Online-Veranstaltung zur Bundestagswahl

Noch viel Säkularisierungspotential bei Armin Laschet und Lamya Kaddor

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Von oben links nach unten rechts: Armin Laschet, Lamya Kaddor, Karl Jüsten, Renardo Schlegelmilch, Frank Schwabe.
Die Diskutanten und der Moderator

In knapp zwei Wochen ist Bundestagswahl. Anlässlich dessen veranstaltete missio Aachen in Kooperation mit domradio.de ein Online-Podium mit dem Titel "Wie hältst du es mit der Religion?" Mit dabei: Lamya Kaddor, religionspolitische Sprecherin der Grünen, Armin Laschet, CDU-Abgeordneter und ehemaliger Ministerpräsident wie auch früherer Kanzlerkandidat, und der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD). Außerdem mit dabei: der Kirchen-Lobbyist Karl Jüsten, langjähriger Leiter des Katholischen Büros in Berlin.

Frank Schwabe hat in seiner Amtsperiode sein Amt umbenannt: Vom "Religionsfreiheitsbeauftragten" zum "Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit". Die CDU könnte möglicherweise die Zahl der Bundesbeauftragten reduzieren, was auch Schwabes Amt betreffen könnte. Dieser hatte zuletzt auch Konfessionsfreie und Humanisten zu einem Gespräch eingeladen und die säkulare Perspektive in eine ministerielle Veröffentlichung integriert.

Die Rolle der Religion in der Außenpolitik

Dann kam Armin Laschet zu Wort, der im Gegensatz zu Schwabe noch nicht in der Lage scheint, Religion aus säkularer Perspektive zu begreifen. Er verstieg sich zu der Aussage: "Dass überhaupt irgendjemand glaubt, Entwicklungen in der Welt seien ohne Religion denkbar, scheint der Zustand unserer Administrationen und Ministerien gewesen zu sein." Und weiter behauptete er: "Alle Umbrüche, die wir kennen, (…) wären ohne Religion und aktive Menschen nicht denkbar gewesen. (…) Und deshalb ist entscheidend, nicht ob es den Beauftragten gibt (…), [sondern] erkennt eine Außenministerin, erkennt eine Entwicklungsministerin, dass sie nichts in der Welt bewegt, wenn sie Religion nicht versteht." Auch Klimaschutz sei nach Ansicht Laschets nur mit religiösen Akteuren zum Erfolg zu bringen.

Lamya Kaddor kann sich, danach gefragt, prinzipiell vorstellen, das Amt der "Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit" zu übernehmen; sie plädiert dafür, die kritische bis skeptische, distanzierte Haltung zur Religion in Deutschland zu reflektieren, da letztere ein wertvoller Schlüssel in der Außenpolitik sei. Religion sei ein Bindemittel, ein religiöser Muslim bringe dem religiösen Christen vielleicht größeres Vertrauen entgegen als Menschen, die völlig atheistisch geprägt seien und das auch deutlich sagten. Fragen von Religion sollten ihrer Meinung nach auch anderswo mitgedacht werden, etwa im Verteidigungsministerium, man müsse hier die strukturelle Frage stellen. Die Debatte um den Annalena Baerbock durch den aktuellen syrischen Machthaber verweigerten Handschlag nannte Kaddor "albern": "Wir sollten da nicht zu dogmatisch werden". Es gebe insgesamt zu wenig Sensibilität für den Islam und für Religion allgemein.

Dieser Meinung schien auch Armin Laschet zu sein, der sich darüber echauffierte, dass man während der Corona-Lockdowns Kirchen in einer Beschlussvorlage gemeinsam mit Kneipen und Bordellen aufgelistet habe. Insgesamt werde das Thema Religionsfreiheit in der Politik eher vergessen, denn "alle Parteien, selbst meine ist säkularer als noch vor 20 Jahren". In das "Klagelied" eines schwindenden Einflusses der Kirchen in Deutschland und der EU wollte der katholische Chef-Lobbyist Jüsten aber nicht einstimmen: Man werde fraktionsübergreifend gehört. "Dann mache ich die Erfahrung als Demokrat, dass man sich nicht immer durchsetzt, das ist normal."

Laut dem moderierenden Domradio-Chefredakteur Renardo Schlegelmilch gab es vor der Ampel-Lagislatur im Auswärtigen Amt eine Abteilung Religion und Außenpolitik. Diese hätten religiöse Akteure verständlicherweise in einer neuen Regierung gern zurück. Eine Referentin aus der Auslandsabteilung von missio, seines Zeichens internationales katholisches
Missionswerk, warb denn auch dafür, religiöse Fragestellungen in der Politik nicht zu vernachlässigen, das "wäre (…) das falsche Signal", denn Religion sei Stabilitätsfaktor und Brückenbauer in Friedensprozessen. Sie forderte mehr religiöse Kompetenz in der Außenpolitik, damit diese stärker auf religiöse Dimensionen von Konflikten eingehen könne. Viele dieser Punkte hatten die beiden Politiker vorab bereits selbst gefordert, wodurch sich einmal mehr eine noch immer vorherrschende Nähe der Politik zu den Anliegen religiöser Interessenvertreter zeigte.

Frank Schwabe ergänzte hier eine säkularere Perspektive: "Es geht ja gar nicht darum, ob ich selber religiös bin, (…) das kann ja jeder halten wie er will, aber man muss verstehen, dass (…) die allermeisten Konflikte in der Welt irgendwie auch religiös konnotiert sind". Immerhin sprach sich Lamya Kaddor auch dafür aus, Religionswechsel und negative Religionsfreiheit "auch nochmal stärker ins Auge zu fassen".

Religion und Populismus

Anschließend ging es um das Thema Religion und Populismus. Eine missio-Referentin für Menschenrechte und Religionsfreiheit stellte Thesen vor, wonach die extrem Rechte versuche, den Themenkomplex Religionsfreiheit für sich zu vereinnahmen und sich als einzige aufrichtige Verteidiger der Religionsfreiheit zu präsentieren. Zweitens würden extrem Rechte Religionsfreiheit umdeuten und Privilegien für die eigene Religionsgruppe, gleichzeitig aber Einschränkungen für andere einfordern. Durch die populistische Vereinnahmung werde erschwert, konstruktiv über tatsächliche Probleme zu reden, gleichzeitig werde religiöser Extremismus gestärkt.

Karl Jüsten räumte ein, dass die AfD sich als Sprachrohr der religiösen Rechten empfinde, auch wenn es hierzulande keine Verbrüderung zwischen entsprechenden Kräften in Religion und Politik gebe wie in den USA oder in Frankreich. Wo es das ebenfalls gibt, ist im Nahen Osten. Lamya Kaddor meinte jedoch, der Hamas-Angriff auf israelische Zivilisten am 7. Oktober sei primär ein Territorialkonflikt gewesen, nur sekundär oder tertiär islamistisch bedingt. Frank Schwabe plädierte dafür, das Feld nicht den religiösen Hardlinern zu überlassen, deshalb sei sein Amt auch Mitglied in einer evangelikalen Organisation geworden, die sich gegen Christenverfolgung einsetzt, um sich dort die weniger extremen als Verbündete aus anderen Staaten zu suchen.

"Wir merken, das Thema Religion ist hochrelevant", behauptete der Domradio-Moderator zum Schluss (diese Einschätzung deckt sich nicht unbedingt mit den Analysen aktueller Wahlprogramme von säkularer Seite), "und wir sind sehr gespannt, wie sich denn die neue Bundesregierung bei diesem Thema aufstellen wird."

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