(hpd) Zu Gerhard Stremingers neu aufgelegter Hume-Biografie. Lange war sie vergriffen, nun ist sie zum 300. Geburtstag des schottischen Aufklärers und Philosophen David Hume am 7. Mai wieder erhältlich: die meisterhafte Biografie Gerhard Stremingers – mit noch einmal gründlich revidiertem Text, unter neuem Titel und in einem anderen Verlag.
Jeder Biograf, der über einen Philosophen schreibt, steht vor der Schwierigkeit, Leben und Werk des Denkers so aufeinander zu beziehen, dass sie sich gegenseitig erhellen. Bei manchen Philosophen wäre das eine recht undankbare Aufgabe: Kant verließ kaum seinen Wirkungsort und blieb darüber hinaus unverheiratet – so entfallen schon einmal zwei der wichtigsten Themenbereiche, über die man der interessierten Nachwelt berichten könnte.
Hume gehört nicht in diese Kategorie. Zwar blieb auch er unverheiratet, aber Bildungsinteressen, Politik und Religionskonflikte gestalteten auch seine Biografie durchaus abwechslungsreich. Gern folgt man daher Stremingers chronologischer Darstellung, in die dann Interpretationen der jeweiligen Werke eingeschoben werden. Das Buch beginnt deshalb auch nicht, wie man erwarten könnte, mit der Kindheit Humes, sondern mit einer angemessen ausführlichen Schilderung des historischen und politischen Hintergrundes, in den Kindheit und Jugend Humes eingebettet waren. Die calvinistische Tradition Schottlands wirkte auf den jungen David einerseits hemmend, andererseits aber auch fördernd ein. Zwar lehnte die Geistlichkeit alles ab, „was das Leben lebenswert machte“ (S. 39 f.): Die „Schönen Künste“ galten den Calvinisten als Werk des Satans, die den Menschen nur von seinen wahren Zielen ablenkten. So kam es, dass Hume als Jugendlicher wohl „kein einziges Bild gesehen oder ein ... Konzert gehört haben“ dürfte (S. 84); seine klassische humanistische Bildung, also die Kenntnis der antiken Philosophen und Dichter, eignete er sich erst später an. Andererseits war aber das schottische Bildungswesen zeitweise europaweit führend, und dies ebenfalls aus theologischen Gründen: Für die schottischen Calvinisten waren alle Menschen vor Gott gleich, und alle Menschen seien in der Lage, mit Gott direkt, also ohne vermittelnde Instanzen zu sprechen und das „Wort Gottes“ (die Bibel) zu lesen. Diese Grundsätze förderten nicht nur eine egalitäre demokratische Kultur, sondern auch die Alphabetisierung des Volkes: „Jede Pfarre sollte eine Schule, jede Stadt eine Universität unterhalten.“ (S. 40) Das Erziehungswesen förderte also die Unabhängigkeit von Autoritäten – gewissermaßen einen demokratischen Widerspruchsgeist – und eine Breitenbildung, die sich schnell auch wirtschaftlich positiv auswirken sollte.
Aber wenn man Autoritäten ablehnt: Worauf soll man dann sein Weltverständnis und seine Handlungsprinzipien gründen? Es fiel Hume offenbar nicht leicht, hier zu einem im Vergleich zur Tradition grundlegend anderen Standpunkt zu finden: Mehrere Lebenskrisen in den Jahren 1729 bis 1731 zeigen, wie heftig die Geburtswehen seiner neuen Weltsicht gewesen sein müssen. Die von Hume schließlich gefundene Antwort lautet: Gründen wir unsere Aussagen über die Welt auf Erfahrung – und nicht auf erfahrungsarme Spekulation, wie sie bei Theologen und Philosophen (den Rationalisten) blühte. Streminger widmet der Vorgeschichte von Humes erstem Werk, in dem er diese empiristischen Prinzipien und ihre skeptischen Konsequenzen erstmals ausführlich erläuterte (dem „Traktat über die menschliche Natur“), ausführliche Passagen (Kap. 4-5), so dass der Zusammenhang zwischen Humes teilweise revolutionären Thesen und ihren biografischen Voraussetzungen sehr anschaulich wird.
