(hpd) Nahezu zeitgleich zum politischen Sturz autoritärer Regime im Vorderen Orient erscheint ein von den Politikwissenschaftlern Holger Albrecht, Rolf Frankenberger und Siegfried Frech herausgegebener Sammelband. Die darin enthaltenen Beiträge beschreiben und analysieren die Mechanismen zur Aufrechterhaltung diktatorischer Regime und werfen dabei einen kritischen Blick auf die pseudo-demokratischen Legitimationsformen.
Über demokratische Ordnungen und totalitäre Systeme liegt mittlerweile eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur vor. Geringere Aufmerksamkeit fanden demgegenüber autoritäre Regime, die nicht demokratisch, aber auch nicht totalitär sind. Zu diesem „Forschungsrandgebiet“ geben die drei Politikwissenschaftler Holger Albrecht Rolf Frankenberger und Siegfried Frech den Sammelband „Autoritäre Regime. Herrschaftsmechanismen, Legitimationsstrategien, Persistenz und Wandel“ heraus. Darin erinnern sie zunächst schlicht daran, dass der Blick auf die Weltkarte zeige, dass autoritäre politische Systeme im 21. Jahrhundert entgegen der normativen Warte westlicher Demokratieforschung sehr wohl noch eine politische Konstante sind. Die von ihnen herausgegebenen Texte wollen nach Funktionslogiken, Institutionen, und Strukturen, Interdependenzen, Kerneigenschaften und Systemerhaltungsmechanismen derartiger Formen diktatorischer Herrschaft anhand von Fallbeispielen fragen.
Am Beginn steht aber ein Beitrag zu Definition und Forschungsstand dieser „dunklen Seite“ der Macht, worin die Begriffsbestimmungen des Polity IV-Projekts und des Freedom in the World Index dargestellt und kommentiert werden. Die beiden Herausgeber Albrecht und Frankenberger plädieren selbst aber für eine Auffassung, die sich nicht negativ über die Ablehnung der Demokratie ergibt. Sie benennen drei Merkmale: „In autoritären Systemen sind Entscheidungsbefugnisse stark konzentriert, sowohl personell als auch institutionell ...“ (S. 27). „Ein zweites Kernelement ... bezieht sich auf das Verhältnis zwischen den politischen Regimen und ihren Bürgern.“ Dabei sind ungleiche „Partizipationsmöglichkeiten ... systemrelevant“ (S. 30). Und drittens gilt für autoritäre Regime: „Deren Herrschaftsausübung ist nicht durch formale Regelwerke (Verfassungen) oder Institutionen (Wahlen) begrenzt. Jene existieren zwar, werden aber von den Herrschenden korrumpiert ... und durch informelle Mechanismen der Herrschaftsausübung unterwandert“ (S. 33).
Diesem Definitionskapitel folgen zwölf Fallstudien, die sich auf autoritäre Regime in bestimmten Ländern oder Regionen beziehen. Hierbei beschränken sich die Autoren aber nicht auf die Auflistung historischer Fakten oder Beschreibung politischer Institutionen, sondern stellen ihre Beispiele in einen analytischen Kontext: Die postsowjetischen Staaten gelten überwiegend als „hybride Regime“ mit einer ausgeprägten Dominanz der staatlichen Exekutive über die gesamte Politik. In Südostasien spielt die Macht des Militärs angesichts der Schwäche der politischen Parteien und zivilen Institutionen weiterhin noch eine große Rolle. Viele afrikanische Staaten gelten als „elektorale Autokratien“, in denen die postkoloniale Herrschaftspraxis hinter dem Schleier eines angeblich demokratischen Verfassungsstaates verborgen sei. In Ägypten dienten einige Reformen dazu, einen grundlegenden Wandlungsprozess zu vermeiden. Für die Stabilität des autoritären Regimes in Simbabwe spielt die politische Apathie der Bevölkerung eine große Rolle.
Genau in der hier deutlich werdenden Verkopplung der historischen und politischen Länderstudien mit einem bestimmten analytischen Aspekt, der meist auf die unterschiedlichen Instrumente und Mechanismen der Herrschaftsstabilisierung bezogen ist, besteht das Verdienst dieses Sammelbandes. Er macht dabei erneut deutlich, dass die idealtypisch klare Trennung von Demokratie und Diktatur realpolitisch keineswegs so eindeutig ist. Besonders erhellend dürfte in diesem Kontext sein, wie sich autoritäre Regime pseudo-demokratischer Legitimationsmittel zur Herrschaftsstabilisierung bedienen. Etwas irritierend wirkt sowohl bei den Fallstudien wie bei dem Grundsatzbeitrag, dass der von Juan L. Linz besonders herausgestellte Unterschied zwischen autoritären und totalitären Diktaturen nicht näher thematisiert wurde. Ansonsten überholte die politische Entwicklung manche Einschätzungen in dem Band, konnte man zu dessen Erscheinen doch noch von der Herrschaftssicherung im Vorderen Orient zur Zeit des Sturzes dortiger autoritärer Regime lesen.
Armin Pfahl-Traughber
Holger Albrecht / Rolf Frankenberger / Siegfried Frech (Hrsg.), Autoritäre Regime. Herrschaftsmechanismen, Legitimationsstrategien, Persistenz und Wandel, Schwalbach/Ts. 2011 (Wochenschau-Verlag), 333 S.