Hawking, Gott (?) und der Urknall

Ein Modell der Quantenkosmologie muss auch die großräumige Homogenität und Flachheit des Universums erklären können. Der Physiker und Kosmologe Alan Guth schlug im Jahre 1981 eine „Inflationäre Phase“ der Expansion des Universums vor, die sich hervorragend als Erklärung einiger beobachtbarer Phänomene eignet, so auch der Homogenität und Flachheit des Kosmos. Nach diesem Szenario soll sich in einer Anfangsphase der Expansion der Raum in ca. 10E(-30) Sekunden um ca. einen Faktor 10E30 aufgebläht haben. Dies erfordert eine Geschwindigkeit die sehr viel höher als die Lichtgeschwindigkeit im Raum ist, was der Einstein‘schen Relativitätstheorie aber nicht widerspricht, da die Lichtgeschwindigkeit eine Grenzgeschwindigkeit im Raum, aber nicht die Grenzgeschwindigkeit des Raumes ist. Die Expansionsgeschwindigkeit des Raumes selbst kann mit Überlichtgeschwindigkeit erfolgen.

Hawkings Ansatz

Ein Modell der Quantenkosmologie wird von den meisten Theoretikern so aufgebaut, dass sie die Entwicklung des Universums vom Urknall bis heute berechnen und die Ergebnisse mit den zur Verfügung stehenden Beobachtungen vergleichen. Das Modell ist dann akzeptabel, wenn sie die oben aufgelisteten experimentellen Tatsachen, insbesondere die Struktur der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, richtig wiederspiegelt. Dieser Ansatz ist eine Beschreibung der Entwicklung des Universums von Unten nach Oben (Bottom-Up).

Stephen Hawking geht den umgekehrten Weg und versucht, die Geschichte des Universums, ausgehend von der Randbedingung des jetzt beobachteten Zustands, in die Vergangenheit zurück zu rechnen (Top-Down). Er bedient sich dabei einer mathematischen Methode, die der Physik Nobelpreisträger Richard Feynman zur Beschreibung quantenphysikalischer Systeme entwickelt hat: der Pfadintegral-Methode. Da der Ursprung des Universums ein Quantenereignis war, sollte es auch möglich sein, das Universum als Ganzes wie ein Quantensystem zu behandeln. In der klassischen Alltagsphysik ist der kürzeste Weg, den ein Teilchen zwischen zwei Punkten A und B zurücklegen kann, eine Gerade. In der Quantenphysik ist der Weg des Teilchens zwischen den Punkten A und B unbestimmt. Im bekannten Doppelspalt-Experiment kann ein einzelnes Teilchen auf Grund seiner Wellennatur gleichzeitig durch beide Spalte gehen und mit sich selbst interferieren. Die Pfadintegral-Methode beschreibt dies so, dass dem Teilchen über die quantenmechanische Wellenfunktion alle Wege von A nach B offen stehen, also auch von A zum Mond und vom Mond zu B. Die meisten Wege werden sich auf Grund der Wellennatur weginterferieren und nur die wahrscheinlichsten Wege bleiben übrig. Im klassischen Grenzfall wird dies wieder eine einzige Gerade zwischen den Punkten A und B sein. Hawking wendet diese Pfadintegral-Methode auf die Entwicklung des gesamten Universums an, wobei der Punkt A ein „randloser“ Anfang und Punkt B der derzeitig beobachtbare Zustand des Universums ist. Bestandteil dieses Ansatzes ist also eine „Keine-Rand-Bedingung“ zur Vermeidung der Urknall-Singularität. Eine weitere Eigenschaft der Pfadintegral-Methode besteht darin, dass der Parameter der Zeit als imaginäre Zahl (iE2 = -1) in die Berechnungen eingeht.

Als Ergebnis erhält man viele Geschichten über die Entwicklung des Universums (Viele-Historien-Interpretation), die sich in ihrer Wahrscheinlichkeit unterscheiden. Der Erfolg dieser Methode hängt natürlich davon ab, ob die wahrscheinlichste Geschichte mit den beobachteten Daten übereinstimmt und Voraussagen macht, die in kommenden Experimenten Bestätigung finden.

Hawkings Ansatz einer Quantenkosmologie kommt also ohne eine Urknall-Singularität aus und damit ohne einen ominösen Schöpfungsakt, wie er von der Theologie geglaubt wird. Das Universum kann nach Hawking also „aus dem Nichts entstehen“, wobei unter dem „Nichts“ nicht nichts zu verstehen ist, sondern das Quantenvakuum.

Dem Vortrag folgte eine sehr engagierte Diskussion über den vorgetragenen Themenkomplex.

Eine ausführliche Darstellung dieses Themenkomplexes findet man in:
- Rüdiger Vaas: Hawkings neues Universum, Piper 2011
- Stephen Hawking, Leonard Mlodinow: Der große Entwurf, Rowohlt 2010

Der Abend fand danach in einem Heidelberger Restaurant bei Bier und Wein einen gemütlichen Ausklang.