Interview zur Aktionsgruppe #ichbinhier

Eine humanistische Bewegung gegen Hetze

Seit Dezember tauchen unter Hasskommentaren auf Facebook vermehrt Kommentare auf, die neugierig Fragen stellen oder freundlich um einen sachlicheren Ton bitten. Dahinter steckt die Initiative #ichbinhier, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Hetze auf Facebook nicht unwidersprochen hinnehmen. Ein Interview mit der Koordinatorin Cornelia Heyken.

Frau Heyken, was genau ist #ichbinhier?

Cornelia Heyken: #ichbinhier ist eine überparteiliche Aktionsgruppe, die für eine bessere Diskussions- und Debattenkultur und gegen Hetze in den Sozialen Medien agiert.

Wie kam es zu dem Namen?

#ichbinhier ist das Pendant zum schwedischen Ableger #jagärhär, gegründet von Mina und Magnus Dennert. Die deutsche Gruppe wurde von Judith Marthaler und Hannes Ley ins Leben gerufen, die beide von der Idee der Schweden begeistert waren.

Das #ichbinhier macht kenntlich, dass auch ich hier bin und Hetze und Hass nicht unwidersprochen stehen lasse. Darüber hinaus steht der Hashtag in den Aktionen für die überparteiliche Haltung, die respektvolle Tonalität und das Ziel der Gruppe - quasi ein Markenzeichen.

Wie ist die Bewegung organisiert?

Wir sind ein loser Verbund von Menschen, die sich mehr oder weniger gefunden haben. Hannes ist der Gründer und Administrator, aus seinem Bekanntenkreis hatte er 1-2 Personen ins Moderatorinnenteam "mitgebracht", die auch bei Facebook aktiv sind.

Die Gruppe gibt es seit Dezember 2016. Anfangs bestand sie aus einer Hand voll Moderatorinnen, doch inzwischen ist die Gruppe stetig angewachsen und inzwischen hat #ichbinhier 22.754 Mitglieder, etwa 3.000 Menschen haben ihre Aufnahme bereits beantragt. Insgesamt 35 Moderatorinnen koordinieren und betreuen das Ganze.

Fest angestellt ist niemand, bei uns sind alle freiwillig neben Arbeit, Familie, Hobbys und so weiter aktiv.

Sie sind also ausschließlich auf Facebook?

Ja, genau.

Wie genau funktioniert das?

Wir schalten je nach Bedarf 2-4 Aktionen in der Gruppe. Diese enthalten einen oder mehrere Links zu Artikeln oder Beiträgen auf den großen Medienseiten, unter denen Hass und Hetze dominieren. Auf diese werden wir einerseits durch unsere Mitglieder aufmerksam gemacht, andererseits behält ein Monitoringteam der Moderatorinnen die Facebook-Seiten der großen Medien im Auge.

Parallel zu den Aktionen haben wir das so genannte Lagerfeuer. Dieser Thread wird morgens gestartet und läuft bis abends 24 Uhr durch. Dort können die Nutzerinnen selbst aktiv werden, Links posten oder sich Hilfe holen, wenn sie irgendwo allein auf weiter Flur gegen Haterinnen anschreiben.

Sie schauen sich also mit Ihren Mitgliedern um, wo bei Facebook Hass und Hetze unter Beiträgen dominieren. Und was passiert dann?

Ja genau, wir Monitoren selbst und nehmen Vorschläge von Mitgliedern entgegen. Aus all dem wählen wir aus, wo mindestens 50 Prozent Hass und Hetze in den Kommentarspalten sind. Dann schreiben wir einen solchen Aufruf in der Gruppe.

Screenshot Facebook

In diesem Fall handelte es sich um eine Sammelaktion, weil mehrere Medien zum gleichen Thema berichtet haben. Es gibt aber auch Aktionen, da posten wir nur einen Link.

Muss ich mir das also wie eine Art Tugend- und Moraltroll vorstellen?

Nein, den Begriff Troll möchte ich in dem Zusammenhang nicht verwenden.

Aber die Funktionalität ist doch die gleiche. Die Aktiven von #ichbinhier fluten die Kommentarspalten mit anderen Positionen. Oder verstehe ich da etwas falsch?

Nein, das Prinzip ist schon so richtig, der Begriff "Troll" ist mir aber zu negativ besetzt, wie auch das Wort "fluten". Sprache macht ja etwas mit uns. Deshalb würde ich sagen, wir kommentieren unter den Beiträgen gemeinsam und plädieren dort für freundlichere und respektvollere Debatten und Diskussionen. Das ist der erste Schritt. Unser erstes Anliegen besteht darin, eine Basis, ein freundliches Klima zu schaffen. Das bedeutet erst einmal nicht, Meinungen, Positionen und Argumente zu posten oder andere überzeugen zu wollen – mal ganz davon abgesehen, dass das bei Haterinnen ohnehin nicht funktioniert –, sondern nur, ein Klima des respektvollen Austauschs zu schaffen.

