Gegenseitige Versicherung der SPD-Christen

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Zuhörer im SPD-Fraktionssaal im Reichstagsgebäude / Fotos C Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die SPD-Fraktion hatte zum vergangenen Freitag (8.4.) eingeladen und war überrascht über die große Resonanz an Interessierten, die sich die Antworten auf die Fragestellung anhören wollten, ob es eine neue Balance zwischen Staat und Kirchen geben müsse. Ergebnis: Keine Bange, es bleibt alles beim Bewährten. Wenn nicht, gibt’s Saures.

Mehr als 220 Interessierte hatten sich bei der SPD-Fraktion angemeldet, die für die öffentliche Tagung glücklicherweise den großen Faktions-Sitzungssaal im Reichstagsgebäude reserviert hatte. Die Teilnehmenden repräsentierten einen recht guten Querschnitt durch das religiöse Deutschland, die vereinzelten Laizisten fielen dabei nicht ins Gewicht.

Vom Katholikenrat beim katholischen Militärbischof für die Bundeswehr, dem Medienbeauftragten des Rates der EKD, vom Diakonie Bundesverband und einer Vizepräsidentin der Synode einer Landeskirche, dem Familienbund der Katholiken, dem CVJM, dem Sozialdienst katholischer Frauen und Vertretern evangelischer Freikirchen, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, mehreren Mitarbeitern des Kommissariats der deutschen Bischöfe und katholischer Büros, dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU hatte sich auch der Direktor der Evangelischen Akademie in Berlin, der Evangelische Kirchenpräsident der Pfalz und der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates angemeldet.

Die Fragestellung war zeitgemäß, denn man wollte sich damit beschäftigen, dass das Grundgesetz bestimme, dass der Staat sich mit keinem Bekenntnis identifizieren dürfe und alle „Bürgerinnen und Bürger ihre religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen umfassend leben können“. Muss nun angesichts von Veränderungen – die Kirchen verändern sich, Muslime suchen ihren Platz, die Zahl der Konfessionslosen nimmt stetig zu -, das „Staatskirchenrecht“ neu ausbalanciert werden? „Was kann die SPD-Bundestagsfraktion, was können Christinnen und Christen in der SPD dafür tun, dass auch künftig die Zusammenarbeit von Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne des Gemeinwohls gut gelingt?“

Die Gleichsetzung der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Arbeitskreis der Christinnen und Christen machte bereits stutzig.

Nach kurzer Begrüßung durch den Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion, Siegmund Ehrmann, verdeutlichten die einführenden Worte des Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Frank-Walter Steinmeier, dass der Parteivorstand seinen ‚Segen’ zu der Tagung gegeben hatte. Weitere Redner des ersten Teils der Tagung waren die höchsten nicht-theologischen Vertreter der beiden großen Kirchen, der Bundesminister a. D. und langjährige Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland Jürgen Schmude sowie der Landtagspräsident a. D. und Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken Alois Glück.

Aufbruch einer früher akademischen Diskussion

Zur Einführung verwies Frank-Walter Steinmeier darauf, dass gesellschaftlich und politisch Diskussionen aufgebrochen seien, die in den letzten Jahrzehnten sonst eher auf akademische Kreise beschränkt waren. Allerdings spiegele sich darin auch die weltpolitischen Veränderungen der vergangenen zwanzig Jahre wider. Der 20. September 2001 habe unmissverständlich klar gemacht, dass auch wieder mit den bedrohlichen Potentialen von Religionen zu rechnen sei, ein Umstand der sich auch in Asien und Afrika zeige, manchmal zum Guten, aber auch zum Schlechten. Das Paradigma der Aufklärung, dass Religion immer mehr zur Privatsache werde, stimme insofern nicht.

Die Ängste vor islamischen Zuwanderern und ihrer vitalen Religiosität habe internationale Dimensionen. In Deutschland gäbe es allerdings genügend verfassungsrechtlichen Spielraum, auf Änderungen zu reagieren, um auch den Islam in das bestehende Staatskirchenrecht einzuordnen, so dass man wohl in wenigen Jahren nur noch vom Religionsrecht sprechen werde.

Steinmeier betonte, wie wichtig es sei, begründen zu können, warum das Erbe der Selbstaufklärung von Religionen auch heute noch wichtig sei. Dass wir gelernt hätten, bestehende Konflikte zu leben, „einzuleben“. Ohne diese Spielregeln werde die Welt nicht friedlicher werden. Weder der Staat noch die Religionen dürften ihre Ansprüche absolut setzen.

