Ohne Gott ist alles erlaubt? – Realpolitik

(hpd) Das Argument, laut dem Atheisten die schlimmsten Mörder der Geschichte seien, kommt oft, wenn die historischen Verbrechen des Christentums oder anderer Religionen in einer Diskussion aufgezählt werden. Im letzten Teil der Reihe geht es um Bündnisse zwischen ideologischen Todfeinden vor und nach 1945: Realpolitik in Europa, Asien, der Sowjetunion und den USA.

Realpolitik vor 1945

In der jüngeren Geschichte hat sich ein Bild herauskristallisiert, laut dem die westlichen Demokratien und die totalitären Staaten erbitterte Feinde waren, zwischen denen es keine Berührungspunkte gab. Über weite Strecken trifft diesen Ansicht zu, doch gab es immer wieder einzelne Bündnisse zwischen den ideologischen Todfeinden, die nicht lange Bestand hatten oder die konträr zu der nach außen hin vertretenen Politik bestanden.

Im Laufe des Ersten Weltkriegs entwickelte sich beispielsweise eine Zusammenarbeit zwischen Kaiser Wilhelm II. und Lenin. Ein Bündnis zwischen Monarchen und Bolschewisten erscheint heute mehr als exotisch und war nur unter den damaligen Rahmenbedingungen vorstellbar. Kaiser Wilhelm II. sah sich schon bald nach Kriegsbeginn in einer aussichtslosen Position. Ihm war nicht gelungen, Frankreich schnell niederzuringen, um gelassener der Konfrontation mit den Großmächten Russland und Großbritannien entgegenzusehen. Italien hatte die Seiten gewechselt und ein Kriegseintritt der USA schien denkbar. Nicht nur die schiere Übermacht der Gegner, sondern vor allem die Tatsache, dass sie das Kaiserreich in einen Zweifrontenkrieg zwängten, deutete auf eine Niederlage hin. Gelänge es, einen Friedensvertrag mit Russland zu schließen, wäre ein Werfen aller Truppen nach Westen möglich.

Zu diesem Zwecke suchte der Protestant Wilhelm II. die Nähe zum Bolschewisten Lenin. Dieser arbeitete auf den Sturz des russischen Zaren durch eine Revolution hin. Der deutsche Kaiser erhoffte sich, mit einer neuen Regierung einen komfortablen Friedensvertrag abzuschließen oder Russland durch den inneren Konflikt zwischen Monarchisten und Bolschewisten so weit zu schwächen, dass keine nennenswerte militärische Bedrohung von der Ostfront her bestand. Die Eliten des Kaiserreichs loteten daher auf diplomatischem Wege aus, ob eine Zusammenarbeit denkbar wäre. Wie diese genau aussah, kann anhand der heutigen Faktenlage nicht mehr im Detail rekonstruiert werden, doch flossen enorme Summen in die Kassen der Bolschewisten. 1917 erlaubte Wilhelm II. die Ausreise Lenins aus der Schweiz zurück nach Russland, damit dieser seine Revolution starten konnte. Dass diese glückte, führen mehrere Historiker auf die enorme finanzielle Unterstützung durch das Kaiserreich zurück. Ihrer Ansicht nach wäre die Revolution ohne die Hilfe von außen innerhalb eines Jahres zusammengebrochen. In diesem hypothetischen Szenario hätte es die Diktatur Stalins nicht gegeben.

Zaghafte Annäherung

Trotz des gespannten Verhältnisses zwischen den demokratischen Staaten und der Sowjetunion ergab sich schon bald nach Kriegsende eine zaghafte Annäherung. Im Vertrag von Rapallo baute zuerst Deutschland seine Beziehungen mit dem östlichen Nachbarn aus. Diese Politik wurde auch von der katholischen Zentrumspartei getragen. In den nachfolgenden Jahren schlossen sich weitere westliche Staaten der Entspannungspolitik an. Auf französischer Seite wurde sie beispielweise vom Katholiken Pierre Laval betrieben. Zwar war die Sowjetunion durch ihre schiere Größe unabhängig von Ressourcenlieferungen aus dem Ausland. Ihr mangelte es jedoch an technischem Knowhow, um eine eigenständige Industrie aufzubauen. Die dafür nötigen Maschinen mussten teilweise im Westen bestellt werden. Finanziert wurde die Industrialisierung durch den Verkauf von Getreide. Dabei war Stalin nur wenig an der eigenen Bevölkerung gelegen. Und so ereignete sich in der Ukraine, der “Kornkammer Europas”, eine der größten Hungersnöte der Geschichte. Mehr als sechs Millionen Menschen verhungerten, damit Stalin die Getreideexporte nach Westeuropa aufrechterhalten konnte.

