Rothwangl lässt sich von dieser Kritik nicht beirren. Seiner Interpretation nach dienen die Wallfahrten kommerziellen Zwecken und sind als geführte Wandergruppen Veranstaltungen, die er nicht dulden muss. In dem Fall müssen sie vorher angemeldet werden, das Wegerecht gilt nur eingeschränkt. Angesichts der Tatsache, dass jährlich 1,5 Millionen Menschen in die steirische Kleinstadt an der Grenze zu Niederösterreich kommen, nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Region lebt in erheblichem Maß vom Tourismus. Und der stützt sich auf die Standbeine Wintersport und Basilika. Um die Wallfahrtskirche herum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Lebkuchen- und Heillikörindustrie etabliert, Internetbestellungen inklusive. Die Stadt Mariazell hat eigenen Angaben zufolge etwa 1.200 Gästebetten – bei etwa 1.500 Einwohnern.
Mittlerweile berichten fast alle größeren Nachrichtenportale und Tageszeitungen über die Causa. Inklusive der „Presse“, die der Diözese Graz-Seckau gehört, in der Mariazell und Rothwangls Waldstück liegen. Einzig die Kronenzeitung schweigt sich – bisher – aus.
Wenig überraschend reagiert die Diözese etwas säuerlich. „Diese Art von Generalverdacht und -verurteilung ist weder rechtlich noch moralisch haltbar und strikt zurückzuweisen. Wir vermuten billigen Aktionismus auf Kosten einer seriösen Auseinandersetzung mit der schwierigen, komplexen Thematik sexuellen Missbrauchs“, wird Georg Plank, Sprecher von Bischof Egon Kapellari in Medien zitiert. Kirchlicherseits hat man umgehend auf das Medienecho auf die Aktion Rothwangls reagiert und versucht offenbar zu beweisen, dass man selbst das Thema seriöser aufarbeitet. Auf der Startseite der Diözese findet man prominent platziert die Geschichte „Neues Vatikan-Dokument zum Thema Missbrauch“. Wie neu, zeigt die Einleitung: „Bereits im Vorjahr hatte die Österreichische Bischofskonferenz landesweite kirchliche Regelungen veröffentlicht.“ Aktualisiert am Montag um 14:46. Zu diesem Zeitpunkt dürften die ersten Anfragen der Standard-Redaktion in der Diözese eingetroffen sein.
Für Sepp Rothwangl sind die Vorwürfe der Diözese lachhaft. Billiger Aktionismus sei höchstens die kircheneigene Klasnic-Kommission, die den Missbrauchsskandal in Österreich untersucht oder um einiges „teurer“ die jüngste Seligsprechung im Vatikan. Eine staatliche Aufarbeitung gibt es bisher nicht. Einer der ersten Begriffe, die Rothwangl zu dem Gremium einfallen ist Täterschutzkommission. Gefolgt von Schweigegeld.
Offen ist, wann das teilweise Betretungsverbot erstmals exekutiert wird. Rothwangl kündigt Videoüberwachungen an. Sollte er Geistliche mit Jugendlichen ohne Begleitung erwischen, werde er Anzeige erstatten. Notfalls werde er auch Securities einsetzen.
Christoph Baumgarten