(hpd) Der Religionssoziologe Detlef Pollack liefert mit seinem Band „Säkularisierung – ein modernern Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland“ frühere Abhandlungen zur Kritik an der Auffassung von einer Wiederkehr der Religionen. Dem Autor gelingt es mit Verweis auf empirische Studien und theoretische Reflexionen souverän, die pauschale Verwerfung der Säkularisierungsthese zu widerlegen.
Lange Zeit ging man bei der Analyse sozialer Entwicklungen in den westlichen Ländern davon aus, dass es im Rahmen der Modernisierung unweigerlich zu einem Rückgang der Religionen und zu einer Säkularisierung der Gesellschaft komme. Dieser Grundposition stellen Zeitbetrachter seit gut zwanzig Jahren eine andere Auffassung entgegen, wonach von einer Rückkehr der Religionen auszugehen sei. Muss demnach von der Säkularisierungsthese Abstand genommen werden, ist sie angesichts dieser Entwicklung letztendlich gescheitert? Dieser Frage widmen sich als „rotem Faden“ die Forschungen des Religionssoziologen Detlef Pollack, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Professor lehrt. In dem Band „Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland“ finden sich aktualisierte und überarbeitete Fassungen früherer Aufsätze als eigenständige Monographie. In diesen Texten will der Autor auf Basis von empirischen Daten und theoretischen Reflexionen zur Säkularisierungsthese Position beziehen.
Die 12 Kapitel sind in vier Teile gegliedert: Zunächst geht es um eine Überblicksdarstellung zur neueren religionssoziologischen Diskussion des Säkularisierungstheorems, einen Versuch zur Definition von Religion hinsichtlich Bezugsproblem und Problemlösung und die Probleme der funktionalen Religionstheorie Niklas Luhmanns. Dem folgen Betrachtungen zur religiös-kirchlichen Situation in Deutschland, der Entwicklung von Kirchlichkeit und Religiosität in der DDR, dem Wandel der religiös-kirchlichen Lage in Ostdeutschland nach 1989, der Prüfung der Säkularisierungsthese anhand von empirischen Daten und theoretischen Reflexionen, der Deinstitutionalisierung des Religiösen und den Auswirkungen des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat auf die Vitalität des religiösen Feldes. Die Evangelisation als religiöse Kommunikation und die Rolle der Kirchen und der Religion in den Umbrüchen von 1945 und 1989 stehen danach im Zentrum. Und schließlich geht es noch um die religiösen Dimensionen im Werk Christoph Heins.
Bilanzierend bemerkt Pollack über das Ergebnis seiner Studien: „Sie gehen davon aus, dass sich die Behauptung der Universalität von Religion sozialwissenschaftlich nicht begründen lässt und dass schon der Versuch, die Unvermeidlichkeit der Emergenz eines religiösen Bezugsproblems aufzuweisen, zum Scheitern verurteilt ist. Ob das als religiös definierte Problem soziale Relevanz gewinnt oder nicht, ist, so lautet die hier vertretene Annahme, selbst sozial und historisch variabel und hängt von einer Vielzahl kontingenter Außenbedingungen ab.“ Und weiter heißt es: „Außerdem beziehen die hier gesammelten Studien einen kritischen Standpunkt gegenüber der weit verbreiteten Diagnose, wir würden gegenwärtig eine Renaissance des Religiösen erleben. Die oft zu hörende Behauptung, dass trotz der Bedeutungs- und Akzeptanzverluste der Kirchen derzeit ein religiöser Boom zu verzeichnen sei, überschätzt die Prozesse des religiösen Aufschwung, die sich – das soll nicht geleugnet sein – partiell durchaus vollziehen ...“ (S. 11f.).
Wiederkehr der Religionen?
Dem Autor gelingt es durch die Auswertung empirischer Daten und die Präsentation theoretischer Reflexionen souverän, die pauschale Verwerfung der Säkularisierungsthese zu widerlegen. Hierbei geht er ausführlich auf die religionssoziologische Debatte ein und kritisiert diesbezügliche Argumentationsweisen der Anhänger der These von der Wiederkehr der Religionen. Dies geschieht aber keineswegs in der mitunter auch in den Sozialwissenschaften auszumachenden Pauschalität nach dem Motto „Nur eine Position kann richtig sein“. Pollack argumentiert differenziert und sachlich. Die Auswertung von Umfragen bringt ihn auch zu der Erkenntnis: „Betrachten wir diese Dimension von Religion, so müssen wir feststellen, dass die Religion im Laufe der 40-jährigen Entwicklung sowohl im Westen als auch vor allen Dingen im Osten Deutschlands ihre integrierende und konsensstiftende Kraft weitgehend verloren hat“ (S. 84). Kritikwürdig in diesem Kontext ist allenfalls, dass sich seine Analysen nur auf Deutschland bzw. Europa konzentrieren.
Armin Pfahl-Traughber
Detlef Pollack, Säkularisierung – ein modernern Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland, Tübingen 2003 (Mohr Siebeck), (Neuausgabe: 2011), 333 S., 29 €