Keineswegs lässt sich behaupten, die USA hätten Hitler konsequent Paroli geboten. Während sich die Regierung Roosevelts in den ersten Jahren außenpolitisch weitestgehend neutral gab und einen Kurs der Neutralität fuhr, bekundeten Einzelpersonen, Volksdeutsche, Institutionen und Firmen Sympathien für die neue Regierung Deutschlands. Mehrere Industrielle sahen sich in der Position, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Einerseits verfolgte die NSDAP eine strikte Linie gegenüber der kommunistischen Weltrevolution, andererseits eröffneten die größenwahnsinnigen Rüstungsprojekte neue Absatzmärkte.

Henry Ford, Prescott Bush und die Nazis

Mehrere bekannte Namen stehen für erfolgreiche transatlantische Geschäftsbeziehungen. Henry Ford, der selbst Antisemit war und von Hitler das Goldene Parteiabzeichen erhielt, gilt als Erfinder des modernen Autos. Er konnte erstmals Kraftfahrzeuge in Massenproduktion herstellen, die für das einfache Volk erschwinglich waren. Im Zuge von Hitlers Wiedererrichtung der Wehrmacht verkaufte er zehntausende LKWs an Deutschland, die während des 2. Weltkriegs zu einem entscheidenden Faktor der militärischen Infrastruktur wurden. Auch Senator Prescott Bush, Vater bzw. Großvater der US-Präsidenten George H. W. Bush und George W. Bush, unterhielt in den 1930er Jahren enge Verbindungen mit deutschen Industriellen.

Als Bankier hatte er den Thyssen-Konzern, der Stahl verarbeite, mitfinanziert. Doch derartige Geschäftsbeziehungen wurden nach dem Kriegseintritt der USA zunehmend schwieriger. Der Trading with the Enemy Act untersagte den Handel mit dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten. Derzeit hat sich eine Kontroverse entzündet, ob Bush auch über 1941 hinaus über Tarnfirmen in der neutralen Schweiz weiterhin enge Verbindungen nach Deutschland unterhielt und so vom Zwangsarbeitersystem profitierte.

Auch der Computerhersteller IBM muss sich einer wenig ruhmreichen Vergangenheit stellen. Die Firma hatte eine Vielzahl sog. Hollerith-Maschinen verkauft, die mit Lochkarten arbeiteten und im nationalsozialistischen Staat in der Verwaltung der Konzentrationslager zum Einsatz kamen. Zwar lässt sich fragen, ob die enormen Kriegsverbrechen Deutschlands in der Führungsspitze des Unternehmens bekannt waren, doch auch wenn der Handel keinen Bruch der Menschenrechte darstellen sollte, so verstößt er doch zumindest gegen US-amerikanisches Recht in Form des Trading with the Enemy Act.

Im Vorfeld des Kriegseintrittes der USA gründeten mehrere amerikanische Persönlichkeiten aus Politik, Industrie und Entertainment das America First Committee, das latent antisemitische wie antikommunistische Positionen vertrat und eine isolationistische Außenpolitik befürwortete.

Charles Lindbergh und Göring

Die wohl bekanntesten Vertreter, die der Organisation angehörten, waren der Flugpionier Charles Lindbergh, den eine Freundschaft mit Göring verband, und der Filmemacher Walt Disney. Aber auch der Krieg gegen Hitlerdeutschland, den das America First Committee zu verhindern versucht hatte, war nicht der saubere Krieg und nicht so sehr von humanitären Prinzipien beseelt, wie die Regierungen der Westalliierten gerne behaupteten. Natürlich wäre der Holocaust ohne den Einsatz von Waffengewalt nicht beendet worden, doch hätte man ihn diplomatisch im Vorfeld abschwächen können. Die USA hätten in den Jahren vor 1941 bereitwilliger jüdische Flüchtlinge aufnehmen und Druck auf die südamerikanischen Staaten, die sich in mehr oder weniger großer Abhängigkeit von Washington befanden, ausüben können. Gleiches lässt sich über die britische Regierung und das ihr zugehörige Kolonialreich sagen.

