(hpd) Die Hoffnungen auf politische Veränderungen, wie sie jetzt wieder in den arabischen Staaten aufgebrochen und im Iran längst überfällig sind, um sich von einer politisch-religiösen Kaste zu befreien, haben dafür auch historische Vorbilder in vielen Regionen der Welt.
Zunächst darf der Leser raten, in welchem Land und wann eine Regierung existierte, die gegen den Einfluss der dominanten religiösen Organisation vorging und z.B. die folgenden Sätze und Regelungen für richtig und notwendig hielt.
(Die folgenden Zitate habe ich alle aus einem am Ende des Textes angegebenen Buch übernommen, aber sprachlich vom dortigen Original-Stil und Kontext befreit, also frei übersetzt. Unter den Begriffen „religiöse Organisation“, Gott, Vertreter derselben und „Gemeinde Gottes“ darf man sich Kirche, Umma, Allah, Götter, Priester, Imam, Mullah, Derwisch, Mönch, Pope etc. vorstellen, denn es könnte sich ja ebenso gut um eine aufgeklärte westliche, osteuropäische, ostasiatische oder orientalische Regierung handeln.)
„Diese Regierung muss rasche Reformen durchsetzen; ihre Grundsätze sind, Vorurteile, Fanatismus, Parteilichkeit und Sklaverei des Geistes zu unterdrücken und jedem Bürger den Genuss seiner angeborenen Freiheit zu sichern…
Sie soll dem Unwesen parasitärer Vertreter der religiösen Organisation den Schleier wegreißen, die Asketenlehre von den hohen Schulen verbannen und aus jenen Vertretern arbeitende Bürger machen, also Fakire zu Menschen bilden.“
„Das Volk soll von dem Aberglauben, den die dominante religiöse Organisation verbreitet, befreit werden, denn diesem Aberglauben und seinen Verbreitern ist der Verfall des menschlichen Geistes zuzuschreiben.“
„Das Übelste aber sind die falschen Ideen, die die dominante religiöse Organisation über unsere so heilige Religion zu erzählen pflegt, indem sie den Wesen im Himmel die ärgsten Leidenschaften und Laster andichten, auch Rache, Zorn, Neid und Eifersucht, nur um das Volk dadurch in Dummheit und Knechtschaft an der Kette des eigenen Egoismus zu führen und die Menschen dazu zu bringen, dass sie „Seligkeit“ für Geld erkaufen... In den Predigten gibt es keine Ordnung und es wird mit abenteuerlichen Geschichten und Märchen die Gemeinde Gottes beleidigt.“
„Es gibt viel zu viele religiöse Würdenträger und Organisationen, auf die die Gemeinde Gottes leicht verzichten könnte - aber nicht nur, weil sie unnötig und überflüssig sind, sondern mehr noch, weil sie der Gesellschaft in vielfacher Hinsicht höchst schädlich sind.“
Zum Verbot einer religiös besonders radikalen Gruppe:
„Früher war die Religion eine Lehre von Glück und Seligkeit der Völker; diese Gruppe hat daraus eine empörende Sache gemacht, die Lehre zum Gegenstand ihres Ehrgeizes und zum Deckmantel ihrer Pläne herabgewürdigt.
Aus einer besonders radikalen Gegend stammend hat diese Gruppe eine Universal-Herrschaft über den menschlichen Geist zu gewinnen versucht… Ihre Intoleranz war Ursache schrecklichen Kriegselendes… Man hat ihr die Erziehung der Jugend, die Literatur, das Erteilen von Belohnungen und staatlichen Würden anvertraut und sie zu engen Beratern der Regierenden gemacht.“
Einige Reform-Regelungen:
Vertreter der religiösen Organisation sollten zuerst zwei Jahre Philosophie studieren, bevor sie sich der religiösen theologischen Ausbildung widmeten; dabei sollten sie von Vertretern verschiedener Glaubensrichtungen unterrichtet werden. Ferner sollten sie zu Toleranz und gegen religiösen Hass erzogen werden. Daneben sollten sie Studien in Chemie, Botanik, Ackerbau, Mathematik und Diplomatie betreiben.
Verboten wurden unter anderem die Folter sowie Eidesformeln mit Bezug auf zweifelhafte religiöse Mythen. Verboten wurden auch Wallfahrten zu heiligen Stätten.
Geschützt wurden entgegen früherer Intoleranz und Verfolgung andere Religionen, auch der jüdischen, wenn auch die Hauptreligion allein in der Öffentlichkeit auftreten und akustisch zu ihren Kultstätten rufen durfte. Menschen, die nicht der Hauptreligion angehören, dürfen Häuser kaufen, haben Bürgerrechte und können akademische Würden erhalten.
Bei anderen Regelungen erstreckte sich die Reform nur auf das Strafmaß; es blieb aber dabei, dass z.B. Gotteslästerung nach Feststellung durch die religiöse Organisation oder die staatlichen Ordnungskräfte als Geisteskrankheit mit Einweisung in ein Irrenhaus zu ahnden war, „bis Heilung erkennbar wurde“. Auch andere politische Verbrechen (z.B. Schmähschriften und -bilder) blieben Sache der Ordnungskräfte, die nach Gutdünken strafen konnte, ohne dass Rechtsmittel zur Verfügung standen.
Wer also war es, wann und wo? Und gegen wen war es gerichtet?
Was ich hier zitierend (aus Helmut Perl, Der Fall Mozart, Atlantis Musikbuch-Verlag, 2005, ISBN 3-254-00266-0. Das Buch leuchtet die historischen Hintergründe von Mozarts Wiener Zeit aus.) zusammengetragen habe, könnte auch von einem aufge-klärten muslimischen Herrscher aus dem persisch-arabischen Raum stammen; es handelt sich aber um Gedanken, Ziele und Verordnungen Kaiser Josephs des Zweiten, der ab 1780 eine beispiellose Modernisierungspolitik gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Kirche und des Jesuiten-Ordens ins Werk setzte. Nichts hasste er mehr als den verkitschten Volksglauben, mit dem Kirchenfürsten, Priester und Ordensleute das Volk in Dummheit hielten.
Dieses knappe Jahrzehnt leuchtet als ein grandioses Beispiel von Reform-Eruption in erstarrten Systemen und es beleuchtet einmal mehr, wie jeder Millimeter Religions-, Gedanken- und Redefreiheit der katholischen Kirche abgerungen werden musste. Es zeigt aber auch, dass viele Anläufe nötig sind, Reformen dauerhaft zu machen; denn leider wurde schon gegen Ende von Josephs Regierungszeit und unter seinen Nachfolgern nach 1790 das Meiste von Kirche und ihr folgender staatlicher Restauration wieder kassiert. So wurde die von Joseph abgeschaffte Eidesformel „de immaculata conceptione“ (bei der unbefleckten Empfängnis) nach 1790 wieder verlangt, auch um Andersdenkende von Ämtern und Ehren fern zu halten.
Aber so wie nach der repressiven Herrschaft seiner Mutter Maria Theresia Kaiser Joseph II. die neuen gesellschaftlichen Kräfte eines selbstbewussten Bürgertums aufgreifen konnte, so ermutigt das Beispiel zu der Erwartung, dass auch die erstarrten muslimischen Gesellschaften Arabiens, Pakistans und des Iran von ihren aufgeklärten, bürgerlichen Teilen zu einem freiheitlichen System geführt werden können. Schön, wenn es da einen „Yusuf“ gäbe, der das von oben anschiebt – noch besser, wenn als demokratische Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das Beispiel Türkei lässt hoffen, aber der Weg dieser Völker ist noch weit!
Gerd Eisenbeiß