Helden, Schurken und andere Autoritäten

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Fotos: Susan Navissi

BERLIN (hpd) Dr. Renate Schindler, Philosophin und Lehrerin, gestaltete mit den Lebenskunde-Schüler/-innen zweier Berliner Gymnasien die visuellen Inspirationen für einen Kongress in Heidelberg: Was ist gute Autorität? Von Helden, Schurken und anderen Leitbildern.

 

Entstanden sind rund 50 Exponate, die von der Vielfalt der Gedanken und Interpretationen der Kinder und Jugendlichen mit dem Thema Autorität zeugen. Die Konferenz richtete sich an alle, die sich, sei es beruflich oder persönlich, mit dem Thema Autorität auseinandersetzen. Ein Interview mit der Philosophin und Lehrerin Dr. Renate Schindler.
 

An welchen Schulen wurden die Exponate hergestellt?

Dr. Schindler: Am Heinrich Schliemann Gymnasium und am Käthe Kollwitz Gymnasium in Prenzlauer Berg. Die zentrale Frage eines Kongresses in Heidelberg an der Pädagogischen Hochschule für die Ausstellung „Von Helden, Schurken und anderen Vorbildern“ war: Was ist gute Autorität? Genau diese Frage habe ich mit den Schüler/-innen, den Klassenstufen 5-11, bzw. 12 bearbeitet, innerhalb des Schwerpunktes, der auch meinen Schwerpunkt bei der Arbeit darstellt, Philosophieren mit Kindern.

 

Was war die Inspiration für die Ausstellung?

Ich bin von einer der Veranstalterinnen des Kongresses gefragt worden, ob ich etwas zu dem Kongress beitragen kann und anhand der Werke und Gedanken von Kindern diese wichtige Frage illustrieren möchte. Denn um die geht es ja vor allem bei der pädagogischen Frage: Was ist gute Autorität? Was denken die Kinder selber darüber? Das fand ich sehr gut, die Schüler/-innen zu fragen: Wer ist für euch heutzutage ein Vorbild, und warum?

  

Wer ist für Sie selbst ein Vorbild?

Dr. Schindler: Das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Da würde ich am ehesten die Meinung eines meiner Schüler aus der elften Klasse vertreten, der kurz und knapp schreibt: Vorbilder sind Bilder, und Bilder gehören aufgehängt. Das ist ausgesprochen dialektisch und doppeldeutig, weil man sie an die Wand hängen und bewundern kann oder aber ihnen einen Strick um den Hals legen, im Zweifelsfall. Und es ist fatal, sich nur ein Vorbild zu nehmen, sondern Vorbilder ändern sich im Laufe der Zeit. Daher möchte ich jetzt die Frage nach einem Vorbild nicht einfach so beantworten. Es gab in meinem Leben zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Gründen verschiedene Vorbilder. Das fängt an bei den Eltern, das waren manche Lehrer, bestimmte Freunde, die etwas besonders gut gemacht haben oder die mir halfen, selbst etwas zu leisten. Das waren ganz verschiedene Personen. Ich habe nicht EIN Vorbild.

 

Welche Person fällt Ihnen jetzt, in diesem Moment, ein?

Dr.Schindler: Da müsste ich länger nachdenken, dann würden mir bestimmt mindestens 10 Leute einfallen, die mir Vorbild sind, in mehrfacher Hinsicht: moralisch, ethisch, von ihrem Wissen her, ihrer Disziplin her, politisch, aufgrund ihrer Ansichten und vor allem wegen ihres Tuns/Handelns. Das geht querbeet durch alle Bereiche.

 

Was hat Sie während der Unterrichtseinheit beeindruckt? Gab es einen Miniprozess im großen Prozess, eine Reaktion, die Sie beschreibenswert finden?

Dr.Schindler: ich fand die ganze Unterrichtseinheit beeindruckend, bzw. wie die Kinder die Frage umgesetzt haben. Ich habe erfahren was in ihren Köpfen vorgeht, das wusste ich vorher nicht. Um ein Beispiel zu nennen: Birk, Ein Schüler der siebten Klasse hat ein Gedicht von Bertolt Brecht als sein Vorbild ausgewählt: Die Frage eines lesenden Arbeiters. Das hat mich sehr beeindruckt, dass er dieses Gedicht abgeschrieben und als Vorbild ausgesucht hat. Mir war nicht klar, dass die Kinder darüber so tief nachdenken und solche konkreten Ideen im Kopf haben, was Vorbilder sind, oder auch nicht sind. Auch hab ich mich gefreut, dass mein Schwerpunkt, das Philosophieren mit Kindern Früchte trägt, denn einer der älteren Schüler schrieb, dass die Vernunft sein Vorbild sei und die Philosophen(lacht). Da ist doch sehr viel hängen geblieben von dem, was ich mit ihnen mache, wie zum Beispiel Texte von Immanuel Kant lesen. Auch mich haben bestimmte philosophische Schriften sehr geprägt.

 

 

Konnten sich die Kinder jeweils auf die Produkte der Anderen beziehen?

Dr.Schindler: Ja, sobald sie fertig waren. Das war ein Prozess, und sobald wir begonnen haben, haben sich jene, die noch zögerlich waren, motiviert gefühlt, weil sie gesehen haben: Die anderen machen auch was zu dem Thema. Sie haben aber nie dasselbe gemacht wie die Vorgänger, das waren einfach Inspirationen. Sie haben gemerkt, ich kann mich wirklich so entfalten, wie ich selber denke und kann machen was ich will. Sie haben von mir keinerlei ästhetische oder inhaltliche Anleitung erhalten. Niemand. Das fand ich so interessant. Es ist wirklich in ihren eigenen Köpfen entstanden.

 

Wie waren die Reaktionen der Kongressteilnehmer/-innen auf die Produkte der Kinder?

Dr.Schindler: Die Reaktionen waren ausschließlich positiv. Es waren viele Seminarleiter, Pädagogen anwesend. Norbert Nagel, Leiter der pädagogischen Hochschule, sagte, er hätte selten so viele Student/-innen gesehen, die so lange vor diesen Bildern meditieren. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Kopien der Werke waren als „Tischuntersetzer“ erhältlich und viele Kongressteilnehmer/-innen haben mir später geschrieben, dass sie sie mitgenommen haben.

Was mich an der Arbeit zu diesem Thema am meisten beeindruckt hat war, dass jeder dieser ca. 50 Beiträge absolut originell war. Die Kinder haben wirklich aus sich selbst heraus Ideen entwickelt und diese aufgeschrieben oder gezeichnet. Mich hat gewundert, dass sich die Autoritätsbilder im Unterschied zu vor, sagen wir 20 Jahren, geändert haben. Zum Beispiel, dass Lehrer, Politiker oder auch Pfarrer, keine Vorbilder mehr sind, sondern dass sich die Ethik der Kinder eher auf das Verhältnis zu den Eltern bezieht, auf den Privatbereich, wer da ein Vorbild ist und dass die gegenseitige Hilfe ganz hoch im Kurs steht. Es war bei den Kindern nichts zu spüren von irgendwelchen egoistischen Idealen. Sie lehnen sowohl das Streben nach Geld ab als auch die Ignoranz gegenüber der Umwelt und sie haben ein gutes Gespür für Formen von schlechter Autorität. Das hat mich außerordentlich gefreut, dass so ein großes Potential an Selbstbestimmung da ist.


Die Fragen stellte Susan Navissi

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Teile der Ausstellung sind ab Mittwoch, den 5.1.2011 bis Anfang Februar im ersten Stock des HVD (Humanistischer Verband Deutschland) in der Wallstraße 61-65 zu besichtigen.