Und auch die Flächenbombardements, die als „Moral Bombing“ die Kriegsbegeisterung der deutschen Bevölkerung brechen sollten, heizten die nationalsozialistische Propaganda nur an und forderten zahlreiche Todesopfer unter den deutschen Zivilisten. Während über die verheerenden Luftangriffe bis zum Herbst 1944 behauptet wird, sie hätten den Krieg verkürzt und somit Opfer auf beiden Seiten verhindert, werden besonders die Bombardements in den letzten Kriegsmonaten, wie beispielsweise die Zerstörung Dresdens durch die Royal Air Force, zunehmend als Kriegsverbrechen angesehen.

Doch nach Kriegsende entpuppten sich viele der vollmundigen Versprechen als hohl. Von der gerechten Strafe für NS-Kriegsverbrecher war nur wenig zu spüren. Zwar wurden in Nürnberg über 200 Personen aus dem engsten Führungskreis der NSDAP, dem Militär und der Industrie vor Gericht gestellt, doch tausende Funktionäre, die die mörderische Vernichtungspolitik mitgetragen hatten, mussten keine Strafe fürchten, ja durften im Gegenteil sogar auf eine Fortsetzung ihrer Karriere hoffen. Nach den tiefgreifenden Veränderungen im internationalen Mächteverhältnis stand Deutschland auf Seiten der USA, die ihrerseits auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion gingen. Mehrere Nazis waren kurz nach Kriegsende wegen ihres Antikommunismus gefragt. Sie konnten einerseits in den Militärdiktaturen Südamerikas die Geheimdienste aufbauen, in den USA die Wissenschaft vorantreiben oder in der Bundesrepublik die Probleme der Wiederbewaffnung bewältigen.

Menschenrechte eher zweitrangig

Ebenfalls muss aber auch die Politik bezüglich der Sowjetunion genauer betrachtet werden. Dass die Containment- bzw. Roll-Back-Politik Washingtons ohne Rücksicht auf Verluste geführt wurde, ist bekannt. Mehrere Diktaturen oder Rebellengruppen wurden unterstützt, sofern sie nur antikommunistisch genug erschienen. Erwägungen bezüglich Menschenrechtsverletzungen waren im Kalten Krieg eher zweitrangig.

Doch dass es stattdessen ebenfalls eine Kooperation mit den kommunistischen Regierungen gab, ist weit weniger gut bekannt. Als Hitler 1941 die Sowjetunion überfiel, hing Stalins Macht am seidenen Faden. Die Taktik des Blitzkriegs schien aufzugehen, da die Parteisäuberungen die Führung der Roten Armee ins Mark getroffen hatten und die Missstände während der mangelhaft geplanten Zwangsindustrialisierung eine Massenproduktion von kriegswichtigen Gütern verkomplizierte.

Roosevelt entschied sich dazu, die Sowjetunion durch den Lend-Lease Act mit Waffen, Munition, Fahrzeugen und sonstigen technischen Gütern zu unterstützen. Während die USA mit ihren gewaltigen Industriekapazitäten die Produktion übernahmen, stellte die Seemacht Großbritannien den reibungslosen Verkehr auf den Weltmeeren sicher. Obwohl Roosevelt und Churchill so einen enormen Beitrag zum Machterhalt Stalins leisteten, nutzten sie den daraus resultierenden Einfluss nicht dazu aus, ihm Bedingungen bezüglich der Menschenrechte aufzudiktieren. Während des zweiten Weltkriegs witterte Stalin überall in seinem riesigen Reich Verrat und ging mit aller Härte gegen Faschisten, oder jene, die er dafür hielt vor. Nicht nur Deserteure wurden hart bestraft, auch ihre Familienmitglieder mussten mit Repressionen des sowjetischen Terrorstaates rechnen. Außerdem wurde allen Russlanddeutschen pauschal unterstellt, die fünfte Kolonne Hitlers zu bilden, was Umsiedlungsmaßnahmen, die in vielen Fällen den sicheren Tod bedeuteten, nach sich zog. Auch gegen die Tschetschenen und Krimtataren ging Stalin mit ähnlicher Begründung ähnlich hart vor.

