Suizidhilfe im Senioren- und Pflegeheim

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Es ist ein heikles Thema: Wie verhalten sich Betreiber von Senioreneinrichtungen und Pflegeheimen gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern, die nicht mehr leben möchten? Und in ihrem Zimmer in der Einrichtung die Hilfe eines Arztes oder einer anderen Person in Anspruch nehmen wollen, die ihnen das dafür erforderliche Medikament beschafft?

Die Rechtslage bei der Suizidhilfe ist eigentlich klar, aber nach langem juristischen Hin und Her für viele Menschen verwirrend. Grundsätzlich gilt: Suizid ist nicht strafbar. Und ohne eine strafbare Handlung ist auch die Hilfeleistung dazu nicht mit Strafe bedroht. Allerdings hatte der Bundestag 2015 ein hoch umstrittenes Gesetz beschlossen, das die "geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid" unter Strafe stellte. Ein Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht aber 2020 für verfassungswidrig erklärte. Der Bundestag konnte sich danach nicht auf eine Neuregelung einigen. Es gilt daher: Jeder hat das Recht, selbstständig über sein Leben und seinen Tod zu entscheiden, auch durch Suizid. Und: Helfer machen sich nicht strafbar. Voraussetzung ist, dass der Sterbewillige einwilligungsfähig (und nicht etwa dement) ist.

Sterbehilfevereine bieten Suizidhilfe mit Medikamenten an. Was aber, wenn jemand gar keine eigene Wohnung mehr hat, in der er diese Hilfe in Anspruch nehmen könnte? In manchen Fällen mag es möglich sein, den Wunsch in der Wohnung eines Angehörigen in die Tat umzusetzen. So wie in dem Fall von Therese L., über den die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in ihrem demnächst beim Kohlhammer Verlag erscheinenden "Weißbuch Freitodbegleitung 2022" (ISBN 978-3-17-044391-4) berichtet:

Therese L. ist "lebenssatt", wie sie sagt. Durch ihre Blindheit sei ihr jegliche Beschäftigungsmöglichkeit genommen. Insbesondere vermisse sie das Lesen. Nicht einmal mehr fernsehen könne sie. Hinzu trete auch das Gefühl der Vereinsamung. Der Tod ihres Mannes und der ihres jüngeren Sohnes haben die 95-Jährige schwer getroffen. Sie sagt, sie fühle sich "übrig geblieben". Daran ändere auch die liebevolle Zuwendung ihres älteren Sohnes, der Enkel und Urenkel nichts. 2019 musste sie das ehemals gemeinsame Haus aufgeben und sich in stationäre Pflege begeben. Zwar ist Therese L. noch sehr beweglich, gut zu Fuß und kann sich selbst duschen, doch ist sie das Herumtasten und ständige Anstoßen leid. Im Pflegeheim sind viele Mitbewohner dement, so dass eine Unterhaltung mit ihnen kaum möglich ist. Durch ihre Blindheit ist Therese L. aber besonders auf Gespräche mit ihren Mitmenschen angewiesen. Der häufige Wechsel der Pflegekräfte bringe es mit sich, dass diese nicht um ihre Blindheit wüssten. Auf ihre Frage, wo etwas sei, antworteten sie ungeduldig: "Da steht es doch!", ohne sich klarzumachen, dass sie nichts sieht. Aufgrund ihrer Blindheit isst sie auch allein auf ihrem Zimmer. Therese L. fühlt sich nicht wohl in dem Heim, das sie den "Wartesaal zum Tod" nennt. Sie will sterben. Der ältere Sohn und dessen Frau kümmern sich rührend um die alte Dame, vermögen es aber nicht, ihre Meinung zu ändern. Es wird verabredet, dass die Freitodbegleitung in der Wohnung ihres Sohnes stattfinden soll.

Auf solcherart Hilfe von Angehörigen können bei weitem nicht alle Sterbewilligen im Heim zählen. Was, wenn es keine solche Ausweichmöglichkeit gibt, wie Therese L. sie hat? Und wenn sich die Heimleitung trotz der eindeutigen Rechtslage querstellt? 

