Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument

(hpd) Der israelische Historiker Moshe Zuckermann kritisiert den politischen Missbrauch des Verweises auf die Judenfeindschaft und die Shoah in Deutschland und in Israel. Angesichts der Komplexität und Sensibilität des Themas hätte man sich aber mehr Differenzierung in der Bewertung und mehr Sachlichkeit im Tonfall gewünscht, damit die durchaus beachtenswerte Problematik nicht Beifall von der „falschen Seite“ bekommt.

Antisemitismus artikuliert sich heute häufig in Gestalt einer vehementen Israel-Kritik. Gleichwohl steckt nicht hinter allen Einwänden gegen die Politik des jüdischen Staates Antisemitismus. Es kommt auf die Grundmotivation an: Besteht sie in dem Bekenntnis zu allseitig gültigen Menschenrechten oder in dem tiefverwurzelten judenfeindlichen Ressentiment? Über die Bewertung entsprechender Aussagen gibt es mitunter heftige Kontroversen. Noch erschwert wird die Differenzierung dadurch, dass der Vorwurf des Antisemitismus dabei auch schnell in der Debatte auftaucht. Mitunter ist er berechtigt, mitunter ist er nicht berechtigt. Auf den politischen Missbrauch derartiger Aussagen will nun Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, in seinem Buch „’Antisemit!’ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ verweisen. Denn: „Noch nie sind ‚Shoah’, ‚Antisemitismus’, ‚Juden’ und ‚Judenhasser’ so vollmundig zelebriert und mit Genuss öffentlich gefaucht worden“ (S. 11).

Entsprechend dieser Ausgangsthese unterteilt der Autor sein Buch in zwei große Kapitel, die sich auf aktuelle Debatten und Vorkommnisse in Deutschland und Israel beziehen: Nach Ausführungen zum Wechselverhältnis von Antisemitismus und Zionismus geht er auf die von ihm gemeinte Instrumentalisierung anhand von verschiedenen Beispielen näher ein. Dazu gehören etwa Reden von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Israels Außenminister Avigdor Lieberman. Hierzu bemerkt Zuckermann: „Zwar dient israelische Politrhetorik über Shoah und Antisemitismus in der Tat sehr oft als Blitzableiter zur Relativierung eigener Defizite, Vergehen und Verbrechen; das Problem liegt jedoch nicht primär in dieser instrumentellen Verwendung der Begriffe zwecks Harmonisierung des von kognitiver Dissonanz irritierten psychischen Haushalts, sondern darin, dass Israel einerseits Realitäten schafft ..., andererseits aber meint, diese durch Selbstviktimierung rechtfertigen oder zumindest doch verdecken zu können“ (S. 71).

Der zweite Teil des Buchs geht dann auf die Situation in Deutschland ein, wobei die Auffassungen der Regierung wie die Positionen der „antideutschen“ Linken thematisiert werden. Im öffentlichen Diskurs sei aufgrund der Massenmorde an den Juden in der NS-Zeit das Verhältnis zu Israel zu einem „Lackmustest einer diesbezüglichen political corectness avanciert“ (S. 107). Daher habe die Kanzlerin Angela Merkel in ihrem Knesset-Rede die Sicherheit Israels zu einem Teil der Staatsräson Deutschlands erklärt. Aus dem gleichen Grund seien zu Vorträgen eingeladene jüdische Israel-Kritiker wie Norman Finkelstein oder Ilan Pappe wieder ausgeladen worden. Über die Aneignung des Antisemitismus-Vorwurfs durch die „Antideutschen“ heißt es: „Dass er aber zum ideologischen Modeschmuck von deutschen ‚Linken’ verkommen konnte, bezeugt ... nicht nur die Misere der Bekämpfung des realen Antisemitismus in diesem Land, sondern auch die horrend-perfide ideologische Verdinglichung von ‚Shoah’, ‚Juden’, ‚Israel’ und ‚Zionismus’“ (S. 181f.).

Moshe Zuckermann spricht mit seinem Buch ein emotional diskutiertes und inhaltlich heikles Thema an, wobei ihm seine Ausführungen sicherlich auch Beifall von der „falschen Seite“ einbringen können. Tatsächliche Antisemiten dürften ihn als eine Art „Kronzeugen“ für die Abwehr der gegen sie berechtigterweise erhobenen Vorwürfe sehen. Leider bedient sich der Autor auch durch Überspitzungen einschlägiger Begriffe aus dem Diskurs der „falschen Seite“ wie etwa „Antisemitenjäger“ (S. 132) oder „Israellobby“ (S. 160). Ihm geht es aber nicht um das Ignorieren oder Leugnen des realen Antisemitismus, sondern um das Hinterfragen und Problematisieren entsprechender Diskurse. Dabei neigt Zuckermann aber auch zu unangemessenen Übertreibungen und Verallgemeinerungen. Keineswegs belegen alle von ihm genannten Beispiele eine Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs. Allgemein hätte man sich bezüglich verschiedener Ausführungen mehr Differenzierung in der Bewertung und Sachlichkeit im Tonfall gewünscht.

Armin Pfahl-Traughber

 

Moshe Zuckermann, „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien 2010 (Promedia-Verlag), 208 S., 15,90 €.