Realpolitik nach 1945

Als nach Ende des 2. Weltkriegs die „Gefahr gebannt“ war und von den „Vaterlandsverrätern“ immer noch eine "Bedrohung für den Bestand der Sowjetunion" ausging, ließ Stalin von seiner Politik der Härte nicht ab. Beim Vormarsch der Wehrmacht hatten sich Millionen Rotarmisten ergeben und gerieten in Kriegsgefangenschaft. Von dort aus führte meist nur ein Weg zurück in die Freiheit - der Beitritt in die Wlassow-Armee, die an der Seite Hitlers für die Beseitigung des Kommunismus kämpfte. In anderen Fällen erfolgte der Beitritt zur Waffen-SS freiwillig. Viele Balten und Ukrainer hatten in der Sowjetunion ein schlimmes Schicksal erdulden müssen und erlagen so den Versprechungen des Nationalsozialismus. Ebenso wurden auch viele russische Zivilisten verschleppt und mussten in der deutschen Industrie oder Landwirtschaft Zwangsarbeit verrichten.

Im Laufe des 2. Weltkriegs drangen die Alliierten aus West und Ost in das Zentrum Europas vor. Die Sowjetbürger in den Diensten des Deutschen Reiches gerieten dabei einerseits in sowjetische, andererseits in britische und amerikanische Gefangenschaft. Stalin wollte jedoch nicht zwischen freiwilligen Kollaborateuren und Menschen, die alles taten, um ihr Leben zu retten, unterscheiden. Für ihn waren auch die Rotarmisten, die sich in den verlustreichen Kesselschlachten dem Feind ergaben, Verräter. Sie hätten schließlich erbittert weiterkämpfen und sich mit der letzten Patrone selbst richten können. Stalin war in seiner Sicht der Dinge konsequent. Auch sein eigener Sohn Jakow hatte sich der Wehrmacht ergeben und wurde im KZ Sachsenhausen interniert. Von deutscher Seite wurde das Angebot unterbreitet, den prominenten Kriegsgefangen gegen deutsche Offiziere, wie beispielsweise Generalfeldmarschall Paulus auszutauschen. Doch Stalin ließ gemäß den Bestimmungen, die er selbst erlassen hatte (und die er ebenso mühelos hätte umgehen können), seine Schwiegertochter inhaftieren und seine Enkelin in einem staatlichen Erziehungsheim unterbringen. Die übrigen Kriegsgefangen empfing er ab 1945 mit der gleichen Strenge.

Todesurteile gegen vermeintliche Kollaborateure

Die Kriegsgefangenen in westalliierter Gefangenschaft wähnten sich vor Stalins Rache in Sicherheit, doch die USA und Großbritannien hatten in der Konferenz von Jalta ihre Repatriierung, also die Überstellung an die sowjetischen Behörden beschlossen. Schon bald nach Kriegsende begannen die Deportationen, die 2,3 Millionen Sowjetbürger in ihr Vaterland zurückführen sollten.

Viele von ihnen wurden schnell im Gulag-Lagersystem inhaftiert. Wie viele von ihnen starben, bleibt ungewiss. Verbürgt sind ungefähr 160.000 Todesurteile gegen vermeintliche und tatsächliche Kollaborateure. Diese wurden zum Teil schon vor Kriegsende ausgesprochen. Aufgrund der chaotischen Zustände während des Krieges ist aber nicht klar ersichtlich, wie viele Verurteilte der Todesstrafe tatsächlich zum Opfer fielen. Einzelne Gefangene konnten sich in Westeuropa oder in der Sowjetunion selbst durch glückliche Umstände der Sowjetjustiz entziehen, einige waren bereits vor Kriegsende in deutschen Lagern gestorben und wenige Glückliche konnten eine Rehabilitierung erwirken. Dennoch muss immer berücksichtigt werden, dass der größte Teil von Stalins Opfern nicht etwa bewusst ermordet wurde, sondern stattdessen in den Arbeitslagern dahinsiechte. Wie viele der Gefangenen in den Gulags tatsächlich umkamen, ist ohne Weiteres nicht klar ersichtlich.

