Rezension

Risiko Scheinmedizin

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Theodor Much, Facharzt für Dermatologie, und Edmund Berndt, Apotheker, beide im Ruhestand, unterziehen sich der Aufgabe, gut lesbar und leicht verständlich über die Zusammenhänge und Hintergründe alternativmedizinischer Angebote zu informieren und vor deren meist sinnlosen und oftmals sogar gefährlichen Praktiken zu warnen. Ergänzt mit Beiträgen des emeritierten Professors für Alternativmedizin, Edzard Ernst, bietet "Geschäfte mit dem Nichts" ein rationales Gegengewicht zu medizinischer Scharlatanerie mit dem Ziel, "rationales Denken zu fördern, verlässliche Informationen zu vermitteln und Verbraucher zu schützen".

"Auf dem deutschsprachigen Büchermarkt tummeln sich derzeit rund 6.000 Bücher (international >60.000) zur Alternativmedizin. Fast alle davon preisen umstrittene und problematische Diagnose- und Therapieverfahren an."

Ausgehend von "Medizin zwischen Antike und Mittelalter" werden die Hintergründe sogenannter alternativer Heilangebote beleuchtet. "Altes Wissen", auf das sich diese oftmals berufen, besteht zum Großteil aus längst überholtem und unzählige Male widerlegtem "Dafürhalten". Die Autoren beschreiben die bekanntesten und zum Teil bis heute – beziehungsweise heute wieder – verwendeten Methoden und erläutern deren Problematiken. Sie vermitteln Hilfestellung zum Erkennen von Aberglaube, Scharlatanerie, Pseudomedizin, esoterischem Denken und bieten Fakten – zum Beispiel zur "Mondgläubigkeit" –, diese zu entlarven.

Wichtig dabei ist die inhaltliche Definition von Begriffen wie "Schul-", "Komplementär-" und "Alternativmedizin", aus denen Bezeichnungen wie zum Beispiel "ganzheitlich" oder die vielfach verwendete, sehr problematische Behauptung "Wer heilt, hat recht" resultieren. Ausführungen zu den Berufsbezeichnungen Heilpraktiker, Energetiker, Wunderheiler und genaue Erläuterungen zu Placebo- und Nocebowirkungen beziehungsweise zum Thema Ursache und Wirkung ("post hoc ergo propter hoc") ergänzen den allgemeinen Teil des Buches, der dazu unter anderem noch die Themen "Impfungen und Impfgegner" und "Wie glaubwürdig sind Studien der Alternativmedizin?" behandelt.

Cover

Der zweite Teil des Buches beschreibt Angebote der sogenannten Alternativmedizin, wozu unter anderem Homöopathie, Bachblütentherapie, Schüßlersalze, Irisdiagnostik, Kinesiologie, Osteopathie, Bioresonanz, "Quantenmedizin", Orthomolekulare Medizin, Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda und "Wunderwasser" zählen. Die Autoren entschleiern die dahinterliegenden, überwiegend falschen Annahmen und Konzepte und beleuchten die daraus mittels exzessiver Werbung und Marketingmaßnahmen resultierenden exorbitanten Geschäftserfolge (25 bis 30 Millionen Euro pro Jahr allein in Deutschland). Much und Berndt beschränken sich dabei nicht auf allgemeine Hinweise und Aussagen, sondern erläutern jede der genannten Methoden mit ihrer geschichtlichen Entwicklung und stellen jeder genannten Behauptung mit ihren wohlklingenden, aber letztlich unseriösen Heilsversprechen, wissenschaftliche Fakten gegenüber (das Literatur- und Quellenverzeichnis im Anhang des Buches ermöglicht eigene Nachprüfungen, zur Homöopathie werden auch elf Beurteilungen großer internationaler Akademien der Wissenschaften zitiert).

"In der alternativen Medizin wird so gut wie jede absurde Therapie für jede Krankheit empfohlen." Untersuchungen der Universität Exeter an sieben Bestsellern der alternativen Medizin erbrachten erschreckende Ergebnisse; beinahe jede alternative Behandlungsart wurde für fast jede Erkrankung empfohlen, solche Bücher "stellen zweifelsohne einen bedeutenden Risikofaktor für die öffentliche Gesundheit dar" (Edzard Ernst).

Den Autoren des Buches ist nicht nur daran gelegen, "Geschäfte mit dem Nichts" zu entlarven, sie fragen auch – durchaus kritisch im Hinblick auf manche Erscheinungen des modernen Medizinbetriebes – nach den Gründen, die zur Hinwendung und zum kommerziellen Erfolg esoterischer Medizin führen. Sie sind auch Realisten und "nehmen nicht an, dass unser Buch die Flut der Fake News, die heute als Alternativ-, oder Komplementärmedizin firmieren, bändigen wird". Sie hoffen aber, damit manchen Leserinnen und Lesern die Augen zu öffnen und davor zu bewahren, "Geldbeutel und Gesundheit durch scheinmedizinische Scheintherapien zu schädigen".

"Geschäfte mit dem Nichts" ist ein hochaktuelles Buch, das spannend und tiefgründig medizinisches Wissen vermittelt und dazu die Gründe aufdeckt, warum auf längst widerlegten anatomischen oder physiologischen Vorstellungen basierende Therapien immer noch, zum Teil sogar immer stärker, nachgefragt werden. Es bietet dazu auch Lesevergnügen, das sich nicht zuletzt in der satirischen Anleitung "Werden Sie Scharlatan" in zehn Schritten manifestiert:

  1. Finden sie eine attraktive Therapie und geben Sie ihr einen ansprechenden Namen.
  2. Erfinden Sie dazu eine faszinierende Geschichte.
  3. Lernen Sie Charisma.
  4. Mischen Sie Pseudo-Wissenschaft zu Ihrer Therapie.
  5. Verweisen Sie auf "Alte Weisheiten" und
  6. Allheilmitteleigenschaften Ihrer Therapie.
  7. Erfinden Sie anekdotische Evidenz und
  8. Statistiken zu Ihrer Therapie.
  9. Benennen Sie dazu ein Feindbild und
  10. seien Sie teuer!

Theodor Much/Edmund Berndt, Geschäfte mit dem Nichts: Risiko Scheinmedizin, Aschaffenburg 2021, Alibri Verlag, 166 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-86569-339-6

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