MANNHEIM. (hpd) Als ich die verschiedenen Erwiderungen und Kommentare zu meinen Artikel im hpd „Atheismus als Grundlage des Humanismus“ gelesen habe, ist mir eins erneut sehr klar bewusst geworden. Atheismus wird noch immer als Weltanschauung missverstanden. Ein Nachtrag zu einem ersten Artikel zum Thema.
Von Dirk Winkler
Kritiker mit religiösem Hintergrund argumentieren dann auch konsequent relativistisch. Hier der Glaube daran, dass es keinen Gott gibt, dort der Glaube, dass es einen Gott gibt. Hier das Dogma einer These, dort das Dogma einer anderen These. Wenn man von religiösem Fundamentalismus spricht, muss man auch feststellen, dass es atheistischen Fundamentalismus gibt. Atheismus sei ja auch nur ein Glaube – der Glaube, daß es keinen Gott gibt. So wie es eben einen Glauben an einen Gott gibt. Im Kern ist es immer der Versuch, eine Gleichberechtigung zu konstruieren, wo es keine Gleichheit der Argumentationsebene gibt.
Atheismus ist im Gegensatz zum Glauben sehr einfach. Wenn Theismus der "Glaube an einen Gott" ist, dann ist A-Theismus zunächst erst einmal das Fehlen eines Glaubens an einen Gott. Man „glaubt“ also nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern man glaubt halt nicht. Sowenig wie man an Schneewittchen glaubt, oder den Osterhasen.
Es ist einzig die Tradition, warum wir uns heute von den argumentativen Nebelkerzen der Religiösen verwirren lassen. Wir alle sind in der Tradition aufgewachsen, dass man zunächst einmal die Argumente für Gott mit der gleichen Ernsthaftigkeit zur Kenntnis nimmt wie jene gegen Gott.
Eine vergleichbare Tradition für die Argumente pro Osterhase existiert nicht. Daher fällt auch niemandem ein, den Osterhasen-Theismus mit dem Osterhasen-Atheismus zu relativieren. Die historische Erfahrung hat uns gelehrt, dass aus absoluten Wahrheitsansprüchen sehr viel Unheil erwachsen ist. Es ist schon paradox, dass gerade religiöse Kritiker den Finger heben und meinen, daran gemahnen zu müssen, wenn von Seiten des Atheismus Klartext geredet wird.
Klartext ist, dass es entweder einen Gott gibt oder nicht. Es ist nicht beides möglich. Es ist dabei vollkommen unerheblich, ob dieser Gott nur einmal bei der Erschaffung der Welt gewirkt hat. Ob er immer mal lenkend eingegriffen hat oder heute noch ständig Einfluss nimmt. Diese Fragen wären nur dann relevant, wenn die Grundsatzfrage Gott ja oder nein, mit ja beantwortet wäre. Aber genau diese alles entscheidende Frage: existiert Gott – ja oder nein, muss erst einmal entschieden werden.
Zur Beantwortung dieser Frage gibt es nun zwei Lösungswege. Einen naturwissenschaftlichen Weg und einen theologischen Weg.
Ich sage nicht, dass sich der theologische Weg nicht auch wissenschaftlicher Methoden bedient. Kritisches Quellenstudium, Untersuchungen über das Weltall und den Urknall werden durchaus ernsthaft betrieben und halten kritischer Überprüfung stand. Das ist Teil einer aufgeklärten Religion, wie es insbesondere das Christentum für sich reklamiert. Zu Recht, wie ich meine.
Der entscheidende Unterschied ist der, wie beide Seiten Glauben und Wissen definieren. Und für welche Denkmethode sie sich entschieden haben.
Sprachlich benutzt man das Wort Glauben dafür, ob etwas an sich für wahr betrachtet werden kann. Dabei geht es nicht darum, ob ich glaube, dass mein Nachbar die Wahrheit gesagt hat. Ich tue dies, weil ich nicht davon ausgehe, dass er die Unwahrheit gesagt hat.
Wenn man an einer Weggabelung steht und keinerlei Wissen oder Indizien hat, welcher der beiden Wege einen zu seinem Ziel führt, so „glaubt“ man, dass der Weg, den man einschlägt der Richtige ist. Richtig ist aber einzig, dass man eine Zufallsentscheidung getroffen hat, die weder etwas mit Glauben, noch mit Wissen zu tun hat.
Glauben als Wort begegnet uns ständig, weil es eine Annahme beschreibt oder für eine Zufallsentscheidung steht.
Etwas ist glaubwürdig, wenn es zunächst nicht offensichtlich Lüge ist, weil wir Menschen im allgemeinen davon ausgehen, dass wir nicht belogen werden. Eine andere Grundannahme würde ein Zusammenleben unmöglich machen. Diese Art des Glaubens enthält immer auch die Möglichkeit, dass aus Glauben Wissen wird. Glauben wird immer dann zu Wissen, wenn Indizien oder Beweise für oder gegen die geglaubte Annahme sprechen.
Glauben im religiösen Sinn meint etwas ganz anderes. Glauben ist dort eine Denkkategorie, die zulässt, an alles Beliebige zu glauben und grundsätzlich ohne Wissen auskommt. Was ein Mensch im religiösen Sinn glaubt, ist dabei reiner Zufall. Der Zufall der Geburt bestimmt den Glauben. Je nachdem, in welche Familie oder in welche Gesellschaft ein Mensch hineingeboren wird, wird sein Glauben geprägt. Dementsprechend gibt es unzählige Glaubensinhalte, an die ein Mensch glauben kann.
Demgegenüber gibt es nur eine Naturwissenschaft. Es kann nur eine Naturwissenschaft geben, da es nur die Naturgesetze gibt, die es gibt. Diese zu erforschen, bedient man sich naturwissenschaftlicher Methoden. Naturwissenschaft produziert Wissen.
Wissen erwirbt man durch wissenschaftliche Methoden. Es ist verifizierbar und vor allem falsifizierbar. Wissen ist insoweit wahr, wie es nicht den Tatsachen widerspricht. Wissen kann niemals eine absolute Wahrheit begründen, da Wissen seiner Natur nach unerschöpflich ist. Wissen ist notwendigerweise immer begrenzt und unvollständig.
Glaube taugt nicht zum Füllen der Wissenslücken, auch wenn Gläubige immer gerne in die gerade noch offenen Wissenslücken springen.
Es gibt einfach Wissen und Nichtwissen. Noch-nicht-Wissen und prinzipiell-nicht-möglich-zu-wissen.
Wir dürfen uns nicht davon täuschen lassen, dass wir umgangssprachlich sagen, wir glauben an eine bestimmte wissenschaftliche Theorie. Nehmen wir die Evolutionstheorie. Ich glaube nicht an die Evolution. Die Evolution ist kein Gegenstand des Glaubens. Die Erkenntnisse zur Evolution gehören dem Bereich des Wissens an. Die Evolutionstheorie steht seit Darwin im Feuer. Im Kern hat sie bewiesen, dass sie das zutreffendste Welterklärungsmodel der belebten Natur ist, das die Menschheit besitzt.
Ich weiß, dass die Evolutionstheorie richtig ist. Ich weiß es so sehr, wie es redlicherweise möglich ist, über etwas Gewissheit zu haben.