsexzesse, die nur eine einzige Konfession zuließen, also eine Höllenkultur prägten, in der das selbstständige Denken ein todeswürdiges Verbrechen wurde, wo man während der Inquisition die Angeklagten durch Folter nötigte, sich selbst als Ketzer zu bezichtigen und in der während der Inquisition anonyme Denunzianten sogar einen Teil des beschlagnahmten Vermögens der Verurteilten bekamen, so hat Schmidts hartes Verdikt jede Berechtigung.

Natürlich hat auch das antike Heidentum seine düsteren Züge, aber es weist ihm auch niemand göttliche Inspiration zu und ein humanitärer Fortschritt des Christentums ihm gegenüber ist nicht auszumachen; zweifellos eine vernichtende Bilanz für die menschheitserziehende Kompetenz dieser Religion und damit für die Glaubwürdigkeit ihrer transzendentalen Wahrheitsansprüche.

Die Zuschauer, die glaubten, in diesem Film gäbe es nichts zu lachen, hatten allerdings die Rechnung ohne Manfred Lütz gemacht. Der Psychiater und Theologe, der inzwischen auch ein Buch über Gott geschrieben hat, wirkt in Ricarda Hinz' Film mit seinen Versuchen, den Bock mit der Elefantenbüchse abzuschießen, so skurril wie der Großwildjäger Van Pelt in dem Film „Jumanji“. Er erinnert aber auch an den unglückseligen Inspektor Farge in dem Film „Der Profi“:

„Zu sagen, 'die Kirche hat Kriege geführt' heißt, dass man die Geschichte nicht kennt. Dann möchte ich bitte wissen, welchen Krieg die Kirche geführt hat? Es ist so gewesen, dass es Kriege gegeben hat, die Kaiser und Könige Kriege geführt haben und diese Kriege wurden auch unterstützt von der Kirche, und das ist auch gegebenenfalls zu kritisieren.“

Ein Theologe sollte natürlich die Kirchengeschichte gut genug kennen, um zu wissen, dass die Kirche im Mittelalter ein Machtfaktor mit eigenen militärischen Ressourcen war und hochgesteckte machtpolitische Ziele mit eigenem Militär oder indirekt durch Verbündete verfolgte. Ein Beispiel dafür ist das Dictatus Papae von Papst Gregor VII. (auch ein Heiliger) des Jahres 1075. Dort hieß es unter anderem, dass die Fürsten nur die Füße des Papstes küssen müssen, der Papst allein könne über die kaiserlichen Insignien verfügen, er dürfe den Kaiser absetzen und die Untertanen vom Treueeid entbinden, sei aber selbst unabsetzbar. Die aus diesen Ansprüchen resultierenden Machtkämpfe zogen sich bis ins 13. Jahrhundert hin.

Ich möchte zwei Bespiele für Kriege der Kirche anführen und wähle dazu bewusst die Zeit von Papst Gregor IX. (1227 – 1241), der als Kardinal ein Förderer des heiligen Franz von Assisi war.

Der Vorgänger Gregors hatte Kaiser Friedrich II. das Versprechen abgepresst, bis zu einem bestimmten Stichtag einen Kreuzzug zu beginnen. Als die Frist tatenlos verstrichen war, exkommunizierte der neue Papst den Kaiser. Friedrich II. brach dann nach Palästina auf. Der Papst war darüber erbost, er hatte wohl angenommen, der Monarch werde erst aufbrechen, wenn er für entsprechende Gegenleistung wieder vom Bann gelöst worden ist. So weigerte sich Gregor IX., den Feldzug des gebannten Herrschers als Kreuzzug anzuerkennen und marschierte kurzerhand in das süditalienische Königreich des Kaisers ein. Als Herrscher des Kirchenstaates (halb Mittelitalien) verfügte der Papst ja über ein eigenes Heer (die Schlüsselsoldaten). Erst nach der Rückkehr des Kaisers - der die Heiligen Stätten ohne Kampf (bis 1244) zurückerhalten hatte – wurde wieder der Friede zwischen Kaiser und Papst vermittelt. Dieser Papst erklärte auch den Vernichtungskrieg des Erzbischofs von Bremen gegen die norddeutsche Republik der Stedinger Bauern (1230 – 1234) zum Kreuzzug. Die auf ihre Unabhängigkeit bedachten Bauern hatten dem Erzbischof Abgaben verweigert und wurden dafür kurzerhand zu Ketzern erklärt. „Lieber Tod als Sklave!“ war ihr Motto.

Die letzten Kriege unter direkter Verantwortung eines Papstes waren die Revolution von 1848/49 und die italienischen Einigungskriege (bis 1870). 1848 wurde der Kirchenstaat in die Römische Republik umgewandelt. Das Wahlrecht war dort demokratischer als in den damaligen USA. Aber bereits im folgenden Jahr wurde die Republik von Interventionstruppen katholischer Mächte zusammengeschossen. Papst Pius IX. konnte als absoluter Monarch nach Rom zurückkehren. Erst als er durch den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 seine französische Schutzmacht verlor, konnte der Kirchenstaat in Italien eingegliedert werden. Pius IX. wurde vor wenigen Jahren seliggesprochen, die westlichen Demokratien ließen diesen Affront unbeachtet.