Christliches Verständnis des Lebens versus Selbstbestimmung am Lebensende

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel (im folgenden: Bethel) sind Betreiber zahlreicher Pflegeeinrichtungen. Und sehen sich vor einem Konflikt: Zum einen sagen die Betreiber, dass die Unterstützung einer Selbsttötung aus ihrer Sicht "mit dem christlichen Verständnis des Lebens als einer Gabe Gottes nicht vereinbar" sei. Daher habe Bethel für sich den Aufbau eines organisierten Angebotes der Hilfe zur Selbsttötung in den eigenen Einrichtungen und durch die eigenen Mitarbeitenden ausgeschlossen. Es bestehe insbesondere die Befürchtung, "dass die Zulassung organisierter Angebote und die Gewöhnung an die Option der Selbsttötung alte, kranke und behinderte Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen könnte, von derartigen Angeboten zur 'Entlastung' von Partnern, Angehörigen, Freunden oder der Gesellschaft Gebrauch zu machen".

Gleichzeitig aber bekennt sich Bethel in seinen Leitsätzen "Leben bis zuletzt" zum Recht der Klientinnen und Klienten auf Selbstbestimmung am Lebensende. Es sei nun einmal davon auszugehen, dass durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Zukunft in verstärktem Maß Mitarbeitende in Bethel damit konfrontiert würden, dass Klientinnen und Klienten Bethels einen konkreten Suizidwunsch äußern.

Wie aber lässt sich dieser Zielkonflikt lösen? Bethel gab bei Rechtsprofessor Dr. Thomas Guttmann von der Universität Münster ein Rechtsgutachten in Auftrag, wie man in den eigenen Einrichtungen mit einem Wunsch nach assistiertem Suizid umgehen soll. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen:

Bethel dürfe eine lebensbejahende Haltung einnehmen und in seinen Häusern befördern, indem es Klientinnen und Klienten zum (Weiter-) Leben ermutigt, solange dies nicht in ein paternalistisches Bedrängen oder gar aktives Verhindern des Grundrechtgebrauchs umschlägt. Man stehe aber auch in der Pflicht, das Grundrecht der Klientinnen und Klienten auf selbstbestimmtes Sterben einschließlich des Zugangs zu Dritten, die hierfür rechtmäßige Hilfe anbieten, zu respektieren und angemessen zu berücksichtigen.

Bethel oder ihre Mitarbeitenden seien zwar nicht dazu verpflichtet, selbst aktiv Suizidhilfe zu leisten. Man dürfe den Klientinnen und Klienten den Zugang zu assistiertem Suizid durch Dritte, die bereit sind, hierzu rechtmäßige Hilfe zu leisten, aber nicht faktisch verunmöglichen.

Soweit die Einrichtungen Bethels sich selbst nicht an der Vorbereitung und Durchführung eines assistierten Suizids beteiligen, sondern diesen nur nicht behindern, hätten sie in den jeweiligen Einzelfällen grundsätzlich keine Pflicht, das Vorliegen der Voraussetzungen eines rechtmäßigen assistierten Suizids zu prüfen.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) hat im Jahr 2022 neun Freitodbegleitungen in stationären Einrichtungen (von insgesamt 229 Fällen im ganzen Jahr bundesweit) gezählt. Im Jahr 2023 waren es 14 Freitodbegleitungen in stationären Einrichtungen (von insgesamt 419 Fällen im ganzen Jahr bundesweit). Die DGHS versteht sich nicht als Sterbehilfeorganisation, aber sie vermittelt seit 2020 ihren Mitgliedern eine ärztliche Freitodbegleitung. Sie kooperiert dazu mit etwa 30 Teams aus je einem Juristen/einer Juristin und einem Arzt/einer Ärztin.

Einrichtungen können aber zum Eingreifen verpflichtet sein, wenn ­die Entscheidungsfreiheit des Patienten oder Bewohners nicht gegeben ist, beziehungsweise solange diese aus faktenbasierten Gründen ernsthaft in Zweifel zu ziehen ist. Kein Behandelnder, keine Heimleitung, keine Einrichtung dürfe untätig bleiben, wenn erkennbar ein nicht frei verantwortlicher Suizid (oder, bei aktiver Beteiligung eines Dritten, eine rechtswidrige Tötung) droht.

Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen (sowie von Hospizen) hätten ein durch Artikel 13 Grundgesetz (Grundrecht der Wohnung) stark geschütztes exklusives Hausrecht in ihrem Privatbereich, das auch einen Raum der Privatheit zum Zweck eines assistierten Suizids garantiere.