Vier Minimalanforderungen seien für „Friedensschlüsse“ erforderlich:

  1. Die Trennung von Staat und Kirche
  2. die Respektierung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und
  3. dass Menschen ihre Religion auch öffentlich leben können, und
  4. die Bereitschaft zur Selbstreflexion der Religionen selbst. Dafür werde auch die Theologie gebraucht, d. h. Lehrstühle für islamische Theologie.

Bevor er sich verabschiedete, gab er noch ein paar Habermas-Zitate zum Besten und wünschte gutes Gelingen.

Es liegt im staatlichen Interesse, die Kirchen nicht zu schwächen

Zum Tagungsthema referierte als erster Dr. Jürgen Schmude, SPD-Mitglied, 1978 bis 1981 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1981 bis 1982 Bundesminister der Justiz und 1982 Bundesminister des Innern; er war von 1985 bis 2003 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ist seit 2005 Mitglied im Nationalen Ethikrat und seit 2009 mit der Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn ausgestattet.

Er korrigierte gleich anfangs Frank-Walter Steinmeier, denn seiner Erfahrung nach seien Religion und Kirchen immer auch im gesellschaftlichen Gespräch gewesen. Und es sei richtig, dass es eine internationale Dimension gäbe. So habe beispielsweise der südafrikanische Bischof Tutu sich 1993 gegen eine Abschaffung der Kirchensteuer in Deutschland ausgesprochen, da sie in Afrika das Geld aus der Kirchensteuer bräuchten. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen sei aber auch nicht spannungsfrei. So habe seinerzeit Norbert Blüm öffentlich darüber sinniert, ob die Kirchen die Kirchensteuer überhaupt verdienen würden, wenn sie sich gegen die Abschaffung von kirchlichen Feiertagen zur Finanzierung der Pflegeversicherung wehrten. Der Rückgang der Kirchensteuereinnahmen werde die Kirchen sehr verändern, da die kirchliche Arbeit national und international dann nicht mehr finanzierbar sei.

Es läge aber im staatlichen Interesse, die Kirchen nicht zu schwächen, denn die Kirchen würden hilfreiche Werte für das Zusammenleben vermitteln, gäben Trost und Zuspruch, wie man es auch nach den Amokläufen immer wieder gesehen habe, als die Kirchen der Trauer einen Raum gaben. Und die kirchlichen Kitas würden schließlich auch Kinder ohne Kirchenbindung aufnehmen. Zudem würden die Kirchen nicht privilegiert. Carsten Frerk, der in seinem „Violettbuch“ diese These verträte, sei auch Mitglied um Humanistischen Verband in Berlin, der pro Kopf der Verbandsmitglieder ein Mehrfaches dessen an Staatsleistungen bekäme, was die Kirchen erhalten würden. (Frerk wunderte es auf Nachfrage, da er kein Mitglied des HVD in Berlin sei. Aber als Prügelknabe habe man ja auch eine gesellschaftliche Funktion.)

Die Staatsleistungen schienen es Jürgen Schmude besonders angetan zu haben, denn er betonte, dass die Staatsleistungen wie Erbbauzinsen seien und deren Bezahlung könne man ja auch nicht einfach beenden. Wenn man das aber wolle, dann müsse das Grundstück gekauft werden.

Aber auch eine Reduzierung der Kirchensteuern, die allerdings auf Grund der sinkenden Mitgliederzahlen der Kirchen unausweichlich ist, treibt ihn umher, denn erst die Einnahmen aus der Kirchensteuer würden die Kirchen stark und unabhängig von Staat und großen Spendern machen.

Sein Fazit hatte eher den Charakter einer Drohgebärde: Grundlegende Eingriffe in das bewährte System des Staatskirchenrechts, die die Positionen der Kirchen schwächen würden, seien nicht sachdienlich. Und: Würde diese Schwächung durch die SPD erfolgen, wäre dies primär und vor allem für die SPD schädlich.

„Es ist doch wichtig, dass die Kirchen bleiben“

Alois Glück, der erst mit Zustimmung der katholischen Bischöfe zum ranghöchsten Laien des katholisch organisierten Deutschlands aufstieg, vertrat das ökumenische Prinzip. Er hatte den leichteren Part, da die Katholiken, trotz Herrn Thierse und Frau Nahles, nicht die Mehrheit der SPD-Wähler nach Religionen stellen.