Lütz behauptete auch, die Katholische Kirche habe keine Hexen verfolgt. Auch für folgende Aussage über Deschner erübrigt sich jeder Kommentar:

„Ich glaube, dass jemand, der intensiv hasst und dies in Deutschland vom Schreibtisch aus tut, auch ein Täter ist.“

Im letzten Drittel des Films wurde noch die kirchliche Frauenproblematik aufgegriffen. Hier erregte sich Uta Ranke-Heinemann darüber, dass „… 2000 Jahre Christentum die Gehirnzellen der Frauen so beschädigt haben, dass sie heute die größten Fürsprecher ihrer eigenen Unterdrückung sind.“

Schließlich wandte man sich der Verquickung der Kirche mit dem Faschismus zu. Hier versuchten die prokirchlichen Interviewgeber, die Konflikte der Kirche mit dem NS-Regime als Ausdruck einer generellen Widerstandshaltung auszugeben. Offenkundig war ihnen in keiner Weise klar, dass die katholische Kirche sich mit vielen faschistischen Regimen in einer klassischen Allianz von Thron und Altar verbunden hatte. Der Fachausdruck hierfür lautet Klerikal-Faschismus. Dazu gehört nicht nur die Franco-Diktatur in Spanien (1939 – 1975), sondern auch der kroatische Ustascha-Faschismus (1941 – 1944), der einen Völkermord an den orthodoxen Serben zu verantworten hatte. In diesem Zusammenhang gab es auch Konzentrationslager, die von Franziskanermönchen geleitet wurden. Die Ablehnung der Menschenrechte durch den Vatikan im Jahre 1791 war eben immer noch in Kraft. Erst Papst Johannes XXIII. (1958 – 1963) schlug hier einen neuen Weg ein. Das NS-Regime gehörte zwar nicht der Kategorie des Klerikal-Faschismus an - auch Deschner erwähnt in dem Film eine anti-klerikale Haltung der Nazis - aber offenkundig erhoffte sich die Kirche eine Angleichung des Regimes an den Klerikal-Faschismus, denn durch den Zuspruch an die katholische Zentrumspartei, für das Ermächtigungsgesetz zu stimmen (1933), verhalf Vatikan-Botschafter Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939 – 1958), dem NS-Diktator zur absoluten Macht. Hitler wurde auch nie exkommuniziert. Der einzige Naziführer, der von seiner Kirche ausgeschlossen wurde, war Josef Goebels, weil er eine Protestantin geheiratet hatte. Professor Schmidt befand, Pius XII. und die deutschen Bischöfe hätten auf die Nürnberger Anklagebank gehört.

Der Film schloss mit einem Wort von Karlheinz Deschner: „Ich denke, also bin ich kein Christ!“

Ich selbst habe übrigens – mit einer Ausnahme – erst im Verlauf der letzten drei Jahre Bücher von Deschner erworben, da ich mir als katholischer Jugendlicher einen Ekel bezüglich seines Stils eingefangen hatte. Meine historischen Kenntnisse haben sich deshalb fast ganz ohne ihn angesammelt. Heute finde ich, dass seine manchmal nervtötende, moralisierende Vorgehensweise ein Gegengewicht zu den Unzulänglichkeiten der anderen Historiker darstellt. Diese neigen oft dazu, siegreiche Machthaber und Institutionen mit großem Wohlwollen zu beschreiben, ohne auf das Leid ihrer Opfer allzu viel Mühe zu verwenden.

Anschließend ergab sich noch die Gelegenheit zur Diskussion mit Ricarda Hinz. Die Künstlerin berichtete von ihrer Methodik, kirchennahe Interviewgeber zu finden. Durch ihre katholische Sozialisation wusste sie, „wie man einen Bischof bekommt“. Sie simulierte das verunsicherte Schäflein und überraschte den Gesprächspartner erst vor Ort damit, dass es nur um Deschner gehen solle. Nach dem ersten Bischof öffneten sich die Türen von selbst. Alle Gegner Deschners hatten bekannt, nie eines seiner Bücher gelesen zu haben.

Mancher Zuschauer hatte den Film vermutlich bereits gesehen, denn Ricarda hat ihn ins Internet gestellt. Die Filmveranstaltung trotzdem zu besuchen, hat sich aber sicher auch wegen des erfrischenden Charmes der Künstlerin gelohnt.


Die Säkularen Humanisten Rhein-Main treffen sich wieder in Frankfurt am Main, am
16.10.2010 um 19:00 Uhr, im 2. Stock des Club Voltaire, in der Kleinen Hochstraße Nr. 5. Der nächste Termin der Veranstaltungsreihe ist am 05.11.2010 um 19:30 Uhr, siehe hierzu auf www.saekulare-humanisten.de.