MARIAZELL. (hpd) Die erste Kinderschutzzone Österreichs ist eröffnet. Sie gilt an einem Pilgerweg auf dem Weg zur Wallfahrtskirche Mariazell. Der Waldbauer Sepp Rothwangl lässt dort seit Montag keine Geistlichen mehr durch, wenn sich Kinder und Jugendliche ohne Erziehungsberechtigte in ihrer Gruppe befinden. Die Medien stürzen sich auf das Ereignis.
„T’schuldigung, ich werde gerade von Kamerateams und Reportern belagert. Kann ich später zurückrufen?“ Sepp Rothwangl ist am Dienstag ein gefragter Mann. Sein Waldstück liegt an einem Pilgerweg nach Mariazell, dessen Basilika die katholische Kirche als österreichisches Nationalheiligtum inszeniert. Tausende Pilger wandern jährlich durch sein 120 Hektar großes Gelände. An sich kein Problem für Rothwangl. Wenn da nicht die Sache mit der sexuellen Gewalt an Kindern wäre. Und vor allem die systematische Vertuschung, die Rothwangl bis heute in der katholischen Kirche ortet.
Der Mann weiß, wovon er spricht. Ihm selbst wurde als Kind sexuelle Gewalt in einem kirchlichen Internat angetan und er hat miterlebt wie er als 12-jähriger gemaßregelt, mit Redeverbot belegt und der Vorfall vertuscht wurde. Vor 15 Jahren, als der Fall Groer öffentlich wurde, hatte er nach eigenen Angaben noch nicht den Mut, sein Trauma anzusprechen. „Da hab ich gesehen, wie die Kirche verleumdete und Existenzen vernichtete.“ Als Sprecher der Plattform "Betroffene kirchlicher Gewalt" hat er unzählige ähnliche Geschichten hören müssen. Unter anderem auch Übergriffe auf Wallfahrten. „Mir sind einige Fälle massiven Missbrauchs gerade auf solchen Pilgerfahrten bekanntgeworden“, schildert Rothwangl. Mit der Aufarbeitung sei es nicht weit her, erzählt der Forstwirt, der auch das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien mitinitierte. Die Rechte, die der Staat der Kirche im Konkordat einräumt und wie Politik und Justiz ihre Verantwortung an die Klasnic-Kommission abwälzt sind für ihn demokratieschädlich.
Am Montag hat es ihm gereicht. Wo die Wallfahrtswege in sein Waldstück münden, hat er Tafeln mit der unmissverständlichen Aufschrift aufgestellt: „Kinderschutzgebiet. Das Betreten dieses Grundstücks ist Priestern, Ordenspersonal oder anderem Kirchenpersonal gemeinsam mit unbeaufsichtigten Kindern ohne Beisein von deren Eltern, Vormunden oder Bevollmächtigten verboten. Zuwiderhandlungen werden ausnahmslos angezeigt“. Ein Zeichen gegen die Vertuschung, wie er sagt und weil Kleriker nachweislich gegen Täter in ihren eigenen Reihen nicht vorgehen. Und der Versuch, wenigstens dort Kinder vor Übergriffen zu schützen, wo er Einfluss hat. Rothwangl handelt mit Zivilcourage aus seiner Erfahrung und aus der Verantwortung, die er als Überlebender seiner Misshandlungen den Kindern und der zukünftigen Gesellschaft gegenüber hat.
Mittlerweile scheint eine rechtliche Diskussion zu toben, ob Rothwangl das überhaupt darf. Die Pilgerwege, die über sein Grundstück führen, sind je nach Richtung, aus der sie auf Grundstück kommen, 2 bis 4 km lang. Nach Mariazell wird seit Jahrhunderten gepilgert. Dass Wallfahrtsgruppen hier durch marschieren, ist ein Gewohnheitsrecht, sagt ein Vertreter der steirischen Landesregierung gegenüber der Tageszeitung „Der Standard.“ Und grundsätzlich stünden Österreichs Waldstücke „jedermann zu Erholungszwecken“ offen. Bleibt die Frage, wessen Erholung es dient, wenn Priester oder Mönche mit Jugendlichen ohne Erziehungsberechtigte durch Wälder marschieren.
Rothwangl lässt sich von dieser Kritik nicht beirren. Seiner Interpretation nach dienen die Wallfahrten kommerziellen Zwecken und sind als geführte Wandergruppen Veranstaltungen, die er nicht dulden muss. In dem Fall müssen sie vorher angemeldet werden, das Wegerecht gilt nur eingeschränkt. Angesichts der Tatsache, dass jährlich 1,5 Millionen Menschen in die steirische Kleinstadt an der Grenze zu Niederösterreich kommen, nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Region lebt in erheblichem Maß vom Tourismus. Und der stützt sich auf die Standbeine Wintersport und Basilika. Um die Wallfahrtskirche herum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Lebkuchen- und Heillikörindustrie etabliert, Internetbestellungen inklusive. Die Stadt Mariazell hat eigenen Angaben zufolge etwa 1.200 Gästebetten – bei etwa 1.500 Einwohnern.
Mittlerweile berichten fast alle größeren Nachrichtenportale und Tageszeitungen über die Causa. Inklusive der „Presse“, die der Diözese Graz-Seckau gehört, in der Mariazell und Rothwangls Waldstück liegen. Einzig die Kronenzeitung schweigt sich – bisher – aus.
Wenig überraschend reagiert die Diözese etwas säuerlich. „Diese Art von Generalverdacht und -verurteilung ist weder rechtlich noch moralisch haltbar und strikt zurückzuweisen. Wir vermuten billigen Aktionismus auf Kosten einer seriösen Auseinandersetzung mit der schwierigen, komplexen Thematik sexuellen Missbrauchs“, wird Georg Plank, Sprecher von Bischof Egon Kapellari in Medien zitiert. Kirchlicherseits hat man umgehend auf das Medienecho auf die Aktion Rothwangls reagiert und versucht offenbar zu beweisen, dass man selbst das Thema seriöser aufarbeitet. Auf der Startseite der Diözese findet man prominent platziert die Geschichte „Neues Vatikan-Dokument zum Thema Missbrauch“. Wie neu, zeigt die Einleitung: „Bereits im Vorjahr hatte die Österreichische Bischofskonferenz landesweite kirchliche Regelungen veröffentlicht.“ Aktualisiert am Montag um 14:46. Zu diesem Zeitpunkt dürften die ersten Anfragen der Standard-Redaktion in der Diözese eingetroffen sein.
Für Sepp Rothwangl sind die Vorwürfe der Diözese lachhaft. Billiger Aktionismus sei höchstens die kircheneigene Klasnic-Kommission, die den Missbrauchsskandal in Österreich untersucht oder um einiges „teurer“ die jüngste Seligsprechung im Vatikan. Eine staatliche Aufarbeitung gibt es bisher nicht. Einer der ersten Begriffe, die Rothwangl zu dem Gremium einfallen ist Täterschutzkommission. Gefolgt von Schweigegeld.
Offen ist, wann das teilweise Betretungsverbot erstmals exekutiert wird. Rothwangl kündigt Videoüberwachungen an. Sollte er Geistliche mit Jugendlichen ohne Begleitung erwischen, werde er Anzeige erstatten. Notfalls werde er auch Securities einsetzen.
Christoph Baumgarten