Heiner Conrad, geboren 1948, wurde mit 14 Jahren am 5. April 1963 in das Aufnahmeheim Eckehardt in Eckardtsheim bei Bielefeld gebracht. Den Beschluss dafür erließ das Jugendamt Bochum einen Tag zuvor am 4. April 1963. Die Mutter von Heiner, der nach dem Tod des Vaters "...das Sorgerecht über ihre Kinder aufgetragen wurde" war mit einer Einweisung von Heiner nicht einverstanden. Das Jugendamt schrieb dazu: "Frau Conrad ...stellt sich doch immer wieder auf die Seite ihres Jungen und ist nicht in der Lage, Heiner die notwendige straffe Erziehung zu geben. .... Weil aber Gefahr im Verzuge ist, ist die Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung von Nöten." Der "Beobachtungsbogen" (1. Scan, 2. Abschrift, Teil 2 und 3) vom 4. 4. 1963 gibt Auskunft.
Heiner Conrad war Heimkind in 'Eckardsheim", "Moorstadt" und "Freistatt Moorhort". Diese und weitere Heime gehören zu "Bethel v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel".
In Stellungnahmen, Briefen, Protokollen der Anstaltsleitung und der Mutter wird das damalige Geschehen deutlich. Entlassen wurde Heiner Conrad mit 16 Jahren im Oktober 1964.
Der "Beobachtungsbogen":
Beobachtungsbogen
Des Aufnahmeheims E c k e h a r d t in Eckardtsheim b. Bielefeld
1. Personalien (siehe Original-Scan)
2. Familie
Familien-, Wohnungs-, Berufs- und Lebensverhältnisse der Angehörigen:
Vater – Mutter Geschwister (Zahl, Alter) – Großeltern Stiefeltern – Vormund?
Beruf und Einkommen der Angehörigen? Wohngegend – Art der Wohnung – Zimmerzahl – Bettenzahl? Zustand und Zusammenleben der Familie? Ordnung – Sauberkeit – Wirtschaftlichkeit? Sittlicher Leumund? Religiöses Leben? Erbliche Belastung in der Familie? Krankheiten? Trunksucht? Gerichtliche Bestrafungen in der Familie?
Heiner C o n r a d ist der Jüngste von 4 Kindern der Eheleute Georg Conrad und seiner Frau Meta geb. Anton. Im Jahre 1950 wurde die in Bochum geschlossene Ehe der Eltern in Polle geschieden. Die Schuld daran trägt der Ehemann. Im Juni 1956 kehrte Frau Conrad, die während des Krieges nach Polle evakuiert war, nach Bochum zurück. Nachdem die zweite Ehe des Ehemannes geschieden war, gingen die Eheleute Georg und Meta Conrad erneut die Ehe ein (November 1956). Herr Conrad verstarb im Dezember 19XX. Von seinen Arbeitgebern wurde Herr C. als wenig arbeitsfreudig beurteilt. Wegen Unterhaltsentziehung musste er eine Gefängnisstrafe verbüßen.
Der älteste Sohn der Familie, Hans-Jürgen, wurde wegen Erziehungsschwierigkeiten durch Urteil des Jugendgerichts in Bochum vom 4.10.1950 unter Schutzaufsicht gestellt während Helmut vom Amtsgericht Bad Pyrmont der Fürsorgeerziehung überwiesen wurde und bis Juni 1959 im Erziehungsheim Bischborn untergebracht war. Die Schwester leidet infolge von Kinderlähmung an Geistesschwäche und ist weder arbeits- noch erwerbsfähig. Der Mutter ist das Sorgerecht über ihre Kinder aufgetragen.
3. Entwicklung v o r Überweisung zur Fürsorgeerziehung
Bisheriger Lebenslauf: Genaue Zeitangaben von der Geburt bis zur Überweisung zur Fürsorgeerziehung: im Elternhaus? In Pflege-, Lehr- und Arbeitsstellen? Wo? Wie lange? Warum gewechselt? – Körperliche Entwicklung: Pflege? Ernährung? Gesundheitszustand? Sportliche Betätigung? Körperfehler? Misshandlungen? Entwicklungsstörungen? Periode? Geschlechtsverkehr? Geburten? – Geistige Entwicklung: Schulzeit? Schulart? Lernerfolge: Wissensbildung? Charakterliche Entwicklung: Sittliches und soziales Verhalten? Religiöses Leben? Arbeitsantrieb? – Ausdauer? Haltlosigkeit? Triebartige Neigungen? Gemütszustand? Reifezeit? Sexualleben? Psychopathische – krankhafte Züge? Auffallende Empfindlichkeit oder Reizbarkeit? Neigung zu Gewalttätigkeiten und Rohheit? Gemeinschaftsfähigkeit?
Heiner C o n r a d lebte im Haushalt seiner Mutter. Er besuchte die Volksschule und wurde Ostern 1962 aus der 6. Klasse entlassen. Als Kind häufig krank und stand eine Zeitlang wegen Hylusdrüsentbc (?) in der Betreuung des Gesundheitsamtes. In der Schule fiel der Junge nicht unangenehm auf. Im Dezember 1961 machte sich Heiner laut Mitteilung des Amtsgerichtes eines Diebstahls schuldig. Hierauf setzt die jugendamtliche Betreuung der Familie wieder ein. Die Mutter, die Heiner als ihren Jüngsten wahrscheinlich sehr verwöhnt hat aber keine Unehrlichkeit duldete, versprach, Heiner besonders gut zu beaufsichtigen. Er wurde außerdem noch von der Fürsorgerin verwarnt und ermahnt. Bis Juni 1962 traten dann keine Schwierigkeiten mit dem Jungen auf. Er konnte im April 1962 als Lehrling bei einem Tankwart vermittelt werden. Im November musste Heiner sich wegen Diebstahls verantworten und wurde vom Jugendrichter mit einem Freizeitarrest belegt. Im gleichen Monat wurde des Lehrverhältnis mit beiderseitigem Einverständnis gelöst. Heiner fühlte sich dort nicht gut behandelt und war auch den geistigen und körperlichen Anforderungen nicht gewachsen. (...)
Heiner Conrad ist labil und leicht zu beeinflussen. Nach Angaben der Mutter soll er viel Umgang mit älteren und schlecht beleumundeten jungen Leuten gehabt haben.
Frau Conrad ist ihrem Jungen nicht mehr gewachsen und da sie selbst auch sehr labil (?) veranlagt ist, stellt sie sich immer wieder auf die Seite ihres Jungen und ist nicht in der Lage, Heiner die notwendige straffe Erziehung zu geben.
Für den Jungen wäre eine energische und straffe Heimerziehung notwendig und würde ihn wieder auf den rechen Weg bringen. Die Mutter ist aber nicht bereit, dem Auftrag der freiw. Erziehungshilfe zuzustimmen. Weil aber Gefahr im Verzuge ist, ist die Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung von Nöten.