Wie transparent oder offen agieren die Aktiven dabei? Hinterlassen die Unterstützer beispielsweise den Hashtag #ichbinhier im Kommentar?

Das ist unterschiedlich. In der Regel ja. Die Mehrheit setzt den #ichbinhier an den Anfang oder ans Ende des eigenen Kommentars. Der Hashtag ist aber keine Pflicht. Aber wer ihn nutzt, muss sich an unsere Gruppenregeln halten. Denn es ist natürlich wenig zielführend, einen respektvollen Umgang zu fordern und dabei abwertende Kommentare einzusetzen.

Ist das die Gruppenregel, keine abwertenden Kommentare verwenden? Was, wenn das doch passiert, etwa weil eine Debatte eskaliert?

Wir haben nur eine Gruppenregel: Wir bekennen uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik sowie zur UN-Deklaration der Menschenrechte. Das ist unsere Basis.

Wir legen also Wert darauf, dass Mitglieder keinen Hass, keine Hetze, keine Vorurteile oder abfällige Kommentare verbreiten. Klar kann es passieren, dass die Emotionen mit jemandem durchgehen, wir sind alle Menschen. Das sollte aber nicht öfter vorkommen und nicht die Regel sein.

Sollten wir so etwas bemerken, dann würden wir denjenigen oder diejenige erst einmal mit einer persönlichen Nachricht anschreiben und nachfragen, was da los war.

Screenshot Facebook

Worin besteht Ihrer Erfahrung nach die beste Strategie, um eskalierende Debatten aufzufangen?

Es muss gelingen, ein gutes Klima zu schaffen, frei von moralischen oder herablassend geschriebenen Kommentaren. Wir wollen die stillen Mitleserinnen animieren und sie ermutigen, mitzudiskutieren. Es geht uns um empowerment.

In einem Raum, in dem man sich wohl fühlt, lässt es sich besser und respektvoller diskutieren und vor allem auch debattieren. Wenn quasi die Haterinnen und Hetzerinnen, die meist kein Interesse an einer faktenbasierten Diskussion haben, nicht mehr dominieren, kann man in einen Austausch gehen, der ganz unterschiedliche Ansichten und Meinungen enthält und auch aushält.

Reagieren Sie auch auf die Verbreitung von Fake-News? Das dürfte in der freundlichen und empathischen Weise schwierig sein.

Wir reagieren nicht gezielt auf die Verbreitung von Fake News, jedoch versuchen wir natürlich darauf einzugehen. Ich denke da können sich unsere Mitglieder ganz gut selbst einschätzen, ob sie sich dem gewachsen fühlen. Für solche Fälle gibt es auch die Gruppe, um sich zu informieren und um bei anderen nachzufragen.

Wir stellen auch Links und Material sowie Argumentationshilfen bereit. So können sich unsere Mitglieder Hilfe holen, wenn sie unsicher sind, Ihnen Argumentationsgrundlagen oder Wissen fehlen.

Man muss aber auch ganz klar differenzieren und mit dem Begriff "Fake News" sehr vorsichtig umgehen. Es wird derzeit der Anschein erweckt, als wäre das ein ganz neues Phänomen. Alle werden hysterisch. Aber eigentlich gibt es "Fake News" schon lange. Bereits in den 1980ern verbreiteten sich diese.

Der Begriff in den USA meint ja vor allem Websites, die aus Propaganda-Zwecken oder aus rein finanziellen Interessen Falschmeldungen zu politischen Themen verbreiten. Das ist bei einer Privatperson eher nicht der Fall.

Ich denke man sollte bei einem Kommentar, der nach Falschmeldung aussieht, erst einmal entschlüsseln, welche Methode und Intention eigentlich dahinter steht. Darauf kann man viel besser eingehen und diese entlarven. Freundlich kann man da trotzdem bleiben, man muss aber neutrale Worte verwenden.

Cornelia Heyken, Foto: © Anna Gold
Cornelia Heyken, Foto: © Anna Gold

Wie verhindert man bei all dem Goodwill, eine moralinsaure Bewegung der erhobenen Zeigefinger zu werden? Wie geht man da vor? Mit Fakten zu agieren scheint im Zeitalter des Postfaktischen fast unmöglich zu sein.