Ob man in Washington und London ahnte, was genau den Repatriierten widerfahren sollte, ist völlig unerheblich - die Opfer wussten es mit ausreichender Präzision. Bei der Auslieferung der Kriegsgefangenen spielten sich teils erschütternde Szenen ab. Die Amerikaner mussten bald erkennen, dass die Russen nur widerwillig die Transporte in Richtung Heimat bestiegen. Einige begingen in den Gefangenenlagern Selbstmord, indem sie ihre Barracken entzündeten, andere verbarrikadierten sich und konnten erst unter dem Einsatz von Tränengas herausgetrieben werden. Mehrere Russen attackierten die amerikanischen Soldaten mit Knüppeln aus Bettgestellen, doch nicht in der Hoffnung, zu entkommen, sondern in der Hoffnung, möglichst schnell erschossen zu werden. Den zuständigen Behörden war nur wenig daran gelegen, dass derartige Schilderungen an die Öffentlichkeit drangen.

Viele verschiedene Erklärungsansätze

Natürlich stellt sich die Frage, wie die Politik der Westalliierten unter diesem Gesichtspunkt beurteilt werden muss. Stellt sie ein beispielloses Verbrechen dar, oder muss sie aus den Notwendigkeiten der damaligen politischen Lage erklärt werden? Wie so oft in der Geschichtsschreibung fällt es schwer, eine eindeutige Aussage zu treffen. Für die Diktatur Stalins ist es einfach, die Ereignisse zu beurteilen. Im Falle der Westalliierten stellt sich die Situation jedoch anders dar. Einerseits wurden Roosevelt und Churchill, die die Repatriierung in Jalta beschlossen hatten, von Truman und Atlee abgelöst, die sie durchführen sollten. Natürlich gingen damit weitgehende personelle Veränderungen in Ministerien und Diplomatie einher, während durch das Kriegsende mehrere Posten im Militär neu besetzt wurden. Noch dazu muss ein vollständig unterschiedliches Politikverständnis berücksichtigt werden. Hier die USA als typische Einwanderernation, dort das Britische Empire als typisches Kolonialreich.

Logischerweise finden sich viele verschiedene Erklärungsansätze, die fließend ineinander übergehen und das teils in nur einer Person. Der britische Außenminister Eden hielt dazu beispielsweise fest, dass man sich nicht allzu viel „Sentimentalität“ gegenüber faschistischen Mördern erlauben dürfe, warnte aber auch davor, dass englische und amerikanische Soldaten sich in sowjetischer Gefangenschaft befänden.

Tatsächlich waren beim Vormarsch der Roten Armee auch Angehörige der westalliierten Streitkräfte aus deutschen Gefangenenlagern befreit worden. Insgesamt warteten ca. 50.000 Briten und Amerikaner in Russland auf die Rückkehr nach Hause. Wie aufrichtig in Washington und London die Sorge um ihre Landsmänner gewesen sein mag, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Dass Stalin sie genauso hart behandelt hätte wie die zurückgekehrten Sowjetbürger gilt als weniger wahrscheinlich. Doch auch wenn, ergibt sich immer noch eine enorme Diskrepanz im Zahlenverhältnis der Internierten auf beiden Seiten. (Wobei die grundsätzlichen Probleme der Abwägung von Menschenleben hier nicht erläutert werden.) Aber auch als die Rückführung der Amerikaner und Briten aus der Sowjetunion abgeschlossen war, wurden noch ca. 300.000 Sowjetbürger in ihre Heimat zurückgeführt.

Eine einstige Weltmacht am Boden

Andererseits muss berücksichtigt werden, dass Großbritannien triumphaler aufzutreten vermochte, als es die tatsächlichen Zustände zuließen. Bei den wichtigen Konferenzen zur Nachkriegsgestaltung Europas nahm Churchill als gleichberechtigter Partner am Verhandlungstisch teil, doch tatsächlich lag die einstige Weltmacht am Boden. Der Zweite Weltkrieg wurde unter hohen menschlichen und finanziellen Verlusten durchstanden, so dass London kaum noch Macht hatte, die Kolonien an sich zu binden. Indien, einst der ganze Stolz der Krone, wurde bereits 1947 unabhängig.

In dieser Situation war der britischen Regierung nur wenig daran gelegen, Hunderttausende Sowjetbürger, die meist nicht einmal der englischen Sprache mächtig waren, zu integrieren und „durchzufüttern“. Auch Anthony Eden schloss sich dieser Sichtweise an und begründete seine Politik mit den finanziellen Interessen seines Heimatlandes.