Wenn man jedoch die Erfahrung als Schiedsrichter bei unterschiedlichen Behauptungen über die Welt einsetzt – was wird dann aus Berichten über Wunder oder aus Behauptungen über die Beschaffenheit des „Jenseits“? Bei der Lektüre des Traktats wird schnell klar, dass Hume hier in Konflikt mit kirchlichen Autoritäten geraten musste – was später etwa dazu führte, dass ihm die Berufung auf einen Lehrstuhl an einer der schottischen Universitäten versagt blieb. Auch noch in seinen letzten Lebensjahren wirkte dieser hemmende Einfluss: Sein bedeutendstes religionskritisches Werk, die „Dialoge über natürliche Religion“, sollte nach seinem Willen erst nach seinem Tod erscheinen, um den zu erwartenden Schwierigkeiten, in die auch seine Freunde hätten verwickelt werden können, aus dem Wege zu gehen. Dem folgt auch Stremingers chronologische Darstellung: Die Interpretation von Humes „Dialogen“ erfolgt erst im letzten Kapitel.
Beeindruckend ist, dass Intrigen und Kampagnen Hume nicht zum Misanthropen werden ließen: Er galt bei seinen Freunden als „le bon David“ – als geduldiger, freundlicher, hilfsbereiter und nachsichtiger Mensch. „Von Überzeugung ein Skeptiker, hatte Hume sein Leben wie ein Epikureer genossen, und er starb zur großen Enttäuschung der Zeloten ruhig wie ein Stoiker; und ihm waren ein Humor und eine Menschlichkeit eigen wie nur wenigen Menschen nach und vor ihm.“ (S. 567) Arglos und hilfsbereit wie er war, bot er auch Jean-Jacques Rousseau seine Hilfe an, der Zuflucht vor der Verfolgung durch die französische Kirche suchte. Dieses Hilfsangebot mündete aber in eine der „aufwühlendsten Episoden“ im Leben David Humes: Man trennte sich im Streit und in gegenseitiger Verständnislosigkeit. Diese Episode gehört zweifellos zu den spannendsten und aufschlussreichsten in Humes Biografie; ihre Lektüre sei daher ausdrücklich empfohlen (auch im Vergleich zu Edmonds, D. J. / Eidinow, J. A.: Rousseaus Hund. Zwei Philosophen, ein Streit und das Ende aller Vernunft. München: Deutsche Verlagsanstalt 2008).
Wir können unser gängiges Bild von David Hume noch in einer wichtigen Hinsicht erweitern. Er gehört nämlich nicht nur zu den bedeutendsten Empiristen und Religionskritikern, sondern auch zu den bedeutendsten Gesellschaftstheoretikern. Als Vertreter der schottischen Aufklärung war er auch an der revolutionären Umgestaltung der Wirtschaftsethik und Wirtschaftstheorie beteiligt, wie sie Adam Ferguson und Adam Smith ins Werk setzten. Seine Arbeiten über Freihandel und über die Voraussetzungen von wirtschaftlicher und geistiger Prosperität sind schon deshalb lesenswert, weil sie vor Adam Smiths bahnbrechendem Buch zum „Wohlstand der Nationen“ von 1776 veröffentlicht wurden. Sie besagen: Freihandel und Fleiß sind notwendige Bedingungen der ökonomischen Prosperität, und nicht nur technische, sondern auch soziale und rechtliche Errungenschaften sind notwendige Bedingungen für Modernisierung und Aufklärung. Man sollte auf Humes entsprechende Arbeiten schon deshalb hinweisen, weil heutige Humanisten ihre politisch-ökonomischen Konzeptionen eher in Anlehnung an Marx als an die schottischen Aufklärer formulieren. Gerade sie seien hier auf folgenden Ausspruch des ehemaligen Präsidenten der Columbia-Universität, Nicholas Murray, verwiesen, der im Jahre 1911 äußerte: „Ich wähle meine Worte mit Bedacht, wenn ich sage, dass nach meiner Auffassung die Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung die größte einzelne Entdeckung der Neuzeit ist. Selbst Dampfkraft und Elektrizität sind weit weniger wichtig als die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, und ohne diese Gesellschaftsform wären sie vergleichsweise bedeutungslos.“ (S.M. Bainbridge, Abolishing Veil Piercing, in: Journal of Corporation Law 26, 2001, S. 479) Wer dieses Urteil für überraschend hält, lese Humes Essays über Politik, Wirtschaft und Moral: Er wird dort immer wieder überrascht. Mit Recht räumt Streminger daher Humes entsprechenden Analysen einen breiten Raum ein (Kap. 8 und 16).
