Extremismus in den EU-Staaten

(hpd) In diesem Sammelband werden 24 Länderstudien zur Verbreitung von extremistischen Bestrebungen in Europa veröffentlicht. Die einheitliche Struktur der jeweiligen Kapitel ermöglicht auch systematische Vergleiche, welche eine differenzierte Einschätzung des extremistischen Gefahrenpotentials gestatten.

Extremistische Bestrebungen lassen sich in vielen europäischen Ländern nachweisen, wobei sie sich in Ausmaß und Erscheinungsformen mitunter stark unterscheiden: Gewalttaten und Wahlerfolge einschlägiger Organisationen und Parteien stehen dabei für das gemeinte Phänomen und können für einige Länder als relativ bedeutsam und für andere Länder als weniger bedeutsam eingeschätzt werden. Wie es damit in der Gesamtschau auf Europa und im systematischen Vergleich bestellt ist, konnte bislang noch nicht klar gesagt werden. In diese Wissenslücke stößt nun der von den Politikwissenschaftlern Eckhard Jesse und Tom Thieme herausgegebene Sammelband „Extremismus in den EU-Staaten“. Er will bezogen auf die 24 Staaten und den Zeitraum von 1990 bis 2009 in ihren Worten „die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Besonderheiten der verschiedenen Extremismusphänomene“ herausarbeiten. „Mit der vergleichenden Analyse unterschiedlicher Extremismusformen in West- und Osteuropa betritt der Band wissenschaftliches Neuland“ (S. 12).

Einleitend benennen die Herausgeber die theoretischen Grundlagen für den Sammelband, wobei eine Definition von politischem Extremismus geliefert und dessen Erscheinungsformen und Intensitätsgrade benannt werden. Dem folgen in alphabetischer Reihenfolge die 24 Länderstudien von Belgien, Dänemark und Deutschland, über Frankreich, Griechenland und Litauen bis zu Österreich, Polen und Ungarn. Da der Sammelband vergleichend konzipiert sein sollte, haben Jesse/Thieme ihren Autoren verbindliche Vorgaben für die Gestaltung ihrer Beiträge gemacht: Zunächst geht es um die historischen und politischen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern. Danach werden die parteiförmigen und nichtparteiförmigen Erscheinungsformen des Extremismus hinsichtlich ihrer ideologischen, organisatorischen und strategischen Besonderheiten beschrieben und eingeschätzt. Und schließlich soll ein Ergebniskapitel eine vergleichende Bewertung für das jeweilige Land vornehmen. Ein europaweiter Vergleich bildet dann den Abschluss des Bandes.

Ebendort konstatieren die Herausgeber, dass es in allen untersuchten Ländern extremistische Bestrebungen gibt. Ihre Ausprägungen und Bedrohungspotenziale variierten allerdings von Land zu Land stark. So waren einschlägige Parteien in bestimmten Ländern zumindest zeitweise an der Regierungsbildung beteiligt, in anderen Ländern sind sie als Wahlpartei etabliert und kontinuierlich im Parlament vertreten, und in wiederum anderen Ländern können sie allenfalls sporadisch Wahlerfolge verbuchen. Meist hätten sich die formal gemäßigteren Parteien durchgesetzt. Ihre Einbindung und Regierungsbeteiligung führte dabei nicht zu einer Gefahr für die Demokratie. Vielmehr mussten sich diese Kräfte den gegebenen politischen Verhältnissen anpassen, verloren so auch einen Teil ihrer Unterstützer und mäßigten dabei ihre politischen Positionen. Gleichwohl leiten die Herausgeber aus dieser Einsicht keine Bekämpfungsstrategie ab, verbiete sich doch aus extremismustheoretischer Sicht eine Kooperation mit antidemokratischen Kräften. Dies sei eine paradoxe Situation.

Bei dem Band handelt es sich in der Tat um ein Novum: Zwar liegt mittlerweile eine Reihe von Sammelbänden zu bestimmten Formen des Extremismus in unterschiedlichen Ländern vor. Hierbei handelt es sich aber nur Aneinanderreihungen von inhaltlich ganz unterschiedlich strukturierten Aufsätzen. Den Herausgebern ist es hier gelungen, ihre Autoren von der Notwendigkeit eines einheitlichen Untersuchungsverfahrens zu überzeugen. Erst dies ermöglicht letztendlich eine vergleichende Betrachtung in systematischer Weise. Dabei kommt man nicht unbedingt zu einheitlichen Ergebnissen, handelt es sich doch um ein komplexes gesellschaftliches Phänomen. Gleichwohl verdienen die dabei gewonnenen Erkenntnisse großes Interesse. Bedauerlich ist, dass man sich meist nur auf den Links- und Rechtsextremismus konzentriert. Erscheinungsformen des religiösen Extremismus wie etwa des Islamismus werden häufig viel zu knapp behandelt. Gleichwohl liegt hier ein beachtenswertes Handbuch und Nachschlagewerk zum Thema vor.

Armin Pfahl-Traughber

 

Eckhard Jesse/Tom Thieme (Hrsg.), Extremismus in den EU-Staaten, Wiesbaden 2011 (VS – Verlag für Sozialwissenschaften), 505 S. ISBN-13: 978-3531170657, Euro 39,95.