Im Falle Jugoslawiens lässt sich ein Dilemma, dass sich Kriegsgefangene beider Staaten wechselseitig auf dem Territorium der jeweils anderen Macht befanden, nicht erkennen. Nach der Zerschlagung durch die Wehrmacht hatten die Ustaschen unter der Leitung ihres Führers Ante Pavelic einen faschistischen Satellitenstaat in Kroatien errichtet. Sie begannen bald darauf eine Politik der ethnischen Säuberung, der Hunderttausende Serben zum Opfer fallen sollten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs sannen die jugoslawischen Kommunisten auf Rache. Mehrfach entlud sich der Hass an den Kroaten in Massakern. Mehrere Truppen der Ustaschen, aber auch viele Zivilisten flüchteten vor den Kommunisten in das benachbarte Österreich, das gegen Kriegsende von den Briten besetzt wurde. Zehntausende Flüchtlinge schlugen ihre Lager in der Nähe der kleinen Stadt Bleiburg auf. Sie erbaten den Schutz der britischen Armee und berichteten von den Verbrechen der Kommunisten. Doch die Besatzungsmacht schenkte den Beteuerungen der jugoslawischen Behörden, die die Einhaltung humanitärer Prinzipien versprachen, Glauben und verweigerte den Kroaten das Asyl. In den darauf folgenden Tagen wurden bis zu 40.000 Ustaschen und Zivilisten ermordet.

Es erscheint kaum glaubwürdig, die Briten hätten sich nicht den Forderungen Titos widersetzen können. Sie hatten ihn, genau wie Stalin während des 2. Weltkriegs logistisch und organisatorisch unterstützt. Während Stalin aber 1943 in die Offensive gehen konnte und kaum noch auf die Hilfe des Auslands angewiesen war, konnten die Briten Tito erst ab diesem Zeitpunkt mit aller Kraft unterstützen, da sie erst jetzt die Luft- und Seehoheit im Mittelmeerraum innehatten. Doch auch nach Kriegsende war der jugoslawische Staatschef auf gute diplomatische Beziehungen angewiesen. Er widersetzte sich als einziger Kommunist in Europa Stalin und wollte Jugoslawien nicht dem sowjetischen Machtblock unterordnen. Es erscheint kaum denkbar, dass Tito, der mit dem Rücken zur Wand stand, den Briten seine Bedingungen aufdiktieren konnte.

Japans koreanische Zwangsarbeiter

Vergleichbare Repatriierungen gab es auch in Fernost. Während des 2. Weltkriegs hatten die Japaner Hunderttausende Koreaner als Zwangsarbeiter in japanische Fabriken verschleppt. Nach Kriegsende war es jedoch nicht mehr möglich, sie wie Sklaven zu behandeln, sondern man sah in ihnen nur eine Belastung der Sozialkassen. Bald darauf verständigten sich die japanische und nordkoreanische Regierung unter Beaufsichtigung des Roten Kreuzes auf eine Rückführung der Koreaner. Die japanische Seite war froh, die unnützen Esser los zu sein, während die kommunistische Staatsführung auf neue Arbeitskräfte angewiesen war. Die Koreaner hatten im nationalistischen Japan alltägliche Diskriminierungen erlebt und waren froh, in ihr Heimatland zurückzukehren. In den folgenden Jahren reisten knapp 100.000 Menschen in die koreanische Volksrepublik. Zwar war die Ausreise faktisch freiwillig, doch die japanische Regierung gab die kommunistische Propaganda unverändert weiter und viele Koreaner sahen keinen anderen Weg, als das unfreundliche Japan zu verlassen.

Doch Kim Il-Sung änderte bald seine Meinung und sah in den Heimkehrern, die in Japan noch als kommunistische Spione galten, nun kapitalistische Agenten. Die Repatriierten waren fortan härteren Repressionen als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Die USA hatten nichts an dieser Politik auszusetzen. Ihr japanischer Botschafter Douglas McArthur schloss sich der populären Meinung an, unter den Koreanern befänden sich Kommunisten und Kriminelle.