Hume starb am 25. August 1776 – in dem Jahr, in dem Adam Smiths „Wohlstand der Nationen“ erstmals erschien. Er war trotz seines vermutlichen Darmkrebsleidens völlig gefasst: Er habe „einige Tage zuvor Lukians Totengespräche gelesen ..., aber keine Entschuldigung finden [können], das Boot nicht zu besteigen, mit dem Charon ihn in die Unterwelt bringen würde: Kein Haus sei fertigzustellen, keine Tochter sei zu versorgen, keine Feinde gebe es, an denen er sich rächen wolle. »Ich habe allen Grund, zufrieden zu sterben.«“ (S. 564) Kurz: Der Lohn des Lebens liegt im Diesseits – in Humes Fall in den Erkenntnissen über Welt, Mensch und Gesellschaft, die er zusammen mit seinen Mitstreitern der schottischen Aufklärung erarbeitet hat.
Obwohl das Wiedererscheinen von Stremingers Hume-Biografie uneingeschränkt zu begrüßen ist, seien doch noch einige vom Verlag zu verantwortende Wermutstropfen erwähnt. Schon bei der ersten Durchsicht stellt man fest: Die Fußnoten sind zu Endnoten geworden. Das erfordert ständiges Blättern: Statt sofort sehen zu können, ob eine Fußnote genauere Informationen liefert oder lediglich dem Nachweis eines Zitates dient, muss man jetzt blättern und suchen. Auch sind die schönen Farbtafeln mit Landschaftsmalereien und Porträts der Ausgabe von 1994 jetzt durchgängig Schwarz-Weiß-Abbildungen gewichen, auch ihre Anzahl wurde verringert. Als Hume-Freund wird man daher weder die eine noch die andere Ausgabe missen wollen – auch wegen der veränderten Anhänge: Die Ausgabe des Schöningh-Verlags enthält zwei neu aufgefundene Briefe und eine Rezension Humes; in der Neuauflage dagegen finden wir statt der Rezension ein Reisetagebuch aus dem Jahre 1748.
Was können wir von Hume lernen? Folgende Punkte möchte ich hier herausstellen:
- Hume erzieht zu „einem nüchternen Blick auf sich selbst und auf die Natur des Menschen“ (S. 100).
- Hume erzieht zur Skepsis – auch gegenüber den quasi-religiösen Hoffnungen, wie sie sich im Gefolge von Rousseau und Marx in der intellektuellen Gemeinschaft verbreiten konnten. Doch auch die Hoffnungen, die wir heutzutage ins Diesseits setzen (also in die uneingeschränkte menschliche Gestaltungsmacht), sollten mit Humescher Nüchternheit und ökonomischer Vernunft seziert werden.
- Hume erzieht zu einem sachlichen Umgang mit religiösen Gegnern. Es ist höchst aufschlussreich, dass und wie er die eifernden antichristlichen Aufklärer französischer Provenienz bei seinen Besuchen in Paris kritisierte. (Vgl. dazu Blom, Philipp: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München, Wien: Hanser 2011.)
- Und vom Historiker Hume können wir lernen, die Tugend der „Unparteilichkeit“ (S. 377 f., 435, 485) zu pflegen. Aus humanistischer Sicht ist es bemerkenswert, dass er sein letztes religionskritisches Werk als Dialog (bzw. Trialog) konzipierte, in dem sich die Gegner nicht als Sparringspartner, sondern als Menschen mit unterschiedlichen Ansichten begegnen.
Wir können also auch heute noch von David Hume lernen. Und wer etwas wirklich Fundiertes über diesen interessanten Denker wissen will, kommt an der herausragenden Biografie von Gerhard Streminger nicht vorbei.
Gerhard Engel
Streminger, Gerhard: David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. Eine Biographie. München: Beck 2011. ISBN 978-3-406-61402-6. 797 S., € 34,00.