Die Möglichkeiten, einen bestehenden Vertrag zu kündigen, weil ein Patient, Bewohner oder Klient einen freiverantwortlichen Suizid beabsichtigt, seien insgesamt gering, stellt der Rechtsgutachter fest. Infolgedessen könne es deshalb in einzelnen Fällen dazu kommen, dass ein (durch außenstehende Dritte) assistierter Suizid in der Einrichtung geduldet werden müsse.

Die Einrichtungen und Mitarbeitenden hätten aber keine Rechtspflicht, ihre Klientinnen und Klienten über ihr Recht auf Suizidassistenz (durch willige Dritte) aufzuklären.

Entsprechend diesen Ergebnissen des Rechtsgutachtens soll nun in der Ethik-Kommission von Bethel ein Leitfaden entwickelt werden, der den Geschäftsführungen und Leitungen der Einrichtungen ihre Verantwortung verdeutlicht wie auch den Mitarbeitenden Orientierung geben soll.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) begrüßt die Entscheidung von Bethel. Sprecherin Wega Wetzel weist allerdings auch auf die "doch noch recht beschränkenden Empfehlungen" der Stiftungen hin: "Die Freitodhilfe wird weiterhin missbilligt, aber im Einzelfall nicht aktiv verhindert."

Hinzu kommt: Die Leitlinien, die Bethel nun ausarbeiten wird, gelten natürlich nur für die Heime der Stiftung. Wetzel beklagt: "Vor allem in katholisch geführten Häusern wird es strikt abgelehnt, dass dort eine Freitodbegleitung stattfindet. Dann muss der Betreffende in eine Privatwohnung eines Verwandten transportiert werden, damit dann dort die Freitodbegleitung erfolgen kann." Die DGHS wolle einen solchen Fall, das Grundrecht auf Inanspruchnahme einer ärztlichen Freitodbegleitung auch in einer Pflegeeinrichtung wahrzunehmen, exemplarisch auf dem Rechtsweg durchfechten. Es gebe zurzeit aber noch keinen Protagonisten für einen solchen Rechtsstreit.

Haltung der Diakonie und des Verbands katholischer Altenhilfe

Der hpd hat auch bei Diakonie und Caritas angefragt, wie sie mit dem Thema umgehen. Eine Sprecherin von Diakonie Deutschland sagt dazu: "Grundsätzlich sind alle diakonischen Dienste, Einrichtungen und Träger frei in ihrem Umgang mit Sterbewünschen von Bewohner:innen, Patient:innen und Klient:innen. Als Bundesverband bieten wir den Diensten, Einrichtungen und Trägern mit unserer Orientierungshilfe umfangreiche Unterstützung".

Es sei ein zentrales Anliegen, "dass die uns anvertrauten Menschen auch am Ende ihres Lebens bestmöglich versorgt sind und ihr Leben in Würde führen können. Deshalb arbeiten wir zum Beispiel in unseren Einrichtungen eng mit ambulanten Hospizdiensten, Seelsorger:innen und Palliativmediziner:innen zusammen. Den Wunsch nach assistiertem Suizid nehmen wir ernst und bieten umfassende Unterstützung bei der Suche nach Alternativen. Der letztendliche Entschluss für oder gegen den assistierten Suizid bleibt jedoch stets die respektierte Einzelentscheidung des betroffenen Menschen."

Beim Verband katholischer Altenhilfe heißt es: "Wie in den Pflegeheimen in unserer Mitgliedschaft mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid umgegangen wird, können wir im Einzelnen nicht beantworten. Es gibt aufgrund der unklaren Gesetzeslage auch keine allgemeinverbindlichen Regelungen. Insgesamt stellen wir bei unseren Mitgliedern einen Bedarf nach Handlungssicherheit fest – nicht zuletzt aufgrund der weiterhin unklaren Gesetzeslage. Aus diesem Grund haben wir 2021 ein Papier erarbeitet, das die Grundlage für Reflektion und Austausch über das Thema mit Mitarbeitenden bietet. Das Papier erörtert rechtliche und ethische Fragestellungen und formuliert Forderungen, die wir als katholischer Fachverband an die Politik stellen", heißt es.

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