Keil zwischen China und Sowjetunion

Weitere Brüche im kommunistischen Machtblock taten sich in den 1960er Jahren zwischen der Sowjetunion und China auf. Mao wollte nicht länger nur der Juniorpartner Moskaus sein und stieß sich an den außenpolitischen Vorstellungen Chruschtschows. In den 1960er Jahren traten die Differenzen zwischen den beiden kommunistischen Staaten umso deutlicher hervor. Das westliche Ausland verfolgte die Spannungen mit Interesse und versuchte, den Keil noch tiefer zwischen China und die Sowjetunion zu treiben. Zuvor hatten die kapitalistischen Staaten Peking die Anerkennung verweigert und stattdessen Taiwan als legitime Vertretung Chinas betrachtet. Doch nach einem Besuch Richard Nixons im Jahr 1972 veränderte sich das politische Klima. Mao erhielt die Anerkennung, für die er geworben hatte und erreichte die Aufnahme Chinas in die UNO. Auch strikt anti-kommunistische Politiker, wie Franz-Josef Strauß, bereisten das Land der Mitte. Dem Westen galt es, Mao zu stärken, um den Einfluss der Sowjetunion auf internationaler Ebene zu schmälern. Dass dieser zuvor Millionen Menschen ermordet hatte, trübte die Beziehungen nur wenig.

Am deutlichsten trat der Gegensatz zwischen dem Kommunismus sowjetischer und chinesischer Prägung jedoch in Indochina zu Tage. Nach Ende des Vietnamkriegs hatte Pol Pot in Kambodscha eine äußerst brutale Diktatur errichtet. In den 3,5 Jahren zwischen der Machtergreifung 1975 und dem Sturz 1979 starben 1,7 Millionen Menschen - bei der geringen Einwohnerzahl Kambodschas ca. 20-25 % der Bevölkerung, eine Zahl, die ihresgleichen sucht. Pol Pots Rote Khmer waren schlicht paranoid - hinter Brillenträgern vermuteten sie Intellektuelle und damit Agenten des Auslands. Im Ausland wurde die Entwicklung bestürzt verfolgt, manchen galt der Kommunist als „schlimmer als Hitler“. Doch Pol Pot witterte den Verrat auch von Seiten Vietnams. Er griff das Nachbarland an und musste eine verheerende Niederlage hinnehmen, die zur Einnahme der kambodschanischen Hauptstadt Pnom Penh und seinem Sturz führte. Die Roten Khmer zogen sich in den Dschungel und entlegene Bergregionen zurück, um für zehn weitere Jahre Krieg gegen Vietnam zu führen.

Die USA hatten ihre eigene Niederlage in der Region immer noch nicht verkraftet und überlegten, Pol Pot zu stützen. Vietnam war ein eher sowjet-kommunistisches Land gewesen und befand sich in einem dauerhaften Konflikt mit China. Dieser Konflikt entbrannte kurzzeitig in einem Krieg, den Peking führte, um Kräfte zu binden, die sonst im Kampf gegen Pol Pot bereitgestanden hätten. China war daher bereit, gemeinsame Sache mit den USA zu machen, um mit vereinten Kräften Vietnam zu schwächen. Koordinator der gemeinsamen Aktion war Zbigniew Brzezinski, als erster und einziger Pole überhaupt Nationaler Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten. Er ermunterte China zu Hilfslieferungen an Pol Pot, die Kambodscha nur auf dem Umweg über den US-Verbündeten Thailand erreichen konnten. Außenpolitisch wurden die Roten Khmer weiterhin als legitime Exilregierung Kambodschas betrachtet und durften, dank des Einsatzes der USA, weiterhin ihren Sitz bei den Vereinten Nationen beibehalten. Zwar wurden ihnen zum Schein monarchistische und demokratische Kräfte zur Seite gestellt, an der realen Mächteverteilung blieben jedoch nur wenige Zweifel. Durch die Präsenz seiner Truppen in Kambodscha, war Pol Pot es, der die Fäden in der Hand hielt. Die enorme Waffenhilfe der USA hat bis heute Spuren in Kambodscha hinterlassen. In kaum einem anderen Land finden sich derart viele Landminenopfer.
 

Lukas Mihr

 

 

(1) Ohne Gott ist alles erlaubt? (29. Juni 2011)
(2) Ohne Gott ist alles erlaubt? - Atheistische "Helden" (5. August 2011)
(3) Wer behauptet, Atheisten = Mörder? (12. August 2011)
(4) Trug die Evolutionstheorie zur NS-Ideologie bei? Teil 1 (19. August 2011)
(5) Trug die Evolutionstheorie zur NS-Ideologie bei? Teil 2 (26. August 2011)

(6) Ohne Gott ist alles erlaubt? – Zahlen (2. September 2011)
(7) Ohne Gott ist alles erlaubt? – Religionen (9. September 2011)