Deswegen wollen wir erst einmal nur eine Basis des Austauschs schaffen, ganz niederschwellig. Wir wollen es schaffen, dass die ersten zehn Kommentare einfach nett und freundlich sind. Dann erst wäre es an der Zeit, in einem zweiten Schritt Fragen zu stellen, ohne gleich Fakten oder Gegenargumente vorzutragen. Fragen wie "Wie kommen Sie darauf?", "Warum haben Sie solche Angst?" oder "Haben Sie schlecht Erfahrungen gemacht?" Es geht darum, die Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und einfach nach den Beweggründen der Menschen zu fragen. Andere Kommentare bloßstellen ist eher kontraproduktiv.

Nach welchem Muster reagieren die Aktiven? Sie können als offene Bewegung ja unmöglich auf alle Hetze auf Facebook reagieren?

Wir fokussieren uns momentan auf die Seiten der großen Medien, gelegentlich agieren wir aber auch bei den kleineren lokalen Medien. Auf Seiten von Einzelpersonen oder Parteien reagieren wir nicht.

Was halten Sie von den Filterplänen, die Facebook angekündigt hat, um auf den Vorwurf der Untätigkeit bei Hasspostings zu reagieren? Können Filter eine sinnvolle Lösung sein?

Das kann ich so genau nicht sagen. Wenn es um wirklich extreme Begriffe geht, die ganz eindeutig nur eine abwertende oder hetzende Deutung zulassen oder gegen geltendes Recht verstoßen, dann bilden sie sicherlich eine mögliche Reaktion.

Hat #ichbinhier auch eine politische Agenda? Oder strebt die Bewegung eine Kooperation mit Facebook an?

Nein, beides nicht. Aber Facebook hat den Initiator der Aktion auf eine Konferenz zum Thema Hate Speech nach Dublin eingeladen.

Welche Rolle spielen Sprache und Empathie bei dem, was #ichbinhier macht?

Eine sehr große Rolle. Sprache macht ja was mit uns. Wir denken in der Sprache und die Deutungsrahmen – wir sprechen hier von Frames beziehungsweise Framing – bestimmen unser Fühlen, Werten und auch Handeln. Das heißt, wenn Hass und Hetze dominieren, dann scheint es irgendwann so, als sei diese Meinung normal und die vorherrschende Position. Deren ständige Wiederholung macht außerdem Angst.

Wenn die Einen am lautesten Schreien, heißt das aber nicht, dass die Anderen mit einer empathischen und freundlicheren Meinung nicht vielleicht doch in der Mehrheit sind. Deshalb ist es wichtig, eine konstruktive Sprache, freundliche Worte und positiv besetzte Begriffe zu verwenden. Und natürlich geht es auch darum, Empathie gegenüber Menschen zu zeigen, die vielleicht Angst haben oder irgendwie verdrehte Tatsachen weiter verbreiten.

Der US-Psychologe Paul Bloom hat kürzlich erklärt, dass Empathie eine schlechte Richtschnur für moralische Entscheidungen ist, weil man sich dann nur in seiner eigenen Werteblase bewege. Empathie bestätige die Dichotomie von Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Wie stellt #ichbinhier sicher, dass sich um die Bewegung nicht selbst eine Blase bildet und man so den Kontakt zu den gesellschaftlichen Debatten verliert?

Das kann man nicht sicherstellen oder garantieren. Wir versuchen immer, uns selbst zu reflektieren, andere Meinungen zuzulassen und weisen darauf hin, dass wir vielfältig aufgestellt sind.

So interessant Blooms Ansicht ist, so wenig verstehe ich, warum es nur schwarz und weiß gibt, wenn man empathisch auf seine Mitmenschen reagiert. Ich kann doch mitfühlend und offen auf andere reagieren und trotzdem viele Facetten einer Meinung oder eines Themas zulassen.

Dennoch hat alles seine Grenzen. Bringen Sie in Fällen von extremer Hetze auch Personen zur Anzeige?

Ja, wir melden das bei Facebook.

Screenshot Facebook

Was kann der einzelne tun, der Hass und Hetze auf Facebook registriert? Was raten Sie Menschen, die sich hilfesuchend an Sie wenden?

Man sollte Hass und Hetze konsequent bei Facebook melden. Man klickt dafür einfach auf das kleine Dreieck oben rechts am Kommentar, dann "Kommentar verbergen" und schließlich "melden". Mehr muss man nicht tun.

Werden Menschen, die bei #ichbinhier mitmachen möchten, einer Art Charaktertest unterzogen?

Nein, wir achten nur darauf, dass keine rassistischen, populistischen, sexistischen Inhalte auf dem Profil sind.

Frau Heyken, vielen Dank für das Gespräch.