Katholische Kirche und Holocaust: Wussten sie, was sie tun?

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Papst Pius XII. während einer Generalaudienz 1950 im Petersdom
Papst Pius XII.

Der Vatikan öffnet einen weiteren Teil seines Geheimarchivs: Wissenschaftler dürfen seit Anfang der Woche Akten aus der Zeit 1939 bis 1958 einsehen. Sie wollen Licht ins Dunkel der umstrittenen Rolle von Papst Pius XII. bringen und stießen gleich am ersten Tag auf einen "Treffer".

Wie kann man etwas vor den Augen der Welt geheim halten? Ein sicheres Versteck waren beispielsweise die verschlossenen Teile des Geheimarchivs des Vatikan. Nun dürfen Wissenschaftler auch die gigantische Aktenlage aus den nahezu zwei Jahrzehnten des Pontifikats von Papst Pius XII. sichten. Seit kurzem trägt das Geheimarchiv den unverfänglicheren Namen "Vatikanisches Apostolisches Archiv", um nicht den Eindruck zu erwecken, man hätte etwas zu verbergen. Denn das könnte durchaus der Fall sein: Die Rolle des Papstes der Nazi-Zeit und der Nachkriegsjahre ist umstritten.

Der Pontifex des Zweiten Weltkriegs hat sich weder während der Nazi-Zeit noch danach je öffentlich zum Holocaust geäußert, mit einer Ausnahme: In seiner Weihnachtsansprache 1942 beklagte er die nicht weiter definierten "Hunderttausenden, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder der Vernichtung preisgegeben sind", und adressierte auch nicht die Verantwortlichen. Dafür soll er sich an anderer Stelle mehrfach gegen die Gründung des Staates Israel ausgesprochen haben, heißt es bei domradio.de. Laut Spiegel drohte er zwar Kommunisten 1949 mit Exkommunikation, nicht aber den Nationalsozialisten.

In seine Amtszeit fällt auch die Fluchtroute nach Südamerika, die sogenannte "Rattenlinie", über die tausende Nazis mit gefälschten Pässen ausreisten, oft mit Hilfe von Vertretern der katholischen Kirche. Anhand des in den Archiven ruhenden Materials soll jetzt geklärt werden, wie viel das Kirchenoberhaupt, das in seiner vorherigen Position als päpstlicher Nuntius von 1917 bis 1929 in Deutschland weilte und 1933 als Kardinalstaatssekretär das Reichskonkordat 1933 unterzeichnete, tatsächlich über die Verbrechen des Nationalsozialismus wusste. "Wie hat sich die Elite der moralisch so hochfliegenden Institution im Angesicht des größten denkbaren Unrechts verhalten?", formulierte es Die Zeit in einem Artikel treffend.

Die Quellenlage ist bis jetzt unzureichend. Entsprechend widersprüchliche Aussagen gibt es über Pius: Die Welt veröffentlichte einen Text, der den Papst des Zweiten Weltkriegs als Gegner der Nazis beschreibt, der persönlich Rückendeckung gegeben habe, als der irische Prälat Hugh O’Flaherty einige tausend Juden in Rom vor der Gestapo versteckte.

Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf und sein Team gehören zu den Auserwählten, die das neu freigegebene Material jetzt durchackern dürfen. Für sie gilt es nun, Millionen von Seiten zu durchforsten, eine Herkulesaufgabe. Drei Wochen sind für eine erste Etappe vorgesehen, dann zwei Wochen in Deutschland zur Auswertung, dann geht es wieder ins Archiv. So wird es drei Jahre lang gehen. Gleich am ersten Tag konnten sie einen "Treffer" vermelden, wie Focus online berichtet: Die Forscher fanden Fotos aus der vatikanischen Botschaft der Schweiz, die die Ermordung von Juden im Osten dokumentieren. "Das heißt, die wussten hier mit Bildmaterial, was da passiert", kommentiert Wolf den Fund. Diese Bilder stehen in Verbindung mit der Bitte um päpstliche Hilfe für die Juden in den KZs, die jüdische Menschen 1943 an den Schweizer Nuntius gerichtet hatten, berichtet Wolf außerdem bei Deutschlandfunk Kultur. Den Historiker interessiert vor allem, was zu dieser Zeit intern im Vatikan diskutiert wurde.

Manche Dokumente seien aber auch nicht da gewesen, beispielsweise die erwähnte Weihnachtsansprache von 1942, heißt es im Focus-Artikel weiter. Man müsse sich in Geduld üben, so der Kirchenhistoriker, der sich schon viel mit Pius XII. beschäftigt hat und über den katholisch.de schreibt, er sei konservativen Katholiken ein Dorn im Auge. Auch sind die Bedingungen nicht optimal: Es gebe insgesamt nur 70 Arbeitsplätze, von denen momentan 30 für die Ära des umstrittenen Papstes reserviert seien. Die müssen sie sich mit Wissenschaftlern aus aller Welt teilen. Bis man sich ein umfassendes Bild der Lage gemacht habe, werde es noch Jahre dauern, schätzt Wolf, der selbst auch katholischer Priester ist. Bis es so weit ist, fordert er jedoch, das Seligsprechungsverfahren für Pius XII. auszusetzen, das schon seit 1965 läuft.

Der "Außenminister" des Vatikan, Erzbischof Paul Richard Gallagher, ist sich nichtsdestotrotz sicher, zu welchem Ergebnis die Aktensichtungen über das Kirchenoberhaupt mit dem bürgerlichen Namen Eugenio Pacelli kommen werden: Da er während des Krieges ein "mutiger Diplomat" gewesen sei, der "grenzenlose Nächstenliebe" an den Tag gelegt habe, die jedoch nicht von allen verstanden und geteilt worden sei, würden "aus den Dokumenten (…) klar die Anstrengungen hervorgehen, die Papst Pius unternahm, um den Hilfsgesuchen zugunsten der Verfolgten und der Bedürftigen in Lebensgefahr nachzukommen", schreibt VaticanNews. Und noch etwas werde sich zeigen: Der Hass des Nationalsozialismus auf die katholische Kirche und den Papst.

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