So blieb er im Konventionellen, zitierte Habermas und konnte auch nicht auf das unvermeidliche, in seiner Absicht verfälschte Böckenförde-Zitat verzichten, dass der Staat auf Voraussetzungen beruhe, die er nicht aus sich selbst heraus schaffen könne. Im Übrigen war er der Meinung, dass die Bedeutung der Religionen wieder zunehmen würde. Auch in den schwierigsten Phasen der Missbrauchskandale in der katholischen Kirche, sei die überwiegende Meinung, die an ihn herangetragen wurde, stets gewesen: „Es ist doch wichtig, dass die Kirchen bleiben.“

Seine Schlussfolgerung daraus ist, dass von den Kirchen erwartet werde, dass sie eine Instanz der Orientierung, der Wertebildung darstellen würden. Das zeige sich u. a. auch darin, dass neuerdings Religionsvertreter zum Weltwirtschaftsforum nach Davos eingeladen werden.

Für das Verhältnis von Staat und Kirchen gibt es seiner Ansicht nach drei Fixpunkte:

  1. Wesentlich sei die Trennung von Staat und Kirche, damit beide unabhängig blieben. Das Schlimmste sei ein „Gottesstaat“. Religionsfreiheit muss durch den Staat garantiert und geschützt werden. Staatliche Gesetze seien der Maßstab für alle Bürger, nicht Glaubensvorstellungen.
  2. Der Zweck von Religionen geht über einen gesellschaftlichen „Nutzen“ hinaus, Religion sei Kern der europäischen Kultur, brauche aber die Akzeptanz unterschiedlicher Auffassungen.
  3. Die Kirche, insbesondere seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, will zu einer humaneren Gesellschaft beitragen, für alle Menschen, im Wechselspiel von Nächstenliebe und Gottesliebe. Zentral sei dabei der „Dienst am Menschen“, die „Diakonie“. Und gerade der Rückbezug über die Irrungen des Nationalsozialismus brauchte nach dem Zweiten Weltkrieg das Korrektiv der Kirchen. Auch darin seien die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, der Anwalt der Menschen.

Die Wandlungen der drei K’s

Gegenüber den früheren drei K’s (für Frauen: Kirche, Küche, Kinder) die Alois Glück jedoch nicht erwähnte, ständen für die katholische Kirche heute drei K’s: Kompass, Kompetenz und Kompromissbereitschaft, denn die Fragen einer Identität würden auch religiös beantwortet und im Übrigen sei der Körperschaftsstatus der Kirchen eine angemessene Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirchen.

In der anschließenden halben Stunde für Fragen aus dem Publikum gab es ein paar besonders erwähnenswerte Themen.

 

Auf die Frage, ob die Gefahr der Fundamentalisierung nicht nur für Religionen, sondern auch für atheistische Auffassungen gelte, gab Dr. h.c. Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Mitglied im Sprecherkreis des Arbeitskreis der Christinnen und Christen in der SPD, der den ersten Teil der Tagung moderierte, zum Besten: „Meine Erfahrung in der DDR besagt: Atheismus kann eine besonders böse Form der Religion sein.“

Damit wir behalten, was wir haben...

Auf die Frage, woher denn eigentlich das Kirchengut stamme, verwies Jürgen Schmude darauf, dass das 1803 enteignete Kirchengut überwiegend aus Spenden und Stiftungen stamme. Ansonsten hätten auch weltliche Fürsten geraubt und sich Güter gewaltsam angeeignet. Das sei aber im Dunkel der Geschichte nicht mehr so genau so klären und man hätte heute einen Rechtsfrieden. Für den Verlust des Kirchengutes seien entsprechend Ersatzleistungen angebracht.

Das Thema war unterschwellig nicht nur der Laizismus, der den Kirchen doch alle Pfründe wegnehmen wolle, und der wie ein Beelzebub über die verunsicherten christlichen Tische des Saales hüpfte, sondern immer wieder auch der Islam, die Frage seiner Demokratiefähigkeit und die Frage nach seiner Gleichbehandlung.

...sollen die anderen Religionen es auch bekommen

Jürgen Schmude fasste es treffend zusammen: „Gleichberechtigung gibt es nur auf der Basis Null.“ Das hieße aber Nichts für Niemanden. Das könne und dürfe aber nicht sein.

Ergebnis des ersten Teils der Tagung: Balance zwischen Staat und Kirchen ist gut, kleinere Korrekturen könne und müsse man zwar vornehmen, ansonsten aber alles so belassen, wie es sich bewährt habe. Grundlegende Änderungen? Gott bewahre, nein!

Friedrich Simmern